Auf der Homepage der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Annette Widmann-Mauz, findet sich eine ausführliche Berichterstattung über die zusehends umfangreicheren Aktivitäten dieser im Jahr 1978 geschaffenen Behörde, die im Jahr 2005 von Angela Merkel direkt dem Kanzleramt zugeordnet worden ist. Sie soll, wie dort zu lesen ist, „die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung der Integrationspolitik und der Förderung des Zusammenlebens aller Menschen im Land – ob Deutsche und Ausländer, ob mit oder ohne Einwanderungsgeschichte“ unterstützen. Desweiteren soll sie „die Bedingungen für ein möglichst spannungsfreies Zusammenleben zwischen allen Bürgerinnen und Bürgern weiterentwickeln, das Verständnis füreinander fördern und Fremdenfeindlichkeit und Ungleichbehandlung entgegenwirken.“ Zusätzlich hat sie den Auftrag „über gesetzliche Möglichkeiten der Einbürgerung zu informieren und auf die Wahrung der Freizügigkeitsrechte von EU-Bürgerinnen und -Bürgern zu achten.“ Dafür stehen der Integrationsbeauftragten im Range einer Staatsministerin derzeit zehn Fachreferate mit rund 70 Mitarbeitern zur Verfügung.
Erstellt wurde der Aktionsplan von den 70 Mitarbeitern der Integrationsbeauftragten in Zusammenarbeit mit „rund 300 Partnerinnen und Partnern aus Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft“. Entsprechend komplex und voluminös fällt er mit seinen rund 100 Maßnahmen entlang eines fünfstufigen Phasenmodells aus. Es beginnt mit der Phase vor der Zuwanderung (I), gefolgt von den Phasen der Erstintegration (II), der Eingliederung (III), des Zusammenwachsens (IV) um schließlich mit der Phase des Zusammenhalts (V) zu enden. Allein der Bericht über das Vorgehen und die geplanten Maßnahmen zur Phase I, in der es um Aktivitäten in den Herkunftsländern der Zuwanderer geht, umfasst 75 Seiten zu den Themen Informations- und Aufklärungsangebote, Werbestrategie zur Gewinnung von Fachkräften, Vorintegrationsangebote, Sprachkurse im Herkunftsland sowie Migration und Entwicklungszusammenarbeit. Dort werden dann unter anderem „Kernvorhaben“ zum Beispiel „zur Weiterentwicklung der Vorintegrationsmaßnahmen im Resettlement und in der humanitären Aufnahme (Internationale Organisation für Migration – IOM Deutschland)“ oder zur „Unterstützung von Arbeitgebern bei der Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte“ beschrieben.
Da sich mit dieser Organisationsform aber zwangsläufig die Zuständigkeiten der Integrationsbeauftragten mit den Zuständigkeiten der Ministerien im Bund und Ländern stark überlappen, sind Rivalitäten und Streitereien zwischen den zuständigen Ministerien, deren Behörden und der Behörde der Integrationsbeauftragten unvermeidlich. Wo und wie sie sich äußern und zu welchen Umsetzungsproblemen sie führen, erfahren Außenstehende im Normalfall nicht. Öffentlich berichtet wird, wie auch auf dem Integrationsgipfel am 9. März, erwartungsgemäß allein über (die tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen) Erfolge einer ebenso breiten wie guten Zusammenarbeit.
Vorgestellt wurden dort schwerpunktmäßig die Ziele und Maßnahmen der den Aktionsplan abschließenden Phasen IV (Zusammenwachsen) und Phase V (Zusammenhalt), die überwiegend die Zuständigkeiten verschiedener Ministerien betreffen. So ist etwa beim Thema Gesundheit (Phase IV), für dessen Federführung das Bundesgesundheitsministerium genannt ist, zu lesen: „Das Gesundheits- und Pflegewesen in Deutschland bietet eine sehr hohe Versorgungsqualität. Schon heute leisten viele Fachkräfte mit familiärer Einwanderungsgeschichte wertvolle Beiträge, um diesen hohen Standard zu erhalten. Die Gewinnung und Qualifizierung von mehr Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte für Gesundheits- und Pflegeberufe wird daher auch künftig von großer Bedeutung sein.“
Aufgelistet werden dann beispielhaft Maßnahmen wie etwa die „Optimierung der beruflichen Integration von Personen mit Migrationshintergrund als Beitrag zur Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen (INGE)“, durchgeführt von einer Saarland Innovation&Standort e.V., die Einrichtung von „Lernplattform zur Förderung transkultureller Kompetenzen in der Pflege/E-Learning für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege“, durchgeführt von der Berufsfachschule Paulo Freire im Zentrum Überleben gGmbH, sowie der „Ausbau von Datengrundlagen zur Gesundheit und medizinischen Versorgung von Asylsuchenden“, durchgeführt von den Universitäten Heidelberg und Bielefeld.
Der Aktionsplan erweist sich so über weite Strecken als eine Sammlung und Auflistung hehrer Absichten und ohnehin schon laufender Aktivitäten zahlreicher Einrichtungen und Organisationen, die für die Integration von Zuwanderern mehr oder weniger hilfreich sein können. Politisch fragwürdiger und damit auch deutlich brisanter wird er hingegen vor allem in seiner fünften und letzten Phase. Sie steht unter der Überschrift „Zusammenhalt stärken – Zukunft gestalten“ und behandelt die Themen:
- Politische Bildung sowie Partizipation in Parteien und Gremien
- Interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes des Bundes
- Antidiskriminierung und Maßnahmen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
- Bedeutung von Einbürgerungen
- Diversity in der Wirtschaft
Desweiteren erfährt man, dass die Bundesregierung „die Bekämpfung der verschiedenen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und aller damit verbundenen Formen der Diskriminierung als eine grundlegende und vordringliche Aufgabe“ betrachtet und deswegen unter anderem eine „öffentlichkeitswirksame Kampagne für Demokratieförderung und gegen Vorurteile und Rassismus“ in der Verantwortung des Bundesfamilienministeriums sowie die Einrichtung eines „nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ durch das Deutsche Zentrum für Integrations-und Migrationsforschung plant.
Damit jedoch nicht genug. Von den Unternehmen in Deutschland wird unter dem Titel „Diversity in der Wirtschaft“ erwartet, dass sie „ein Arbeitsumfeld schaffen, das frei von Vorurteilen ist.“ Deswegen will die Bundesregierung die „Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt in der Arbeitswelt“ fördern. Hierzu ist unter anderem ein von der Integrationsbeauftragten zu schaffendes „Austauschforum Business meets Diversity“ sowie die „Pilotierung unternehmensbezogener Vielfaltsprojekte“ durch ein Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung vorgehen.
Ein solches Vorgehen führt, wie die Migrations- und Integrationsforschung inzwischen hinreichend belegt, nicht nur zu mehr Desintegration der Zuwanderer, sondern befördert auch die gesellschaftliche Spaltung und politische Polarisierung, die der Aktionsplan zu bekämpfen vorgibt.
Auch in dieser Hinsicht schafft das Kanzleramt selbst die Probleme, die seine eigene Behörde dann wieder zu lösen vorgibt. Ein Teufelskreis, der sich unter einer schwarz-grünen Regierung, sollte sie nach der kommenden Bundestagswahl zustande kommen, mit einer dann wohl grünen Integrationsbeauftragten noch schneller drehen wird.