Tichys Einblick
Scharia am Arbeitsplatz

Integration: So werden Gesetze zur Einstellungshürde für Muslime

Für Muslime gelten besondere Rechte am Arbeitsplatz, die deren Religionsausübung fördern sollen. Die Folge sind höhere Kosten - und darum letztlich die Nichteinstellung auch jener Muslime, die diese Rechte nicht beanspruchen.

© Carsten Koall/Getty Images

Mitte Januar 2020 ging eine Mail eines Berliner Architekturbüros durch die Medien und viele Menschen empörten sich. „Bitte keine Araber“ einstellen, hieß es da. Es ging zwar um eine Stelle in China, wofür Sprachkenntnisse und Landeserfahrung fehlten. Trotz dieser Erklärung klang es für viele Kommentatoren wie blanker Rassismus. Immerhin gibt es seit 2016 in vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Erfahrungen mit religiösen arabischen Muslimen.

Liegt es am Rassismus der Arbeitgeber oder möglicherweise an anderen Gründen, dass über eine Million Flüchtlinge aus acht islamischen Herkunftsländern und fast eine halbe Million Türken beim Jobcenter beschäftigungslos gemeldet sind? Immerhin hat Deutschland seit der Anwerbung von Türken seit den 60er Jahren lange und gute Erfahrungen mit muslimischen Arbeitnehmern. Doch im Laufe der Jahre und Jahrzehnte hat bei manchen die Bedeutung der Religion zugenommen und die Rechtsprechung sich massiv geändert – zu Gunsten der Religionsausübung – allerdings möglicherweise um den Preis, dass Arbeitgeber dies ihrerseits berücksichtigen.

Deutsche Alleinstellung in der EU

Dazu kommen Ausgaben des Bundes
Hamburg: In einem Jahr 1,5 Milliarden Euro für „Flüchtlinge“
2002 begann eine  deutsche Alleinstellung in der EU hinsichtlich religiöser Muslime in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Die Folge könnte ein betriebswirtschaftliches Kalkül sein, das der Einstellung im Wege steht und als „Rassismus“  interpretiert wird. So wurde 2002 am Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm) entschieden, dass Arbeitnehmer während der Arbeitszeit das Recht auf Gebetspausen während der Arbeitszeit haben. Nachgearbeitet werden müssen solche Pausen dann nicht – im Gegensatz zum Beispiel zu Mittagspausen, die ja in der Regel nicht bezahlt werden. Dabei wurde Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes berufen, welcher das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung darstellt. Zwar erlaubt die islamische Lehre durchaus das Nachholen von Gebeten. Doch laut Landesarbeitsgericht ist hier ausreichend, dass der Gläubige eine Handlung als zwingend notwendig ansieht.

Es ist dieses Urteil, das die persönliche religiöse Ansicht schon Zugeständnisse der Arbeitgebers erzwingen kann, und von dem andere Urteile abgeleitet wurden.

Alle weiter aufgeführten Gerichtsentscheidungen fußen auf den Ausführungen von Bockenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ und haben dazu geführt, dass ein religiöser Muslim bis zu zwei Monate für seine religiösen Handlungen bezahlt werden muss, auch wenn er nichts in dieser Zeit leistet. Sie sind es, die möglicherweise die Entscheidungen vieler Betriebe „Bitte keine Araber“ (als Synonym für streng religiöse Muslime) aus finanziellen Gründen provozieren, nachdem der Buchhalter dem Geschäftsführer die Zahlen gezeigt hat. Wieder ein Beispiel aus der Politik für: gut gedacht und schlecht gemacht.

Das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“

2006 wurde der Sündenfall dann vom Bundestag ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegossen. Zu seiner Entstehung: Nachdem die Koalition 2005 gescheitert war, wurden mit dem Amtsantritt der Großen Koalition 2006 alle noch nicht beschlossenen Gesetzesvorhaben ungültig und mussten neu beraten werden. (Diskontinuitätsprinzip). Wikipedia schreibt dazu:

„Nach den vorgezogenen Bundestagsneuwahlen brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Dezember den ADG-Entwurf erneut in den Bundestag ein. Dieser Entwurf wurde im Bundestag beraten, fand aber keine parlamentarische Mehrheit. Anfang Mai 2006 einigten sich SPD, CDU und CSU auf einen neuen Gesetzesentwurf. Dieser Regierungsentwurf erhielt die Bezeichnung Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, war aber inhaltlich in großen Teilen mit dem Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes von 2005 identisch.“

Mit der Einführung des ALG 2 im Jahre 2005 und dem bundesweiten Ausbau der Jobcenter (bis auf einige Gemeinden) machte man Anfang 2006 aufgrund der Vergleichbarkeit der Daten die Feststellung, dass viele (muslimische) Türken nicht arbeiten.

Interview
Thilo Sarrazin: „Ich habe mich nicht geändert, die SPD hat sich geändert“
Unter dem Eindruck des damals breit diskutierten Urteils des LAG Hamm dachten die Politiker offenbar, mit weiteren Zugeständnissen zur Religionsausübung gläubige Muslime in Arbeit zu bringen und wegen des sich ausbreitenden islamischen Terrors in Europa am Arbeitsplatz unter Kontrolle zu haben (Anschläge in London und Madrid im Jahr 2005). Deshalb ließ sich die Politik unter Federführung des damaligen Innenministers Schäuble zur Abhaltung einer gemeinsamen Konferenz mit den muslimischen Organisationen im September 2006 inspirieren.

Da gleichzeitig das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beraten wurde, konnte es so gestaltet werden, dass es für die islamische Gemeinschaft in Deutschland beglückend war. Der Übergang vom Primat der Entscheidung im Betrieb durch den Unternehmer hin zur gesetzlich verpflichtenden Anerkennung des Primats der Religion durch den (ungläubigen) Unternehmer wurde vollzogen.

Auf die politische Willenserklärung und rechtliche Grundsatzentscheidung folgten   Klagen von Muslimen, die ganz systematisch das Direktionsrecht des Unternehmers schleiften.

Folgen des Antidiskriminierungsgesetzes

So entschied 2011 das Bundesarbeitsgericht am 24.02.2011 (2 AZR 636/09) über „Arbeitsverweigerung wegen Glaubenskonflikts“. Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der in einem Warenhaus als Ladenhilfe tätig war. Er sah sich aufgrund seines muslimischen Glaubens gehindert, die Weisung des Arbeitgebers zu befolgen und Alkoholika einzuräumen, da nicht nur der Verzehr, sondern auch die Arbeit mit als „haram“ (verboten) eingestuften Tätigkeiten / Lebensmitteln verboten ist. Ein gläubiger Muslim darf also Alkohol weder trinken noch verkaufen. Der Arbeitgeber hatte ihm daraufhin außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt.

Das LAG Kiel hielt die ordentliche Kündigung für wirksam (Urteil vom 20.01.2009 – 2 Sa 270/08). Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Revision ein und hatte Erfolg. Der 2. Senat des BAG hob das Pro-Arbeitgeber-Urteil – soweit es die ordentliche Kündigung für wirksam erachtet hat – auf und wies den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an das LAG zurück. In seiner Begründung verweist das BAG darauf, dass das Beharren des Arbeitgebers auf Vertragserfüllung ermessensfehlerhaft sein kann, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, dass er aus religiösen Gründen an der Ausübung der angewiesenen Tätigkeit gehindert ist. Die Kündigung durch den Arbeitgeber kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn keine alternativen Aufgaben für den Arbeitnehmer gefunden werden können. Mit anderen Worten: Längst nicht mehr jede Tätigkeit ist einem Muslim zuzumuten; er kann aus religiösen Gründen ablehnen.

Daraus leitet sich ab, dass ein Muslim, der sich beim Schlachter als Verkäufer bewirbt, den Verkauf von Schweinefleisch verweigern darf, wenn er für eine andere Tätigkeit angestellt wurde und dann kurzfristig doch Salami verkaufen soll. Gibt es weitere Verkäufer, kann er die Schweinefleischtat ablehnen. Aber: Nur wenn keine andere Möglichkeit besteht, muss er diese Aufgabe übernehmen.

Auch die Verweigerung, die Hand zu geben oder unter der Leitung einer Frau zu arbeiten, kann mit dem Satz: „Ausreichend ist, dass der Gläubige die religiöse Handlung als verbindlich ansieht“ begründet werden.

Auch selbsterteilter Urlaub kann gerechtfertigt werden, so wie zum Beispiel das Arbeitsgericht 2008 in Köln entschied: (2008: AG Köln, Az: 17 Ca 51/08 ) Teilnahme an einer Pilgerreise nach Mekka.

In diesem Fall geht es um eine Muslima (Klägerin), die Klage gegen eine fristlose Kündigung eingereicht hatte. Sie war als Schulbusbegleiterin für körperlich behinderte Kinder angestellt. Um an einer Pilgerreise nach Mekka teilzunehmen – wie es allen Muslimen mindestens einmal im Leben vorgeschrieben ist – reichte sie einen Antrag auf Sonderurlaub ein. Dieser Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, Urlaub sei nur während der Schulferienzeiten möglich.

Die Klägerin trat ihre Pilgerreise trotzdem an. Daraufhin wurde ihr fristlos gekündigt, wogegen sie wegen Unverhältnismäßigkeit Klage einreichte – letztlich mit Erfolg: Eine Pilgerreise nach Mekka sei nur in den zwei Monaten nach dem Ende der Fastenzeit möglich. Da die Fastenzeit sich jedes Jahr um mehrere Tage verschiebt, wäre eine Pilgerreise erst 2020 möglich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wäre die Klägerin allerdings schon 64, und die Mutter dann 86 Jahre alt –  dann könne die Mutter aber das pflegebedürftige, behinderte Kind der Klägerin altersbedingt nicht mehr pflegen. Daher brach sie trotz verweigertem Urlaub zur Pilgerreise auf.

Das Arbeitsgericht Köln begründete die Entscheidung damit, die Klägerin habe sich in einem Glaubens- und Gewissenskonflikt befunden, den sie nach subjektiven Empfinden nicht anders lösen konnte als durch ihre Teilnahme an der Pilgerreise außerhalb der Schulferien.

In einem anderen Fall wurde einer Muslima ein Ausbildungsplatz verwehrt, weil sie sich weigerte, ihr Kopftuch während der Arbeit abzulegen. Darin wurde eine Diskriminierung wegen ihrer muslimischen Glaubenszugehörigkeit erkannt (2012: ArbG Berlin, Urteil vom 28.03.2012 – 55 Ca 2426/12). Zur „Ablehnung der kopftuchtragenden Bewerberin für die Ausbildung zur Zahnarzthelferin“ wurden folgende Leitsätze formuliert:

  1. Trägt eine muslimische Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch, ist dies als Teil ihres religiösen Bekenntnisses und als Akt der Religionsausübung anzuerkennen.
  2. Wird eine Bewerberin bereits vor Abschluss des Bewerbungsverfahrens aus dem Kreis der in Betracht zu ziehenden Bewerberinnen ausgeschlossen, weil sie auf Nachfrage des potentiellen Vertragspartners angibt, das Kopftuch auch während der Arbeitszeit nicht ablegen zu wollen, wird die Bewerberin wegen ihrer muslimischen Zugehörigkeit diskriminiert.
Konflikt mit dem EuGH

Dieses Urteil steht zwar im Gegensatz zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Urteil C-157/15), wonach es keine Diskriminierung darstellt, wenn ein Arbeitgeber das Tragen von religiösen, philosophischen und politischen Zeichen verbietet – vorausgesetzt es gilt gleichermaßen für alle solchen Zeichen. Wenn also ein Arbeitgeber das Tragen von Kreuzen verbietet, darf er auch Musliminnen das Kopftuch untersagen. Mit dem Urteil korrigierte der EuGH den bisherigen deutschen Sonderweg des Primats der Religionsfreiheit in privatwirtschaftlichen Unternehmen und die Umsetzung der „Willkommenskultur“. Er stellte das deutsche AGG und die Rechtsprechung zur Religionsausübung am Arbeitsplatz wieder vom Kopf auf die Füße.

Betrifft das Urteil in allen anderen EU-Ländern nur das islamische Kopftuch und die Vollverschleierung, so hat es in Deutschland eine viel umfassendere Auswirkung, denn es betrifft auch die muslimischen Riten, die wie oben beschrieben ja quasi Sonderstatus besitzen. Mit aller Kraft stemmen sich die deutsche Politik, Medien und Justiz gegen die Umsetzung des EuGH Kopftuchurteils.

Im Januar 2019 kam es zu einer Voranfrage Deutschlands beim EuGH (10 AZR 299/18 (A)). Denn es regelt nicht nur die Kleiderordnung in der Privatwirtschaft, sondern auch (was bisher in den deutschen Medien nicht thematisiert wurde) die Ausübung religiöser Riten. Das sind im Falle der Muslime auch das Gebet während der Arbeitszeit und das Fasten mit Minderleistung im Ramadan.

Folgen für den Arbeitgeber

Der deutsche Unternehmer kann nach wie vor nichts dagegen tun, wenn eine muslimische Mitarbeiterin in Vollverschleierung zur Arbeit kommt. Sitzt sie an der Rezeption, vermittelt sie das Bild eines muslimischen Unternehmens. Ausnahmen von der Verschleierung sind Hygiene- und Sicherheitsvorschriften.

Ein muslimisches Gebet dauert nicht drei Minuten, sondern etwa 8-12 Minuten. Das sind über das Jahr gerechnet mindestens 12 Arbeitstage, die vom Arbeitgeber zu bezahlen sind. Die Regeln zum Fasten während des Fastenmonats Ramadan erfordern, zwischen Sonnenauf- und untergang nicht zu essen und zu trinken. Im Hochsommer liegen oft 15 Stunden dazwischen. Das senkt sowohl die psychische als auch physische Leistungsfähigkeit. In den islamischen Ländern treten zu dieser Zeit tödlich verlaufende Verkehrsunfälle am häufigsten auf. Die Minderleistung ist vom deutschen Arbeitgeber zu bezahlen. Viele Muslime lassen sich für diese Zeit (4-6 Wochen) krankschreiben. Obwohl in Deutschland nach Gesetz nur die nicht selbstverschuldete Krankheit bezahlt wird, erhalten sie einen Krankenschein und Geld vom Betrieb (erst ab sechswöchiger Krankheit gibt es Krankengeld von der Krankenkasse). Zusammen sind das bis zu 40 religiös begründete Ausfalltage jährlich, die vom Unternehmer zu bezahlen sind.

Weitere Umsetzung des Korans in das Arbeitsrecht

Die muslimischen Vereine kämpfen darum, weitere Besonderheiten des Koran in das deutsche Arbeitsrecht umzusetzen. Die Linken und Grünen zeigten sich im Sommer 2016 anläßlich der geplanten Novellierung des AGG dafür aufgeschlossen. Mit der Bundestagswahl 2017 wurden die Entwürfe für die Novellierung gegenstandslos, und durch die instabile neue Bundesregierung gab es bisher keine neuen Aktivitäten zur Novellierung. Kommt es zukünftig doch zur Umsetzung, werden die Kosten und Konsequenzen wieder die Unternehmen zu tragen haben. Die Regelungen wären weitgehend:

Aus der „Rassismus-Debatte“ werden die Firmen lernen und Absagen subtiler gestalten. Die Steuerzahler werden wohl dauerhaft jene Muslime alimentieren, die aus zuvor genannten Gründen keine Arbeit finden und beim Jobcenter sitzen – ob sie Sonderregelungen wollen oder nicht. Denn das ist die Krux von gesetzlichen Regelungen, die eine Gruppe besonders schützen sollen: Sie reduzieren deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und wirken damit wie eine Eintrittshürde. Rassismus wird damit ökonomisiert.


Michael Wolski schrieb: „Gebetspausen am Arbeitsplatz – Erwartungen geflüchteter Muslime. Basiswissen für Arbeitgeber“ (2016) und „Das-Kopftuch-Urteil des EuGH und seine Auswirkungen auf die Integration von 6 Mio. Muslimen in Deutschland. Basiswissen Arbeitgeber“ (2017)

Die mobile Version verlassen