Die Europäische Zentralbank (EZB) steht immer stärker unter dem Druck der öffentlichen Forderung nach steigenden Leitzinsen, um die grassierende Inflation zu bremsen. Das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW) in Köln hat jetzt in aller Deutschlichkeit klar gemacht: „Negativzinsen sind mit einer Inflationsrate von über sieben Prozent nicht mehr zu vereinbaren. Die Europäische Zentralbank muss bei der nächsten Zinssatzentscheidung am 9. Juni die Zinswende beschließen und einen Ausblick über weitere Schritte geben.“
Im April lag die Inflationsrate in Deutschland bei fast acht Prozent – in einigen Eurozonen-Ländern ist sie sogar zweistellig. Noch 2021 war aus der EZB selbst oft noch von Einmaleffekten die Rede und damit wurde die Beibehaltung des Nullzinskurses begründet. Lange wurde sogar mit der Befürchtung einer Deflation argumentiert. Nun gibt es kaum noch Zweifel daran, dass die Inflation bleibt.
IW-Geldpolitik-Experte Markus Demary betont in einer aktuellen Stellungnahme die sozialen Härten durch die Inflation: „Vor allem ärmere Haushalte können sich nur schwer schützen. Lebensnotwendige Ausgaben für Lebensmittel, Wohnen und Heizen machen bei ihnen einen größeren Anteil der Gesamtausgaben aus als bei reicheren Haushalten. Ein Haushalt, der weniger als 900 Euro monatlich zur Verfügung hat, muss für diese Posten fast 63 Prozent seines Budgets ausgeben, bei einem Haushalt mit einem monatlichen Einkommen von 5.000 Euro sind es knapp 40 Prozent. Inflation wirkt also ungerecht – umso wichtiger ist es, dass sie nicht aus dem Ruder läuft.“
Demary wirft der EZB vor, 2021 „zu zögerlich“ gewesen zu sein. Grund hierfür sei auch die Erfahrung von 2011 gewesen: Damals stieg die Inflation in der Eurozone auf drei Prozent an, woraufhin die EZB zwei Zinserhöhungen von jeweils 0,25 Prozentpunkten beschloss. Die EZB ruderte dann radikal zurück, weil einige Länder des Euroraums in die Rezession rutschten und eine Deflation befürchtet wurde: Die Leitzinsen wurden 2012 auf null Prozent gesenkt, wo sie seither blieben.
Doch die aktuelle Lage ist damit nicht zu vergleichen. Das Inflationsziel von zwei Prozent wird jetzt nicht um einen Prozentpunkt übertroffen, sondern um mehr als fünf. Das Deflationsrisiko spielt daher keine Rolle mehr.
Hoffnung auf eine schnelle, inflationsbremsende Wirkung macht Demary nicht: „Da Zinserhöhungen einige Monate brauchen, bis sie in der Wirtschaft ankommen, werden die Preise zunächst mit einer ähnlich hohen Rate wie in den vergangenen Monaten steigen. Das bekommen vor allem verschuldete Haushalte zu spüren. Neben höheren Preisen für Lebensmittel und Energie werden sie auch mehr für Zinszahlungen ausgeben müssen.“ Umso wichtiger sei es, dass die EZB jetzt schnell handele. „Ein längeres Zaudern lässt sich nicht mehr verantworten.“
Die Erwartung einer baldigen Zinswende der EZB wurde jüngst auch vom amtierenden deutschen EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel mit den typisch notenbankarischen Worten „Wir werden tun, was nötig ist“ bestätigt. Im Gespräch mit TE äußerte auch der frühere Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret seine Erwartung, dass die Europäische Zentralbank bald die Zinsen anhebt. „Es ist nach meiner persönlichen Einschätzung bereits absehbar, dass auch die EZB ihre Geldpolitik überdenkt und ändern wird. Ich verweise auf kürzliche Aussagen einer zunehmenden Zahl von Mitgliedern des EZB-Rats. Und es ist aus meiner Sicht auch tatsächlich angezeigt, so schnell wie möglich aus den Negativzinsen auszusteigen.“