Tichys Einblick
Inspiration als Energiequelle:

Neues vom grünen Hauptmann von Köpenick

TE berichtete über den Fall von Jeremiah Thoronka, den das Greentech-Festival als angeblichen Erfinder einer innovativen Stromquelle ehrte. Jetzt äußert sich das Festival: Seine Geräte würden, leider, nicht mehr existieren. Aber er sei trotzdem irgendwie ein „Vorbild“. Vor allem „inspirierend“.

Sebastian Reuter/Getty Images for Greentech Show GmbH

Am 21. Juni erschien auf TE der Beitrag „Der grüne Hauptmann von Köpenick“ über Jeremiah Thoronka (22), den das Greentech-Festival in Berlin am 14. Juni für den Bau von zwei revolutionären Stromerzeugungsanlagen in Sierra Leone geehrt hatte.

In der Pressemitteilung des Greentech-Festivals hieß es zur Begründung der Vergabe des Green Award an Thoronka: „Jeremiah war 17, als er ein spezielles Gerät erfand, das die Vibrationen von Fußgängern und Verkehr an belebten Straßen auffängt und in Elektrizität umwandelt. Mit nur zwei Geräten versorgt sein Start-up Optim Energy mittlerweile mehrere Schulen und Haushalte in Gemeinden in seinem Heimatland Sierra Leone kostenlos mit Strom.“

Gleich darunter zitiert das Festival-Pressematerial einen der 55 Juroren, den Geschäftsführer der PANDA Fördergesellschaft für Umwelt des WWF Deutschland Sebastian Tripp: „Er hat es geschafft, eine saubere und zuverlässige Energiequelle zu entwickeln – und das in einem so jungen Alter. Das ist wirklich herausragend.“

Das erste Problem an dieser Preisträgerauswahl und ihrer Begründung besteht darin, dass die Technik schon sehr lange existiert. Den piezoelektrischen Effekt, mit dem sich mittels kinetischer Energie durch Kompression von Kristallen elektrische Ladungen erzeugen lassen, entdeckten die Brüder Curie 1880. Piezoelektrische Geräte befinden sich seit vielen Jahrzehnten im Einsatz. Allerdings – und darin besteht das Problem Nummer zwei – nicht zur Stromerzeugung für Haushalte, sondern vor allem zum Messen und Steuern von Druck und zur Produktion elektrischer Zündfunken in Piezofeuerzeugen.

Die mit Piezoelektrik erreichbaren Strommengen liegen im Milliwattbereich. Nach mehreren Quellen will Thoronka mit seinen beiden Geräten, die die Energie von Passanten und Fahrzeugen nutzen, 150 Haushalte mit insgesamt 1500 Menschen und 15 Schulen mit 9000 Schülern versorgen. Das könnten nur piezoelektrische Kraftwerke mit gewaltigen Ausmaßen bewerkstelligen, für die eine Millioneninvestition nötig wäre. Wenn es sie gäbe, würden sie die mit Abstand teuersten Kilowattstunden der Welt liefern.

Deshalb, und auch, weil sich nirgends Fotos oder Videos der revolutionären Anlagen auftreiben ließen, auch keinerlei technische Dokumentation oder ein Fachartikel, stellte TE eine Reihe von Anfragen an das Festival, Thoronka und beteiligte Juroren. Thoronka antwortete nicht, die Juroren jedenfalls nicht direkt. Aber das Festival räumte ein, dass die 55 Juroren die Anlagen nicht gesehen, sondern nur mit dem jungen Mann per Videoschalte geplaudert hatten.

Am Donnerstag reagierte das von Formel-1-Fahrer Nico Rosberg und PIN-AG-Unternehmer Marco Voigt 2018 gegründete Festival mit einer Mitteilung auf seiner Webseite:

„Stellungnahme des GREENTECH FESTIVALS zum Preisträger Jeremiah Thoronka
(Youngster)
Berlin, 22. Juni 2023
Uns erreichte in den letzten Tagen eine Anfrage zu dem Preisträger Jeremiah Thoronka (22, Sierra Leone), der bei den GREEN AWARDS in der Kategorie Youngster durch eine Jury ausgezeichnet wurde.
Mit dieser Kategorie werden junge Personen für ihr Engagement für den Umweltschutz geehrt, was sich sowohl auf ihr persönliches Engagement als auch die ihrerseits aktivierte Community bezieht.
Die Grundlage der Auszeichnung in dieser Kategorie ist vorranging, dass die Person eine Vorbildfunktion übernehmen kann und viele Menschen zum Engagement für Umweltschutz begeistert. Der Einsatz einer jeden Person und insbesondere auch junger Menschen für Umweltbelange ist gerade für Länder und Regionen, die technologisch vor sehr großen Herausforderungen stehen, von höchster Bedeutung, auch aus globaler Perspektive.
Das Projekt Optim Energy lief von 2017 bis 2021 und ließ sich nicht mehr vor Ort besichtigen. Jeremiah Thoronka erlangte als Person eine weltweite Aufmerksamkeit (u. a. TED, UNDP, Global Student Prize, BBC).
In der Jury wurden während des Auswahlprozesses Herausforderungen in Bezug auf sein Projekt erörtert. Es wurde festgestellt, dass der Empfänger, vor allem durch sein hohes Engagement in so jungen Jahren und seine Vorbildfunktion in seinem Heimatland, die Kriterien der Kategorie Youngster erfüllt.
Im Rahmen der Preisverleihung haben wir Jeremiah Thoronka als einen jungen Menschen kennengelernt, der viele für das Thema der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen sensibilisieren und begeistern kann.
Gemeinsam mit unserem Knowledge Partner Boston Consulting Group arbeiten wir fortlaufend daran, unseren Auswahlprozess zu optimieren und die unabhängige Prüfung hinsichtlich der gesetzten Kriterien zu intensivieren.“

Zusammengefasst lautet die Botschaft also: Die piezoelektrischen Anlagen in Sierra Leone wurden aus einem unbekannten Grund demontiert – sehr schade, denn es hätte sich bei den angegebenen Leistungsparametern um die weltweit größten ihrer Art handeln müssen. Außerdem um eine Millioneninvestition. Leider haben sich auch keine Bilder oder sonstigen Zeugnisse erhalten.

Rätselhafterweise verschwanden sie genau in dem Jahr, in dem Thoronka für ebendiese Geräte den mit 100.000 Dollar dotierten „Global Student Award“ erhielt. Und obwohl sie ein revolutionäres Energieerzeugungskonzept darstellten, baute Jeremiah Thoronkas Firma „Optim Energy“ auch nirgendwo Nachfolger. Was wiederum die Frage aufwirft, womit sich das Unternehmen heute beschäftigt. Denn auf Thoronkas Facebook-Seite – seiner einzigen öffentlichen Repräsentanz überhaupt – trägt er nach wie vor die Bezeichnung „CEO & Founder bei Optim Energy“, noch vor seinen weiteren Tätigkeiten bei der „Youth Engagement Group bei der Climate Overshot Commission“, seinem Praktikum bei der Unesco und seiner Funktion als „Ambassador bei One Young World“.

Bei dem Pressemitteilungs-Satz „In der Jury wurden während des Auswahlprozesses Herausforderungen in Bezug auf sein Projekt erörtert“ handelt es sich um feinstes Sprech des internationalen Wichtigkeits-Blingbling-Zirkus, in dem nie Probleme, Zweifel oder sogar Peinlichkeiten auftauchen dürfen, jedenfalls nicht innerhalb des eigenen Milieus, sondern immer nur „challenges“. Besonders gern benutzen Kommunikatoren „challenge“ als rhetorischen Blattgoldüberzug für übelriechende Sachverhalte, die sonst unkontrolliert vor sich hindampfen würden. Mit anderen Worten: Die beiden Wundermaschinen des jungen Mannes gibt es nicht, auch kein Dokument, und möglicherweise fiel das sogar dem einen oder anderen Juror auf.

Machte aber nichts, denn entweder schon auf der Jurysitzung oder zumindest jetzt nach der Recherche von TE lautet die Begründung für den Preis eben etwas anders, kurzum, das Festival wechselt einfach nachträglich die Kategorie von „Erfinder“ zu „irgendwie bekannter junger Mann aus Afrika“:

„Es wurde festgestellt, dass der Empfänger, vor allem durch sein hohes Engagement in so jungen Jahren und seine Vorbildfunktion in seinem Heimatland, die Kriterien der Kategorie Youngster erfüllt.
Im Rahmen der Preisverleihung haben wir Jeremiah Thoronka als einen jungen Menschen kennengelernt, der viele für das Thema der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen sensibilisieren und begeistern kann.“

Seine Vorbildfunktion erstreckt sich vermutlich weit über Sierra Leone hinaus. Er liefert immerhin den Beweis, dass weit oben im Norden Länder und Stämme existieren, die auf dem Gebiet der Energieerzeugung jede Geschichte glauben, ob von stromerzeugenden Fernsehern oder leider verschollenen piezoelektrischen Kraftwerken. Hauptsache, sie kommen mit einem kräftigen Schuss Exotik daher. Für die Geldversorgung durch zwar nicht erneuerbare, aber fast unerschöpfliche Quellen kann Thoronka mit Sicherheit viele begeistern, die anderswo ihre Chance suchen. Dass junge gewitzte Afrikaner einmal in Europa grünliche Glasperlen anbieten und dafür Geldschätze bekommen würden, dieser Ansatz sollte in der praktischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte unbedingt weiterverfolgt werden.

In der englischen Version der Greentech-Mitteilung lautet diese Stelle: „During the award ceremony, we got to know Jeremiah Thoronka as a young person who can sensitise and inspire many for the topic of energy supply from renewable sources.“ Das Zauberwort lautet „inspire“. Mittlerweile kommt kein Podium und kaum eine Rede im Brummkreiselgeschäft der internationalen One-World Solutions ohne den Klingelbegriff „inspiration“ aus. Es besitzt ungefähr den Stellenwert wie vor einigen Jahren „disruption“. Wer die Wendung damals nicht mindestens zehnmal in seinem Redefluss unterbrachte, konnte noch nicht einmal als Berater Tagessätze von 500 Euro verlangen, geschweige denn als CEO Finanzprodukte verkaufen.

„Inspiration“ ersetzt heute weitgehend das Materielle. Jemand hat also keine Stromversorgungsanlagen in Afrika gebaut, jedenfalls gibt es niemand, der sie bezeugen kann? Macht nichts, solange er inspirierend wirkt. Das ist ungefähr so, als hätte der Kaiser seinerzeit Wilhelm Voigt dazu beglückwünscht, mit seiner Beschlagnahmung der Köpenicker Stadtkasse viele Menschen im Reich für das deutsche Militär begeistert zu haben.

Warum bei so viel Inspiration nun Boston Partners den Auswahlprozess des Greentech-Festivals optimieren muss, bleibt im Dunkeln. Zumal übrigens ein Vertreter von Boston Consulting schon in der Jury von 2023 saß.

Jeremiah Thoronka verfügt über erhebliche Fähigkeiten, vielleicht nicht auf dem Gebiet der Energie-, wohl aber der Psychotechnik. Er erkannte nicht nur scharfsichtig den gewaltigen Bedarf an Preisträgern westlicher Institutionen, die identitätspolitischen Kriterien genügen müssen. Sondern auch den vor allem in Deutschland verbreiteten Glauben, dass sich komplexe technische Probleme im Handstreich und mit einem magischen Ruck lösen, wenn nur der Richtige kommt.

Jeremiah Thoronkas Preisauswurfmaschine funktioniert übrigens genau umgekehrt proportional zur Piezoelektrik: Sie erzeugt mit minimalem Aufwand ein beachtliches Ergebnis. Nach dem Commonwealth Youth Award und dem Global Students Award war der Berliner Greentech Award immerhin schon Nummer drei.

Das Greentech-Festival seinerseits zieht weiter seine Bahn als inspirierendes Ereignis in einer wunderbaren Welt, die zumindest aufmerksamkeitsökonomisch wie geschmiert läuft. Zum nächsten GTF ruft Nico Rosberg für September nach New York.

Falls es den Posten noch zu besetzen gibt: Einen besseren Kapitaleinsammler als Thoronka fände Rosberg nirgendwo.

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