Mit einer Verschärfung des Bundesdisziplinarrechts will Innenministerin Nancy Faeser (SPD) noch in diesem Jahr „gegen Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst vorgehen“. Ihre Begründung für das Projekt: „Die Verfahren dauern zu lang. Ich will Extremisten schneller aus dem Dienst entfernen.“
Dabei zielt ihre Rhetorik nur in eine Richtung: Ihr geht es um Rechtsextremisten in Bundeswehr, Polizei und sonstigen Sicherheitsbehörden. Denn dort hätte diese Sorte von Verfassungsfeinden, so die Ministerin, Zugang zu „Spezialwissen“ und Waffen.
Um die Dringlichkeit ihres Vorhabens zu untermauern, legte die Bundesministerin, die kurz vor ihrem Amtsantritt in Berlin selbst durch einen Meinungsbeitrag in einem linksextremistischen Blatt aufgefallen war, eine Statistik vor, die sich ausschließlich auf Rechtsextremismus-Verdachtsfälle in den Polizeibehörden von Bund und Ländern, dem Zoll, der Bundeswehr und im Bundesnachrichtendienst konzentriert. Diese Zahlen belegen gerade nicht, was Faeser beweisen will: Nämlich eine sicherheitsgefährdende Unterwanderung der Behörden durch Rechtsextremisten.
Das beginnt schon mit dem Erfassungszeitraum: Wahrscheinlich um überhaupt zu nennenswerten Zahlen zu kommen, präsentierte das Bundesinnenministerium eine Sammelstatistik angeblich rechtsextremer Verdachtsfälle aus den Jahren 2018 bis 2021. Daraus ergebe sich ein „deutlicher Anstieg“ im Vergleich zu den Jahren vorher.
Allerdings änderte sich in dieser Zeit auch die Bewertungsbasis erheblich. Denn im Jahr 2019 stuften das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzämter der Länder die Jugendorganisation der AfD, die „Junge Alternative“, als rechtsextremen „Verdachtsfall“ ein, genauso wie den so genannten „Flügel“ der AfD. Durch diese Einordnung stieg die Zahl derjenigen, die aus Verfassungsschutz-Sicht in Deutschland zum Bereich Rechtsextremismus gezählt werden, sprunghaft von 24 100 auf 32 200 an. Mitgliedschaft in diesen Organisationen, aber auch der Besuch von Veranstaltungen galt von da an für Angehörige des öffentlichen Dienstes als Anhaltspunkt für eine rechtsextreme Gesinnung. Nicht nur durch die Einstufung, sondern auch durch die verstärkte Beschäftigung der Nachrichtendienste mit JA und AfD-Flügel ergaben sich folglich zwischen 2018 und 2021 deutlich mehr Verdachtsfälle in Sicherheitsbereich. Trotzdem wirken die Zahlen, die das Innenministerium sammelte, eher wie ein Beleg für den geringen Anteil rechter Extremisten bei Bundeswehr, Polizei und anderen Behörden statt als schlagender Beweis für eine Unterwanderung durch Rechtsaußen-Kader.
Laut Lagebericht des Bundesamts für Verfassungsschutz wurden in den drei Jahren insgesamt in 860 Fällen Ermittlungen in Gang gesetzt. Dabei fanden sich aber gerade bei 327 Mitarbeitern laut Bericht überhaupt Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Gesinnung. Das heißt: bei mehr als der Hälfte handelte es überhaupt nicht um Verdachtsfälle, sondern bestenfalls um falsche oder zumindest unbelegte Vermutungen. Zu Strafverfahren und Entlassungen kam es dem Innenministerium zufolge nur in einzelnen Fällen.
Wie winzig diese Zahlen sind, zeigt sich erst im Vergleich zur Größe des untersuchten Bereichs. Bei der Bundeswehr dienen 174 599 Berufs- und Zeitsoldaten, außerdem noch einmal 8867 freiwillig Wehrdienstleistende, bei den Polizeien der Länder etwa 220 000 Beamte, bei der Bundespolizei 54 000, dem Zoll 39 000 und dem BND 6000. Das heißt: unter gut einer halben Million Männer und Frauen fanden sich innerhalb von drei Jahren trotz verschärfter Kriterien nur 327 konkrete Verdachtsfälle, die sich nur bei einer noch viel geringeren Zahl so weit erhärteten, dass sie zur Entlassung führten. Weder passt die Statistik zur beschworenen rechten Gefahr im Sicherheitsbereich – noch zu der grundsätzlichen Behauptung Faesers, der Rechtsextremismus in Deutschland sei die „größte Bedrohung der inneren Sicherheit“.
Eine von ihr geplante Beschleunigung von Disziplinarverfahren dürfte vor allem bedeuten: Die Möglichkeiten zur Verteidigung werden für die Verdächtigen eingeschränkt. In der Vergangenheit zeigte sich oft, wie wichtig eine gründliche Untersuchung und auch die rechtliche Gegenwehr für die Betroffenen sein können. In dem Fall der von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vorverurteilten Beamten des Frankfurter SEK etwa ergaben die Nachforschungen, dass alle Mutmaßungen über angeblich rechtsradikale Aktivitäten in der Sondereinheit auf falschen Verdächtigungen und aufgeblasenen Bagatellen beruhten.
Im Verfahren gegen den Bundeswehr-Offizier Marcel Bohnert, dem das ARD-Magazin „Panorama“ mit Hilfe einer linksextremen Kronzeugin rechtsradikale Sympathien anzuhängen versuchte, lösten sich die angeblichen Beweise ins Nichts auf.
Das Disziplinarverfahren gegen Bohnert wurde eingestellt. Auch der so gennannte „Bundeswehrskandal“, den die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) behauptet hatte – um dabei praktisch der gesamten Spitze der Armee gleichzeitig „Führungsversagen auf mehreren Ebenen“ vorzuwerfen, zerbröselte nach längeren Ermittlungen in mehrere unbelegte Verdächteleien und ebenso kleine wie banale Dienstvergehen.
Widerstand gegen Faesers Kurzen-Prozess-Plan kommt von mehreren Gewerkschaften. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt verbittet sich das „Herausgreifen“ einzelner Berufsgruppen wie der Polizei. Wenn schon, findet er, dann müsste der gesamte öffentliche Dienst auf Extremisten aller Art überprüft werden. Ganz ähnlich sieht es Marcel Luthe, Vorsitzende der 2021 gegründeten Gewerkschaft GGG, der auch etliche Polizeibeamte und andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes angehören. „Die Regierung glaubt offenbar, die Werteordnung des Grundsetzes weiter aufweichen zu können“, so Luthe gegenüber TE. „Der erste Gesinnungstest gebührt Frau Faeser, die ganz offensichtlich keinen Respekt vor dem grundrechtsgleichen Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Meinungsfreiheit hat, deren Grenzen allein durch das objektive Strafrecht gesetzt wären. Damit wäre sie dann in ihrem Amt Geschichte.
Gegen eine Ausweitung der Extremismus-Überprüfung auf alle Extremismus-Varianten und den gesamten öffentlichen Dienst – und damit auch auf die Schulen und Universitäten – wehrt sich wiederum die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Den das bedeute eine Wiederkehr des Radikalenerlasses, zitierte die WELT GEW-Chefin Maike Finnen. „Eine Rückkehr zu diesen Praktiken, die in Teilen zu einem Spitzelwesen führten, können wir nicht wollen,“ meint die Funktionärin.