Die RKI-Files sind noch nicht entschwärzt und der Ruf nach einer Enquete-Kommission noch nicht verhallt, da will die Ampel bereits vollendete Tatsachen schaffen und das Infektionsschutzgesetz überarbeiten. Zukünftigen Pandemien – mit denen man offensichtlich fest rechnet – soll somit auf besserer Rechtsgrundlage begegnet werden. Doch ob all das, was dem Schutz des Rechts gilt, tatsächlich dem Bürger zugute kommt, darf vorsichtig bezweifelt werden.
Zur Erinnerung: Bereits nach der Bundestagswahl 2021 verständigten sich SPD, Grüne und FDP auf ein Eckpunktepapier, in dem die grundlegende Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes angekündigt wurde. Lange war es darum still geworden, die von der FDP geforderte Enquete-Kommission wurde von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erst kürzlich wieder als „zutiefst politische Maßnahme“ abgelehnt, doch das im Rahmen der RKI-Files neu entfachte Interesse an der Pandemiepolitik hat nun scheinbar doch Bewegung ins Spiel gebracht.
Was erst einmal nach Schutz der Grundrechte klingt, wird sich letztlich aber am Resultat messen lassen müssen, denn das rechtliche Pendel kann – hört man auf die Fraktionsvertreter der Ampel – momentan wohl in jede Richtung ausschlagen. Aber wer glaubt, dass es wirklich zu einer Stärkung demokratischer „Checks and Balances“ führen wird?
Wenn sich die Politik wieder einmal auf Experten beruft
Konkreter als seine grüne Kollegin wird der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, der sich auf eine Evaluierung externer Sachverständiger aus 2022 beruft, die als „Blaupause“ für die Aufarbeitung im Bundestag herhalten sollte. „Der Bundestag sollte in einem Beschluss festhalten, welche Maßnahmen wirksam waren, und das Infektionsschutzgesetz überarbeiten, wie im Evaluierungsbericht empfohlen,“ meinte Fechner. Eine Enquete-Kommission bräuchte es da wohl nicht mehr für den SPD-Politiker, man hat ja einen Bericht von Experten.
Wie unabhängig oder auch nicht solche Experten sind, stellten zwar eben erst die RKI-Files in Frage, aber wieder einmal scheint die Devise zu lauten: „Corona-Maßnahmen wie die Schul- und Kitaschließungen waren überzogen“, ansonsten sollte man wohl die Kirche im Dorf lassen, es war nicht alles schlecht und überzogene Kritik würde ja ohnehin nur die Rechten stärken.
Nicht nur also wird hier bereits wieder Stimmung für die „nächste Pandemie“ gemacht, in einer bemerkenswerten Widersprüchlichkeit plädiert Ullmann dafür, einer „sich ständig verändernden Welt der Gesundheitsrisiken“ mit vorauseilender Gesetzgebung zu begegnen. Denn dass mit deutschen Gesetzen nicht zu spaßen ist, müsste sich wohl auch schon im Reich der Viren rumgesprochen haben.
Die pandemische Inflation
Einigkeit herrscht allerdings sowohl bei Ullmann als auch bei Fechner, als es um die bereits angeführte Evaluierung externer Sachverständiger als Grundlage für die Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes geht. Doch ist dieser Bericht aus 2022 wirklich eine umfassende und kritische Auseinandersetzung mit der Maßnahmenpolitik der Pandemie?
In der öffentlichen Darstellung, ja. Da ist differenziert die Rede von einem „kurzfristigen positiven Effekt“ durch Lockdowns am Anfang der Pandemie. Später hätte es jedoch „unerwünschte“ Wirkungen gegeben, die zu Lasten der physischen, psychischen, aber auch wirtschaftlichen Volksgesundheit gingen. Die Schulschließungen sieht der Bericht kritisch, Maßnahmen wie die Maskenpflicht und 2G werden ambivalent beurteilt.
Ist dem aber so? Ein Blick auf die Liste der Epidemien und Pandemien der letzten 100 Jahre offenbart, dass mit Ausnahme periodisch wiederkehrender schwerer Influenza-Wellen, die auch noch nach dem 2. Weltkrieg Millionen Menschenleben kosteten, ein Großteil der Ausbrüche anderer Krankheiten weniger Menschenleben kosteten, als die Grippe es Jahr für Jahr in Deutschland tut. Allerdings wird über all diese Epidemien und Pandemien weitaus genauer buchgeführt, als in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor.
Der Schutz des Bürgers vor sich selbst
Davon unbeeindruckt beharrt die Evaluierung auf dem Standpunkt der pandemischen Notlage. Im Kapitel „2.2. Notwendigkeit staatlicher Interventionen“ begründen die externen Sachverständigen das staatliche Eingreifen wie folgt:
„Ihre inhaltliche Rechtfertigung finden staatliche Eingriffe zum Gesundheitsschutz im Angesicht einer bedrohlichen Infektionskrankheit wie SARS-CoV-2 grundsätzlich darin, dass individuelles Verhalten gesellschaftliche Ausstrahlungseffekte hat. Hierüber zielgruppenspezifisch und verständlich aufzuklären und präventives Verhalten durch starke Kampagnen zu befördern, ist Aufgabe der staatlich zu organisierenden Risikokommunikation (siehe Kapitel 5). Auch wenn dies sach- und fachgerecht geleistet wird, bleibt eine Lücke.
Private Akteurinnen und Akteure beziehen die Folgen ihres Handelns für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht immer vollständig in ihre eigenen Entscheidungen mit ein. In diesem Fall klaffen das private und das gesellschaftliche Interesse auseinander und staatliches Handeln kann dazu beitragen, das Ergebnis der individuellen Handlungen zum Wohle des gesellschaftlichen Interesses zu korrigieren.“
Und etwas später:
„Im Kontext des Gesundheitsschutzes weisen Maßnahmen zum Schutz vor Neuinfektionen, wie etwa das Meiden von Begegnungen, oder das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Raum so genannte positive externe Effekte auf. Sie schützen nicht allein die Handelnden, sondern indirekt auch deren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ohne staatliches Zutun wird die individuelle Abwägung zwischen den mit diesen Schutzmaßnahmen verbundenen Mühen und dem privaten Nutzen dieser positiven externen Effekte meist nicht vollständig berücksichtigt. Um dieses Defizit zu korrigieren, kann der Staat auf vielfältige Weise eingreifen, durch Appelle und Informationen, durch das Setzen von Anreizen und nicht zuletzt durch Gebote und Verbote.“
Die Evaluierung bestätigt somit den Staat in seinem unfehlbaren und therapeutischen Anspruch. Wo Privatpersonen versagen, muss der allwissende und allsehende Staat einschreiten, um „das Ergebnis der individuellen Handlungen zum Wohle des gesellschaftlichen Interesses zu korrigieren“.
Lehren aus der Pandemie? Hand in Hand gegen Desinformation!
Ob der Staat überhaupt die richtigen Prioritäten setzt, um das gesellschaftliche Interesse korrekt zu definieren, wird dabei nicht thematisiert und ergo auch nicht hinterfragt. Diese Kompetenz wird als gegeben angesehen, weshalb der Bericht nicht die Frage des „ob“ stellt, sondern lediglich das „wie“ gründlich thematisiert. Unter „5.3. Empfehlungen für zukünftige Krisensituationen“ werden zukünftigen Regierungen genau solche Tipps gegeben.
Nicht die Alternativlosigkeit der als „Impfung“ verkauften experimentellen Gentherapie war das Problem, sondern eine mangelnde Impfkommunikation, die dafür verantwortlich war, dass die Impfbereitschaft von ursprünglich 70 Prozent auf unter 50 Prozent absank. „Hier hätte eine frühzeitige, gezielte, vielschichtige, abgestimmte und umfassende Kommunikationsstrategie sehr wahrscheinlich dem Vertrauensverlust entgegenwirken können.“ Nicht die Mogelpackung „Covid-Impfung“ war das Problem, nein, man hätte es nur besser verkaufen müssen. Das ist die Art von Aufarbeitung, die der Ampel gefällt.
Eine Reihe von Stichpunkten führt an, wie es besser gehen soll: „Positive Botschaften und Zukunftsszenarien in den Vordergrund stellen“, „Bürgerbeteiligung mitdenken“, „Besonderen Fokus auf die unentschlossenen Bürgerinnen und Bürger setzen: Diese Gruppe kann durch Kampagnen noch erreicht werden und hat ein deutlich höheres wahrgenommenes Informationsdefizit“ – so lauten nur einige der Ratschläge, die im Endeffekt nur weiter die ohnehin bestehenden Parolen von besserer Aufklärung über die Vorteile der Impfung perpetuieren.
Welchen Wert diese Evaluierung hat, angesichts der zahllosen mittlerweile bestätigten „Verschwörungstheorien“ über die Impfstoffe, zeigt sich nicht zuletzt am Unterpunkt „Desinformation entgegenwirken“:
„Um Desinformationen wirksam entgegenzutreten, reicht es nicht, diese einfach zu widerlegen. Nötig ist vielmehr ein vielfältiges Engagement, das Aufklärung, Datenerhebung, Dialog, Kooperation und zielgerichtete Kommunikation erfordert. Eine übergeordnete nationale Strategie kann diesen Prozess in Zukunft unterstützen: Sie sollte von staatlichen Institutionen sowie von Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Journalismus gemeinsam etabliert und umgesetzt werden. Möglichkeiten zur stärkeren Bürgerbeteiligung können hier leicht integriert werden. Denkbar ist etwa ein Portal, über das Bürgerinnen und Bürger Quellen mit Verdacht auf Desinformation melden können und Rückmeldung zum Ergebnis der Prüfung erhalten.“
Mit anderen Worten: Staatliche Organisationen, Experten aus der Wissenschaft, sowie die Medien sollen gemeinsam eine „nationale Strategie“ entwickeln, um mit „zielgerichteter Kommunikation“ sogenannte Desinformation zu bekämpfen. „Stärkere Bürgerbeteiligung“ bedeutet in diesem Fall konkret die Entwicklung von Meldeportalen für unliebsame Informationen.
Pandemische Angst als Dauerzustand
Der zentrale Rat zum Abschluss: „Für die nächste Pandemie bereit sein“. Das erreiche man vor allem über „Kommunikationsstrategien und -maßnahmen“. Entscheidend sei dabei auch, dass die „notwendigen Kommunikationskanäle und -strukturen“ auch „in interpandemischen Phasen erhalten bleiben“. Wer das nächste Mal also eine noch fügsamere Bevölkerung will, muss die Panikkommunikation durchgehend beibehalten.
Das sind aber nur einige Beispiele der von SPD und FDP so hochgelobten Evaluierung, die als „ein deutliches Signal“ (Zitat Ullmann) für die Neuausrichtung des Infektionsschutzgesetzes gesehen werden. Das Gesundheitsministerium rund um Karl Lauterbach ist jedenfalls erfreut und sammelt bereits seit 2023 fleißig Änderungsvorschläge für das Gesetz.
Und auch die WHO dürfte sich über diesen Vorstoß freuen. Deren umstrittener Pandemievertrag, der de facto Nationalstaaten im Falle einer Pandemie entmachten könnte, stößt zwar noch auf Widerstand, aber nationale Gesetzgebungen können auch wie einst beim NetzDG, das zum Vorbild für den Digital Services Act der EU wurde, den Weg zur Durchsetzung der unliebsamsten Abkommen ebnen.