Import-Antisemitismus in Deutschland: Wenn Polenz sich nicht an Polenz erinnert
Redaktion
Angesichts der Ausschreitungen in Berlin und anderswo fühlt sich der Ex-CDU-General bemüßigt, die Grenzöffnung durch Merkel zu verteidigen. Dabei schwindelt er erstens. Und zeigt zweitens eine erstaunliche Gedächtnislücke.
Aufmärsche wie in Essen, wo Demonstranten ein „weltweites Kalifat“ forderten, aggressive Kundgebungen gegen Israel wie in Berlin, wo Fanatiker den Neptunbrunnen mit der Geste von Eroberern erkletterten – diese Bilder scheinen auch dem früheren CDU-Generalsekretär Rupert Polenz mittlerweile so unangenehm, dass sich der treueste der treuen Merkelianer zur Rechtfertigung gezwungen sieht. Denn der Zusammenhang zwischen den Szenen auf deutschen Straßen der von Angela Merkel 2015 dem Land aufgezwungenen islamischen Masseneinwanderung lässt sich nun mal schlecht abstreiten.
Polenz verkündet auf Twitter, es gebe trotzdem nichts zu bereuen: „Es bleibt richtig, dass Merkel 2015 die syrischen Flüchtlinge nicht zu dem Kriegsverbrecher Assad zurückgeschickt hat“, behauptet der Ex-Politiker: „Ebenso vorhersehbar wie falsch, dass die damaligen Kritiker:innen jetzt darin die Hauptursache für Antisemitismus in Deutschland sehen.“
— Ruprecht Polenz @polenz.bsky??????????? (@polenz_r) November 5, 2023
In den wenigen Zeilen verbergen sich gleich mehrere Falschdarstellungen. Erstens kamen 2015 und in den Folgejahren eben nicht, wie Polenz suggeriert, nur Assad-Gegner, also seiner Vorstellung nach politisch Verfolgte und künftige Demokratieanhänger. Sondern auch zahlreiche Assad-Parteigänger, außerdem noch etliche fanatisierte Anhänger des Islamischen Staates (IS). Zweitens hätte eine Nichtöffnung der deutschen Grenzen nicht bedeutet, dass diese Migranten nach Syrien hätten „zurückgeschickt“ werden müssen: Viele von ihnen kamen sowieso nicht direkt aus Syrien, sondern aus unterversorgten Flüchtlingslagern der Anrainerstaaten.
Mit einem Teil des Geldes, das in Deutschland zu Unterbringung der Migranten aufgebracht werden musste, wäre es problemlos möglich gewesen, die Kriegsflüchtlinge dort auf einem guten Niveau unterzubringen. Abgesehen davon stammte 2015 noch nicht einmal die Hälfte der Migranten, die nach Deutschland hereingelassen wurden, tatsächlich aus Syrien. Sehr viele kamen aus anderen – meist islamischen – Ländern: Tunesien, Marokko, Irak, Afghanistan, Pakistan, außerdem vom Westbalkan.
Neben Polenz’ Twitter-Märchenstunde gibt es noch einen zweiten und entscheidenden Punkt – und zwar im Archiv. Im Jahr 2012 sprach sich ein prominenter CDU-Politiker ausdrücklich gegen die Aufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen aus. Stattdessen, meinte er, sollten die Nachbarländer sie aufnehmen – und Deutschland ihnen dabei helfen. Der Name des CDU-Manns: Ruprecht Polenz.
Vielleicht liegt es gar nicht am Alter, dass sich Merkels Ex-General heute so schlecht an den Polenz von 2012 erinnert. Er zählt wie Merkel selbst zu der Politikersorte, die immer meinen, alles richtig gemacht zu haben – selbst wenn um sie herum alle Illusionen in Trümmer fallen.
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