Tichys Einblick
Die Frage nach der Dunkelziffer

Skeptische Hausärzte berichten über Impfnebenwirkungen

Hausärzte berichten, dass Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe womöglich öfter auftreten, als Zahlen vom Paul-Ehrlich-Institut ausweisen. Auch der Medizinprofessor Paul Cullen warnt, die Dunkelziffer könnte höher sein. Eine britische Studie zeigt derweil ein sehr geringes Risiko von Herzerkrankungen nach Impfungen.

Erich Freisleben hat 750 Patienten geimpft – die allermeisten waren über 60. Aufgrund seiner Erfahrungen sieht der Berliner Mediziner die Corona-Impfstoffe kritisch. Er schätzt im Interview mit der Initiative allesaufdentisch, dass nicht nur wie vom Paul-Ehrlich-Institut angegeben, bei 1,6 von 1.000 Geimpften, beziehungsweise 3,2 von 1.000 zweifach Geimpften Nebenwirkungen auftreten, „wenn ich daran denke dass ich schon bei Tausend mehr als 20, also fast das Zehnfache, gemeldet habe“. Das entspreche, so Freisleben, bundesweit 200.000 bis 300.000 Nebenwirkungen bei Geimpften.

Jens Wagner bietet die dritte Corona-Impfung gar nicht mehr an. Die am eigenen Patientenklientel beobachtbare Nebenwirkungsrate erscheine zu hoch, die Schutzwirkung auf Dauer zu gering, heißt es auf der Website des Arztes. Auf TE-Anfrage erklärt Wagner: „Die Nebenwirkungsrate liegt geschätzt bei 0,5 bis 3 Prozent ernsthaften Nebenwirkungen (z.B. Schlaganfall oder Herzinfarkt, innere Blutungen oder Organentzündungen) und bei 5 bis 10 Prozent Nebenwirkungen, die ungewöhnlich sind und über das normale Maß hinausgehen (z.B. Gürtelrose).“ Er selbst habe rund 250 Patienten geimpft und stehe pro Quartal mit bis zu 2.500 Patienten in Kontakt. Im Übrigen sei er bei der Erfassung von Dunkelziffern in Sterbestatistiken kein Laie, sagt Wagner. Er habe für die Medizinerorganisation IPPNW Deutschland eine Studie über Statistik und Kollateralschäden im Irakkrieg herausgegeben.

Ein dritter Hausarzt berichtet am Telefon über wenige Nebenwirkungen bei den eigenen Patienten. Der Mann impft bloß über 70-Jährige. „Ich hatte zwei Patienten mit einer Thrombozytopenie“, sagt der Mediziner, der anonym bleiben möchte. Er und der Berliner Mediziner Freisleben berichten übereinstimmend, dass Nebenwirkungen vor allem bei Jüngeren auftreten. „Ältere haben ein schwächeres Immunsystem“, erklärt der anonyme Hausarzt.

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Dennoch ist auch er besorgt. Zu Hochzeiten der Impfkampagne habe er bei vielen Jüngeren, die sich in Impfzentren impfen ließen, Nebenwirkungen festgestellt. „Eine akute Impfreaktion mit Symptomen wie Schüttelfrost und hohem Fieber war in manchen Wochen die häufigste Diagnose“, sagt er. Das habe er bei noch keinem Impfstoff erlebt. Auch junge Leute mit Herzmuskelentzündungen, die keine Treppen mehr hochgehen konnten, habe er in seiner Praxis behandelt.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als staatliche Arzneimittelbehörde sammelt Verdachtsmeldungen über Nebenwirkungen. Diese Zahlen liegen deutlich niedriger als die Schätzungen der oben zitierten Ärzte. Laut dem Sicherheitsbericht vom 26. Oktober liegt die Verdachtsrate bei 1,6 pro 1.000 verimpften Dosen. Die Rate bei schwerwiegenden Nebenwirkungen beträgt sogar bloß 0,2. Grob gerechnet bedeutet das: Bei rund 3 von 1.000 Geimpften könnten Nebenwirkungen vorliegen.

Laut Angaben des japanischen Gesundheitsministeriums kommen Entzündungen des Herzmuskels (Myokarditis) und des Herzbeutels (Perikarditis) als Nebenwirkung zwar vor, sind aber ausgesprochen selten. Demnach wurden bis zum 14. November von einer Million männlichen mit Moderna Geimpften bei 81,79 Jungen im Alter von 10 bis 19 Jahren und 48,76 Männern im Alter von 20 bis 29 Jahren Herzmuskel- oder Herzaußenhautentzündugen als Nebenwirkungen festgestellt. Bei denjenigen Jungen und jungen Männern, die mit dem Pfizer-Biontech-Impfstoff geimpft wurden, waren es entsprechend 15,66 bzw. 13,32 Personen mit diesen Nebenwirkungen. Nebenwirkungen, die bei weniger als 0,01 Prozent der Behandelten auftreten (also bei weniger als einem von 10.000), gelten als „sehr selten“.

Die Ergebnisse einer im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlichten Studie weichen davon ab. Es zeigte sich, dass innerhalb von 28 Tagen nach einer einfachen Impfung mit dem Mittel von Biontech/Pfizer zusätzlich eine Myokarditis-Erkrankung pro eine Million Menschen auftrat, beim Moderna-Impfstoff waren es sechs. Zehn solcher Fälle pro eine Million Menschen wurden zusätzlich nach der zweiten Moderna-Dosis beobachtet. Unter den Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, traten innerhalb von 28 Tagen pro eine Million Menschen 40 zusätzliche Herzmuskelentzündungen auf. Bei den Corona-Positiven wurde außerdem ein erhöhtes Risiko für Perikarditis und Herzrhythmusstörungen beobachtet. Laut dieser Studie wären also die gefährlichen Nebenwirkungen der Impfstoffe deutlich weniger häufig als dieselben Wirkungen bei Infizierten.

Zweifel an Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts

Der Mediziner Paul Cullen zweifelt indes an der Belastbarkeit der PEI-Zahlen. „Das sogenannte Underreporting, also die Dunkelziffer, könnte wesentlich größer sein“, erklärt er auf TE-Anfrage. Der Professor der Universität Münster verweist auf eine Studie des Vaccine Adverse Events Reporting System (VAERS), dem US-amerikanischen Gegenstück zum Meldesystem des PEI. Demnach werden weniger als ein Prozent der Impfnebenwirkungen überhaupt von den Ärzten oder den Betroffenen gemeldet. Bei harmlosen Nebenwirkungen ist das naheliegend. Bei ernsteren Nebenwirkungen ist die Dunkelziffer laut einem Fachartikel geringer. Studien schätzen die Dunkelziffer für das VAERS-Meldesystem demnach auf den Faktor 2 bis 10.

Laut Cullen sind Ärzte zwar gesetzlich verpflichtet, Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Impfungen an das PEI zu melden. Aber dafür müssten diese erst einmal einen Zusammenhang vermuten. „Auch wird nicht mal stichprobenartig systematisch erfasst, welche Kriterien zur Beurteilung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Nebenwirkung angewendet werden, noch ob diese Meldungen lückenlos erfolgen“, schrieb Cullen kürzlich in einem TE-Artikel.

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Japanisches Gesundheitsministerium warnt vor sehr seltenen Impf-Nebenwirkungen
Der Hausarzt Jens Wagner berichtet, dass er Nebenwirkungen zeitnah dem PEI melde. „Eine gute Erfassung von Nebenwirkungen ist allerdings ein erheblicher Zeitaufwand.“ Ein anderer Mediziner sagt, eine Meldung sei „nicht einfach”. Cullen zufolge baute das PEI sein Meldewesen im September 2018 aus. Damals ging ein Internet-Formular online, über welches die Bürger selbst Verdachtsmeldungen einreichen können. Aber auch in den Folgejahren hätten sich die Zahlen kaum erhöht. Das sei ein Indiz, dass die überwiegende Mehrzahl der Verdachtsmeldungen weiterhin von Ärzten stamme, sagt Cullen.

Er befürchtet, dass Ärzte wenig sensibilisiert für mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe sind. Es sei nicht anzunehmen, dass in Corona-Zeiten vergleichsweise öfter gemeldet würde als sonst. „Eher das Gegenteil ist der Fall“, sagt er. „Von vielen niedergelassenen Kollegen weiß ich, dass eine Verbindung von Gesundheitsschäden mit der Impfung oft von vorne herein nicht gesehen wird, sodass für sie eine Meldung nicht in Frage kommt.“

Auch der anonyme Hausarzt schätzt das Bewusstsein für Nebenwirkungen gering ein. „In einem anerkannten und vielgelesenen Fachmedium erscheinen meiner Beobachtung nach bloß wenige Berichte“, sagt er. Paul Cullen schrieb kürzlich auf TE, man gehe davon aus, „dass die Dunkelziffer bei der Meldung von schweren Impfnebenwirkungen inklusive Todesfallverdachtsmeldungen mindestens beim Fünffachen liegen dürfte.“

Das PEI ließ eine TE-Anfrage trotz Nachhakens unbeantwortet. In einer automatisierten Antwortmail heißt es, man erhalte derzeit viele Anfragen und könne nicht alle beantworten. Auf der PEI-Website heißt es außerdem: „Viele Menschen haben Angst vor Nebenwirkungen, die z.B: erst Jahre nach einer Impfung auftreten. Spätfolgen bei Impfstoffen gibt es nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand nicht.“

Paul Cullen sieht indes nicht bloß die Ärzte, sondern auch das PEI und das Gesundheitsministerium in der Pflicht. Man müsse Impfärzte darin schulen, worauf sie achten sollten, sagt er. „Auch könnte man in bestimmten Gruppen eine vollständige Erfassung aller Nebenwirkungen durch Fragebögen, Nachprüfen usw. anstreben, um ein objektives Maß für das Underreporting zu bekommen.“

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