Tichys Einblick

Im Totalglobalhauptamt spricht man deutsch

Nach der Flutkatastrophe übertreffen sich Politiker und Medien in Forderungen nach noch mehr Weltklimaschutz von Berlin und Brüssel aus. Lokales Versagen können sie kaum erkennen. Ein Land, in dem Sirenen nicht funktionieren, soll jedenfalls die Erde retten

IMAGO / Political-Moments

Am Berliner Spreeufer zwischen Deutschem Theater und Reichstag führten die Sprecher der Bundesregierung etwas auf, für das es bislang noch keine Bezeichnung gibt. Formal nannte sich das Ereignis Bundespressekonferenz. Das klingt allerdings unangemessen klein für einen Termin, dessen Videozusammenschnitt noch am gleichen Tag einige zehntausende Male angeklickt wurde, und auf den möglicherweise irgendwann Historiker zurückgreifen werden. Wobei sich auch die Frage aufdrängt, ob nicht spätestes jetzt das Fach der Psychohistorie gegründet werden sollte. Nach der tagelangen Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit insgesamt mehr als 180 Toten und dem mittlerweile erhärteten Verdacht, dass die Warnung vor dem Starkregen bei tausenden Menschen nicht ankam, saßen an 20. Juli im Saal der Bundespressekonferenz die Ministeriumssprecher vor Hauptstadtjournalisten. Sie fragten beispielsweise nach der Meldung durch die europäische Hochwasser-Warnzentrale EFAS: Wann kam sie bei der Bundesregierung an? Was passierte mit den Hinweisen auf Überflutungen? Das EFAS-Zentrum hatte nach eigenen Angaben am 9. Juli zum ersten mal eine akute Flutgefahr für Südwestdeutschland und Teile Belgiens und der Schweiz festgestellt, und vom 10. Juli an insgesamt 25 Warnmeldungen verschickt.

Nach den Angaben von Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der Universität Reading und Mitgründerin von EFAS warnte das Zentrum konkret vor Hochwasser der „extremen Kategorie“ und akuter Lebensgefahr. Für die Bereiche der Ahr beispielsweise hatte EFAS das Ausmaß der Überflutungen laut eigenen Angaben 24 Stunden vorher fast genau so vorhergesagt, wie es dann tatsächlich eingetreten war. Dass trotzdem so viele Menschen starben, so Cloke, sei ein „monumentales Systemversagen“.

In der Bundespressekonferenz fragten Journalisten also erwartungsgemäß nach genau diesen EFAS-Meldungen. Die zuständige Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums antwortete: „Wann wer wie wen informiert hat, dazu liegen mir keine Informationen vor.“ Und wie genau das EFAS mit dem deutschen Warnsystem überhaupt zusammenhänge, habe sie „gerade nicht im Kopf“. Der Journalist sollte am besten beim deutschen Wetterdienst nachfragen.

Viele Warnungen kamen offenbar auch deshalb in den betroffenen Orten nicht an, weil dort keine Sirenen ansprangen. Schon an dem so genannten „nationalen Warntag“ am 10. September 2020 hatte sich herausgestellt, dass das bundesweite Katastrophenwarnsystem selbst die Bezeichnung Katastrophe verdient, es funktionierte praktisch nichts. Der nächste „Warntag“ sollte eigentlich im September 2021 stattfinden, wurde dann aber – wegen immer noch bestehender gravierender Mängel – in den September 2022 verschoben. Das, so der Sprecher des Bundesinnenministers, sei immer noch „zeitnah“. Warum, wollte ein Journalist wissen, dauert es in einem Industrieland derartig lange, ein möglicherweise lebensrettendes System in Ordnung zu bringen?

„Die Warnlandschaft im Katastrophenschutz“, antwortete der Innenministeriumssprecher, „ist relativ umfangreich“. Wie viele Sirenen gibt es eigentlich in Deutschland? Wie viele davon sind zurzeit funktionstüchtig? Der Sprecher war überfragt, meinte aber: „Nach meinen Erkenntnissen haben in einigen Kommunen Sirenen auch funktioniert.“ Aber die ganze Angelegenheit, Sirenen innerhalb eines Jahres in Ordnung zu bringen, sei eben „eine komplexe Aufgabe“.
So zog sich die Pressekonferenz hin, von Nichtanworten bis zu der Aufforderung der Sprecherin, doch bitte nicht die Regierung zu behelligen, sondern woanders wegen der Warnkette nachzufragen.

Eine TE-Anfrage beim Umweltministerium in Rheinland-Pfalz ergab, dass die Hochwasser-Vorhersagezentrale am 14. Juli um 17.17 Uhr für den Kreis Ahrweiler die höchste Warnstufe herausgegeben hatte, vier Tage nach der ersten Warnung der EFAS. Unklar ist bis jetzt, was dann genau passierte. Ob beispielsweise Notquartiere in einer sicheren Gegend vorbereitet waren, um Menschen aus den besonders bedrohten Orten aufzunehmen. Oder ob Polizei mobilisiert wurde, um verlassene Häuser vor Plünderern zu schützen. Diese Fragen sind, wie gesagt, noch unbeantwortet. Aber die Schilderungen des Kölner Unternehmers Markus Wipperfürth, wie er mit anderen Privatleuten zwei Tage nach der Flut in dem kleinen Ort Schuld Schutt beiseite fuhr und Leichen ausgrub, ohne dass er in dieser Zeit irgendwelche staatlichen Kräfte gesehen hätte, diese Erzählung spricht nicht dafür, dass unmittelbar vor der katastrophalen Wasserwelle von offizieller Seite viel passiert wäre, um die Schäden möglichst klein zu halten.

Es existiert sogar ein eigenes Katastrophenwarnprojekt in Deutschland, eine Webseite mit dem Titel „Wir warnen Deutschland“.

Auf dieser Seite erfahren die Leser alles Mögliche, unter anderem, dass die EU das Ganze mit 14 Millionen Euro finanziert, und dass die Förderung im September 2021 ausläuft. Nur eine nicht ganz unerhebliche Information findet sich nirgends: Nämlich, was die Mitarbeiter von „Wir warnen Deutschland“ konkret vor der Flutkatastrophe mit welchem Erfolg unternommen hatten.

Das Bundesinnenministerium teilte nach der Flutkatastrophe mit, in der Katastrophen-Meldekette sei es zu keiner größeren Störung gekommen. Auf Anfrage von TE erklärt auch das rheinland-pfälzische Umweltministerium: „Das Zusammenspiel von Deutschem Wetterdienst (DWD), Landesamt für Umwelt und Klimaschutzministerium bei der Hochwasservorhersage und bei der Weitergabe der Informationen an die kommunale Ebene haben jederzeit einwandfrei funktioniert.“

Alles funktionierte – es sind nur viele tot

Die Öffentlichkeit steht also vor dem Phänomen, dass es zum einen über 180 Tote einer angekündigten Flutkatastrophe gibt, gewaltige Zerstörungen und an manchen Orten eine nur sehr schleppend anlaufende staatliche Unterstützung der Betroffenen, und auf der anderen Seite Behördenvertreter, die eine Woche später selbst einfache Fragen nicht beantworten können, nicht erklären, warum ein bekanntermaßen reparaturbedürftiges Sirenenwarnsystem auch nach einem Jahr nicht funktioniert, die aber versichern, eigentlich hätte alles im Großen und Ganzen reibungslos geklappt.
Die britische Hydrologin Hannah Cloke kommentiert diesen zustand übrigens so:

In einem Land mit einer halbwegs funktionierenden kritischen Öffentlichkeit würde es jetzt einen Untersuchungsausschuss oder auch mehrere geben, die sich mit der Frage befassen, wie Deutschland mit Notlagen auf dem eigenen Territorium umgeht.

Die Ähnlichkeit mit dem staatlichen Herumfuhrwerken in der Corona-Krise lassen sich kaum übersehen. Dazu später mehr.

Nach der Flutkatastrophe geschah allerdings folgendes: Während der überwiegende Teil des politisch-medialen Betriebs die Frage, ob vielleicht doch das eine oder andere schief gegangen sein könnte, höchstens am Rand behandelte, tat er das, was in dieser Republik im Gegensatz zu Sirenen immer funktioniert: Er übte sich in Totalglobalismus. In dieser Disziplin liegt das Land immer noch stabil an der Weltspitze. Zum Totalglobalismus gehört immer eine zeitliche und eine räumliche Dimension. Die erste umfasst größere Abschnitte des Jahrhunderts, die zweite mindestens den Kontinent, aber meist doch eher die Welt. Die prominente Fehlprognosenproduzentin Claudia Kemfert (EEG-Umlage 2020 3,5 Cent pro Kilowattstunde, Öl pro Barrel 200 Dollar) erklärte in einer TV-Sendung, die Flut im Ahrtal sei eine „Chance für eine Aufbruchsstimmung“, jetzt sei klar, dass Deutschland schon bis 2030 aus der Kohle aussteigen müsste, und „bis 2040 aus Öl und Gas“. Woher die nötige Grundlast dann kommt, erläuterte sie nicht. Es fragte in der Sendung auch niemand ernsthaft nach.

Luisa Neubauer findet diesen Zeithorizont nach dem Hochwasser noch richtiger und wichtiger als vorher,

wobei sie in dem Schlamassel auch nicht vergisst, ihr neues Buch über die planetaren Grenzen angemessen zu bewerben.

Markus Söder nannte die Flut einen „unglaublichen Weckruf der Natur“, und verlangte nach einem „Klimaruck“. Auf ihrer Sommerpressekonferenz erläuterte Angela Merkel, mit dem Weltklimaschutz müsse es jetzt schneller gehen, Deutschland werde schon 2045 „klimaneutral“, die EU 2050, damit die durchschnittliche Globaltemperatur bis 2100 unter der festgelegten Obergrenze bleibt. Bei ihr ist das Jahrhundert schon vollständig durchgeplant, allerdings nicht erst seit der Flut. Deutschland, das weiß Merkel, muss vorangehen. Allerdings könnte die Bundesrepublik die großen Herausforderungen wie Corona und Klima immer nur als Teil der „Weltgesamtheit“ lösen. Weltgesamtheit ist das Schlüsselwort des Totalglobalismus. Die Welt, das Millennium, die planetaren Grenzen – diese Begriffe stecken ungefähr ab, worum es dabei geht.

Für Spitzenrepräsentanten erweist sich dieses Konzept als außerordentlich praktisch. So, wie es an den Gerichtshöfen der Moral laut Hermann Lübbe keine Prozessordnung gibt, so wenig gibt es in der Globalpolitik Gewaltenteilung und parlamentarische Kontrolle oder überhaupt irgendeine Methode, die Zuständigkeit von irgendjemand festzustellen. Deshalb erfreut sich ja beides einer so großen Beliebtheit in der postmodernen politischen Klasse, die Moralisierung wie Globalisierung aller politischen Fragen. Hochwasserschutz in einer Gemeinde zu organisieren, ist mühsam und schwierig. Möglicherweise kommt es dabei auch zu Fehlern. Auf der anderen Seite fällt es schon sehr viel leichter, ein Kollektiv namens Wir zum globalen Handeln aufzufordern. Dabei geht nicht nur im Großen und Ganzen, sondern garantiert nie irgendetwas schief. Erstens, weil sich das Handeln immer auf Zeitmarkierungen wie 2050 oder 2080 richtet, und zweitens, weil sich schon durch die Größe des Kollektivs – wer gehört eigentlich nicht dazu? – jede persönliche Verantwortung auflöst wie ein eine Päckchen Zucker im Pazifik.

Deshalb versteht es sich von selbst, dass es sich bei der untersten Ebene, der des Dorfbürgermeisters, der sich um das lästige lokale Geschäft kümmern und ab und zu beschimpfen lassen muss, um die am schlechtesten bezahlte und am wenigsten begehrte Rangstufe der Politik handelt. In die A-Klasse stoßen nur Menschen vor, die über seltene Talente verfügen. Nicht jeder bringt beispielsweise die Nervenstärke mit, sich vor Kameras zu stellen und die Schaffung eines CO2-neutralen Kontinents bis 2050 zu verkünden, obwohl er weiß, dass eine EU-Kommission noch nicht einmal für den halben Kontinent zuständig ist, kein Kommissionsmitglied 2050 noch amtieren wird, und dass drittens genau diese Kommission, die für sich in Anspruch nimmt, den Totalumbau der Wirtschaften von 27 Ländern nach einem 29-Jahres-Plan feinzusteuern, vor ein paar Monaten schon bei der Corona-Impfstoffbestellung an ihre Grenzen gekommen war, und seit Jahren daran scheitert, die Elektrostecker in der EU zu vereinheitlichen.

Sollten Deutschland (Anteil am weltweiten menschengemachten CO2-Ausstoß: 2,3 Prozent) und die EU (Anteil: etwa 10 Prozent) tatsächlich weitgehend aus Öl und Gas aussteigen, dann sinkt am wahrscheinlichsten der Preis für beide Güter, was dazu führen dürfte, dass Länder wie Indien und Chinas mehr davon konsumieren. Der Verbrauch dürfte sich also verschieben, statt weltweit zu sinken. So, wie ein guter Teil der bisherigen CO2-Reduktionen in der EU-Klimabuchhaltung auf eine Produktionsverlagerung nach China und anderswo in Fernost beruht.

Die perfekte Fusion aus Regierungspolitik und Leitartikel

Den deutschen Totalglobalismus gäbe es nicht ohne eine fast völlige Fusion aus Regierungspolitik und Leitartikel. Der Autor dieses Textes arbeitete mehr als 25 Jahre für verschiedene Medien großer Verlage. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es dort geradezu eine Garantie dafür, dass die Chefredaktion Platz freiräumt, wenn jemand Probleme im Globalmaßstab zusammendenkt, planetare Leitplanken aufstellt und mit Begriffen wie Wir, globaler Norden und Jahrhundertaufgabe hantiert.

Die meisten ARD-Presseclubs finden inzwischen nach dem Muster der Global Solution Summit statt, dem politischen Lieblingsformat Angela Merkels. Recherchen innerorts, also zeitlich und räumlich auf Teile Deutschlands begrenzt, etwa über mangelnden Hochwasserschutz oder die öko- wie betriebswirtschaftliche Bilanz von Windrädern in süddeutschen Wäldern haben es vergleichsweise deutlich schwerer. Über der Tür zu den meisten Redaktionskonferenzräumen steht der imaginäre Satz: ‚Das ist mir jetzt zu detailliert’. Verbunden mit der Warnung, sich bloß nicht im Klein-Klein zu verlieren, egal, ob es um Klima, Energiewende oder Migration geht.

Im Kampf um einen Platz an der Tugendsonne herrscht seit mindestens 2015 ein so verschärfter Wettbewerb zwischen Medien und Politik, dass sich kaum erkennen lässt, wer eigentlich wen treibt. Einigkeit herrscht zwischen den Dioskuren in zwei Punkten: Deutschland muss den anderen vorangehen, und verfügt dafür auch über praktisch unbegrenzte Mittel. Um mit Karl Kraus zu sprechen: Im Haus des Totalglobalismus ist Prahlhans Küchenmeister.

In der Ferne und punktuell kann Berliner Regierungspolitik sogar pragmatisch sein. In Honduras finanziert das Bundesentwicklungshilfeministerium nach eigenen Angaben Hochwasserschutz, zu dem auch Regenwasserversickerungssysteme, Stützmauern, Wasserrückhaltebecken, Entwässerungsgräben und wiederaufgeforstete Wälder gehören, die dort offenbar nicht gleich wieder für Windparks ausgelichtet werden.

Ein wichtiges Merkmal des guten Totalglobalismus besteht in einem Widerwillen gegen jede Art von praktischen Maßnahmen, zumindest im unmittelbaren politischen Zuständigkeitsbereich. Während asiatische Länder schon frühzeitig Corona-Quarantänemaßnahmen an ihren Grenzen durchsetzten, konnten Maschinen auch aus Ländern mit hohen Infektionszahlen noch bis in den April 2020 in Deutschland landen, ohne dass die Passagiere untersucht oder ihre Daten festgehalten wurden.

Die Aufstellung von Luftfiltern in Schulen erwies sich – ähnlich wie die Sache mit den betriebsunfähigen Warnsirenen – als hochkomplex, weswegen erst einmal gar nichts passierte. Gegen eine bessere Sicherung von Alten- und Pflegeheimen vor Infektionen sperrte sich Merkel lange mit dem Argument, in einer Pandemie könnte man keine „einzelnen Bevölkerungsgruppen“ mehr schützen, da helfe nur der ganz große systemische Ansatz, also der Lockdown inklusive Ausgangssperre.
Breite Sympathie bei Politikern und Medienverantwortlichen erntete das klassisch totalglobale Konzept von „ZeroCovid“: Dessen Befürworter sahen das einzige Mittel zur Niederringung des Virus in einem europaweit einheitlichen Lockdown, der ihrem Manifest nach auch gleich zur Transformation in den Sozialismus genutzt werden sollte.

Auf die Feststellung, dass viele Gesundheitsämter im Land noch mit Fax und Karteikarten hantierten, antwortete Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus mit der Forderung, Deutschland brauche jetzt eine „Jahrhundertreform“ mindestens nach dem Vorbild der Stein-Hardenbergschen Umwälzungen zwischen 1807 und 1815. Solche Worte deuten in Deutschland sowohl auf Kanzler- als auch auf Leitartikeleignung hin.

Er besaß schon das richtige Gespür: Mit dem konkreten Vorschlag, sofort beispielsweise die Milliarde für Demokratieförderung in eine vernünftige IT-Ausstattung der deutschen Ämter umzulenken, wäre er in den meisten Medien schlecht angekommen.

Das zweite Merkmal der Totalglobalanschauung ist das völlige Desinteresse an der Frage, ob sich irgendeine Maßnahme dazu eignet, den angestrebten Zweck zu erreichen. Eine Maßnahme rechtfertigt sich in Deutschland nämlich nicht durch ihre Zweckhaftigkeit, sondern durch ihre gute Absicht. Wer eine Maskenpflicht im Freien verhängt, erklärt, dass er damit Corona bekämpft. Oder wollen Sie das etwa nicht? Darüber, dass es sich nach Ansicht von Aerosolexperten um eine Anordnung handelt, die auf die Virenverbreitung keinerlei Einfluss ausübt, lässt ein Politiker nicht sich verhandeln, der Corona mit der Pest vergleicht und das Wort „Klimaruck“ erfindet. Wer die Frage stellt, welchen Einfluss der deutsche oder EU-weite Kohle- , Öl- und Gasausstieg auf die Weltdurchschnittstemperatur des Jahres 2100 maximal entfalten kann, ist bei ihm aus den gleichen Gründen an der falschen Adresse.
An der Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal und den benachbarten Gebieten sind selbstverständlich nicht nur fehlende Sirenenwarnungen schuld. Sondern auch Fehler bei der Bebauung und eingeengte Flüsse. Aber selbst unter der Annahme der Totalglobalisten, dass ein deutsches und europäisches Vorangehen gegen jede Wahrscheinlichkeit weltweit zum Vorbild wird und so den Temperaturanstieg bis 2100 drosselt, selbst dann können über Ahr und Wupper auch in hundert Jahren noch Regengüsse niedergehen wie 1804, 1910 und 2021. Der ganz große systemische Ansatz über die Welttemperatursteuerung von Berlin und Brüssel aus macht also das Leben im Ahrtal nicht sicherer. Aber er eignet sich deutlich besser für Talksendungen als das Klein-Klein praktischer Maßnahmen und die lästige Frage, wer die politische Verantwortung für das trägt, was bei Katastrophenschutz schiefgegangen ist.

Für den Wiederaufbau der flutzerstörten Gebiete wollen Bund und Länder 400 Millionen Euro bereitstellen. Das sind immerhin zwei Drittel der Summe, die der geplante Anbau am Kanzleramt in Berlin kostet. Der Anbau wohlgemerkt, nicht die Neuerrichtung des ganzen Amtes. Bis jetzt ist das Bundeskanzleramt nur achtmal größer als das Weiße Haus. Die Erweiterung entspricht also ziemlich genau der Vorstellung über die Wichtigkeit Deutschlands in der Weltpolitik, die fast alle größeren Parteien und Medienredaktionen für selbstverständlich halten.

Was an der Spree entsteht, ist eine Art deutsches Totalglobalhauptamt. Darin sitzt dann vielleicht nicht die kompetenteste Digitalstaatssekretärin, vielleicht läuft auf den Rechnern auch eine Software die in Tel Aviv und Singapur niemand mehr benutzt. Vielleicht sind auch die Keller nicht ganz dicht.

Aber um das Weltbewusstsein im Inneren beneidet uns die restliche Erde.

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