Wohl zur vorletzten Sitzung vor der Bundestagswahl im Herbst versammeln sich die Unionsabgeordneten – zumindest virtuell –, um den wegweisenden Worten ihrer Führung zu lauschen. Und um die epidemische Notlage zu verlängern und das Grundgesetz auch über den Termin der Bundestagswahl mit Pseudo-Argumenten zu verlängern.
Zu Beginn zeigt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel froh über den CDU-Wahlsieg in Sachsen-Anhalt und gratuliert artig. Obwohl der eigensinnige Ministerpräsident Reiner Haseloff nicht zu ihren Freunden und Gefolgsleuten gehört. Ihr Wortbeitrag wäre diesmal ziemlich kurz und weitestgehend belanglos gewesen – natürlich bis auf Merkels Kampfthema Pandemie, berichten Teilnehmer. Zwar habe sie sich offiziell erleichtert gezeigt, dass die sogenannte Bundes-Notbremse auslaufen könne, aber gleichzeitig wie üblich den mahnenden Finger gehoben, so die Zuhörer. In der virtuellen Fraktionssitzung hätte sie klar für die Fortsetzung der „Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ geworben (siehe unten).
Statt Corona-Panik nun CDU-Jubel
Dass dem CDU-Spitzenkandidaten später bei der Bundestagswahl das demoskopische Pseudo-Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD und die Angstkampagne gegen diese helfen wird, ist unwahrscheinlich. Im Herbst ist der Hauptgegner weiblich und heißt Annalena Baerbock von den Grünen – die per se die Favoriten der meisten Journalisten sind.
Gegen diese grüne Konkurrentin, deren Pannen sich derzeit zwar häufen, aber von den meisten Medien noch moderat registriert werden, versucht Laschet nun anzugehen. Der Wahlsieg in Sachsen-Anhalt zeige, so der CDU-Chef, „die Grünen sind nicht unschlagbar.“ Sie liegen dort hinter der FDP, betont Laschet extra.
Dann kritisiert er noch die SPD, die in der Koalition gegen den umstrittenen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU keilt. „Mir ist es unerklärlich, warum die SPD nicht begreift, dass menschliches Niedermachen die Leute nicht mehr hören können.“ Jetzt holt Mit-Wahlsieger Laschet aus: „Wenn ich acht Prozent hätte, würde ich zwei, drei Tage gar nix sagen“, anstatt innerhalb einer Koalition so zu reden. „Das ist unerträglich.“
Die SPD erkämpfte sich nach Bayern, Sachsen und Thüringen auch in Sachsen-Anhalt mit 8,4 Prozent die historische Einstelligkeit.
Was folgt für Laschet aus der Wahl in Sachsen-Anhalt? Nicht nur Gutes. Seine CDU schneide zwar gut ab bei den über 60-jährigen und Frauen. „Aber bei den jungen Leuten war die CDU schwach.“ Das kenne man aus dem Westen, aber die jungen Leute im Osten haben nicht Grüne gewählt, sondern AfD. „Also je jünger, desto rechter“, klagt Laschet.
Das war für Teilnehmer interessant wie erschütternd zugleich. Wenn junge Wähler von der CDU zu den Grünen flüchten, ist das nicht schlimm, aber zur AfD schon. Je jünger, desto linker ist für die CDU-Führung eben offenbar besser.
Na dann, ab jetzt nicht mehr an der Tankstelle auf die Spritpreise schauen sowie die Strom- und Gasrechnungen gleich weglegen.
Gar nichts ist locker – pandemische Lage soll bleiben
Armin Laschet erklärt seinen Bundestagsabgeordneten noch zum Schluss: „Jetzt kommen wir in eine Phase, wo die Pandemie endet, wo wir Verordnungen zurücknehmen.“ Manche Menschen würden sogar sagen, „das war doch gar nicht so schlecht, der Staat hat jedes Risiko genommen, der hat alles bezahlt“.
Solches von Merkel verursachtes Obrigkeitsdenken findet der CDU-Chef jetzt nicht mehr so gut. Bis zu 500.000 Tests hätte allein Nordrhein-Westfalen am vergangenen Wochenende durchgeführt, doch dabei würden nur noch 0,1 Prozent der Bürger positiv getestet. Der NRW-Ministerpräsident klagt: „Wir zahlen dafür jeden Tag 16 Millionen Euro.“ Ergo: „Wir werden auf Dauer nicht mehr jedes Risiko im Land mit immer neuen Millionen Schulden finanzieren können. Wir müssen wieder auf mehr Eigenverantwortung setzen.“ Der Staat könne nicht alles durch Verordnungen regeln und den Menschen die Eigenverantwortung nehmen.
So was hat man länger nicht gehört in der CDU. Die Einsicht kommt sehr, sehr spät. Genau vor dieser Entmündigung haben Kritiker schon seit Monaten gewarnt und zehntausende Bürger dagegen protestiert, doch die werden schnell als Verschwörer stigmatisiert.
Selbst CDU-Chef Armin Laschet ist hier sofort umgefallen. Er hat sich nach Beratungen des Partei-Präsidiums bereits dafür ausgesprochen, die gesetzlichen Regelungen zur pandemischen Lage bis zum 30. September zu verlängern. „Bis dahin gelten zum Beispiel auch die Regelungen zur Kurzarbeit und zu den Wirtschaftshilfen“, lautet seine Begründung. Da ist von „mehr Eigenverantwortung“, wie heute in der Fraktionssitzung, keine Rede mehr. Auch nicht mehr von Inzidenzzahlen, Auslastung der Intensivstationen, ganz generell spielt die tatsächliche Lage keine Rolle mehr. Das Grundgesetz wird weiter auf Tauchstation geschickt.
Im Klartext: Bis zur Bundestagswahl sollen weder Wirtschaftskrise noch Massenentlassungen stattfinden. Die Wähler sollen so aus Sicht der Groko wenigstens bis dahin noch in Ruhe ihre Kreuze an den für CDU, CSU und SPD richtigen Stellen machen. Das dürfte den meisten Bundestagsabgeordneten schon aus Furcht um ihre Arbeitsplätze – ihre Mandate – auch sehr recht sein. Denn auch der Wahlkampf wird so blockiert, weil Versammlungen untersagt und Demonstrationen verboten werden können. So fügt sich eines zum anderen.