Tichys Einblick
„Helden oder Schlepperhelfer?“

Im Deutschlandfunk zur Seenotrettung: „Pull-Effekt? Ja, natürlich gibt es den!“

Für Michael Kuffer, Bundestagsabgeordneter der CSU, ist die Arbeit der NGOs das letzte Glied in der Schlepperkette. Und wenn die Seenotrettung vor der libyschen Küste automatisch zum Ticket für Europa wird, „dann ist das natürlich ein Pull-Effekt.“

AFP/Getty Images

Deutschlandfunk Kontrovers mit dem Thema „Helden oder Schlepperhelfer?“ Die Diskussionsteilnehmer sind Franziska Brantner von den Grünen, Gottfried Curio (AfD) und Michael Kuffer (CSU). Moderiert werden die etwas mehr als sechzig Minuten von Dirk-Oliver Heckmann.

Zunächst werden Anrufe von Zuhörern abgespielt: Der erste stellt gleich mal fest, wie geschickt Carola Rackete von Anfang an medial samt Kamerateam operiert hätte. Der nächste Anrufer meint, die Seenotrettung verführe Massen von Schwarzafrikanern dazu, sich auf einen lebensgefährlichen Weg zu machen. Ein weiterer Anrufer fragt sich, was denn wäre, wenn die Ertrinkenden Weiße wären – undenkbar, so der Anrufer, dass die EU ihre Rettungsmission abziehen würde.

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Nun gab es gar keine Rettungsmission. Es gab/gibt ein deutsches Mandat für die EU-Mission „Sophia“, die Schleppern das Handwerk legen sollte, wo Seenotrettung mal eben mit eingeschrieben wurde. Aber darüber grinsen Marineangehörige, mit denen wir sprachen, denn Seenotrettung sei selbstverständlich für jeden Seemann, das muss nicht extra in ein Mandat eingeschrieben werden; so betrachtet wären alle Schiffe auf allen Weltmeeren Seenotretter und dieses Mandat wohl eher ein Politikum.

Der nächste Anrufer, ein Erfurter, – bisher sprechen nur Männer – sagt, solange diese Seenotrettung mit einem Ticket nach Europa verbunden wäre, würden sich nur immer mehr auf den Weg machen. Die NGOs würden Menschen nach Europa bringen und die Bürger dafür in Haftung nehmen für Unterbringung, Versorgung usw.

Aus Dresden meldet sich ein weiterer Herr und meint, schon der Begriff „Seenotrettung“ im Titel der Sendung sei irreführend, denn es handle sich hier um eine Art ausgelagerter Schiffsanlegestelle auf See.

Dann eine ältere Dame, ebenfalls aus den neuen Bundesländern, die es gut findet, dass es Seenotrettung gibt, die Flüchtlinge sollen aufgenommen werden: „Wir sollten uns schämen, wenn wir die ertrinken lassen.“

Eine erstaunliche Auswahl an Stimmen, wenn diese überwiegend kritisch dem Tun der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gegenüber stehen.

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Michael Kuffer (CSU) findet Seenotrettung richtig, sie dürfe aber nicht zum Ticket nach Europa werden. „Jeder Retter muss sich auch die Frage stellen, ob er mit der Art und Weise, wie er rettet, nicht das Geschäft der Schlepper vollendet und damit die Grundlage dafür legt, dass sich neue Menschen in Lebensgefahr bringen. (…) Die Arbeit der NGOs ist der letzte Baustein in der Schlepperkette. (…) Seenotrettung ist nicht Teil des Asylverfahrens.“

Franziska Brantner (Grüne) findet, die NGOs ersetzen die staatliche Seenotrettung im Mittelmeer. Brantner ist also auch nicht richtig informiert, was die eigentliche Aufgabe der Mission „Sophia“ ist. Wer übrigens „Mission Sophia“ ins Wikipedia eingibt, wird umgeleitet auf „European Union Naval Force – Mediterranean“ – ein deutlicher Hinweis, um was es da eigentlich ging.

Die deutsche Marine präzisiert es: „Der Auftrag: Die Schiffe der EUNAVFOR MED werden im Seegebiet zwischen der italienischen und libyschen Küste, außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer, eingesetzt. Sie sollen Informationen über die kriminellen Netzwerke der Schleuser sammeln.“

Die Marine erwähnt auch die selbstverständliche Pflicht eines jeden Seemannes bei Seenot zu helfen, was aber mit dem Auftrag nichts zu tun hat.

Franziska Brantner geht gleich mal in die Vollen und sagt von vorne herein, was sie von Kritikern dieser NGO-Seenotrettung hält:

„Wer noch ein Fünkchen Anstand hat, weiß, dass man Menschen nicht einfach ertrinken lässt.“

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„Warum haben wir keine staatliche Seenotrettung mehr?“, fragt Brantner weiter. Das wäre die eigentliche Herausforderung. Dass wir allerdings nie eine solche hatten, scheint ihr entgangen. Und welchen Staat meint sie? Deutschland? Welchen Auftrag hat Deutschland im Mittelmeer? Und wo überall noch? Im Pazifik, vor der Küste Borneos? Vor Madagaskar oder vor New York?

Kuffer erinnert daran, dass die libysche Küstenwache schon in diesem Jahr über 3.500 Menschen gerettet hätte. Die Mission „Sophia“ sei auch nicht beendet, es würden nur keine deutschen Schiffe mehr teilnehmen, aber die libysche Küstenwache würde weiter ausgebildet.

Gottfried Curio wird, wie schon die Mitdiskutanten zuvor, gefragt, ob Carola Rackete nicht eigentlich eine Kandidatin für das Bundesverdienstkreuz wäre. Curio schlägt mit sarkastischem Unterton vor, sie gleich zur Kandidatin für den Friedensnobelpreis zu machen „mit unmittelbarer Ausrufung zu einem moralischen Gottkönigtum (…)“

„Aber im Ernst“, so Curio weiter, „es wird hier die falsche Alternative aufgemacht, entweder nach Europa holen oder ertrinken lassen.“ Curio wird unterbrochen gleichzeitig vom Moderator wie auch von der Grünen, was für einen ziemlichen Wortsalat sorgt. Er erklärt dann trotzdem noch mal „am Beispiel Nigeria“, wo die Menschen wirklich herkommen, die nach Libyen streben, bei denen es sich um Wirtschaftsmigranten handelt.

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Für Curio ist ein Flüchtling, der weiterzieht, auch, wenn er schon in Sicherheit ist in einem Nachbarland, „ein Reisender“, man sei nicht permanent ein Fliehender „über viele tausend Kilometer“. Franziska Brantner findet das völkerrechtlich absurd, was Herr Curio erzählt, wenn doch in der EU jeder ein Recht hätte, einen Asylantrag zu stellen, dieses Recht würde nicht entfallen, wenn man nicht aus einem Nachbarstaat käme. Brantner will weiter richtig stellen, dass Rackete hundert Kilometer vor der libyschen Küste gerettet hätte.

Hier allerdings reicht ein Tracking der NGO-Schiffe der letzte Jahre, um ihr anhand der üblichen Praxis das Gegenteil zu beweisen, bis hin zu vielfachen Verletzungen der libyschen Hoheitsgewässer durch NGO-Schiffe.

Wenn es um die Frage der „katastrophalen Zustände in libyschen Lagern“ geht, wie der Moderator es nennt, bittet Michael Kuffer (CSU) darum, „bitte nicht wieder alles über einen Kamm zu scheren.“ Es wäre nur ein kleinerer Teil der „Flüchtlinge“, die unter schwierigen Bedingungen untergebracht wären.

Kuffer erwähnt zudem, dass es aus Libyen selbst sehr geringe Asylantragszahlen gäbe. Für Kuffer ein klarer Hinweis, dass Libyen eben ein Transitland auf der Migrationsroute sei. So betrachtet wäre die Frage der Rückführung nach Libyen „gar nicht die entscheidende.“ Kuffer stellt es noch einmal klar: „Es gibt auch in Libyen die Möglichkeit, sichere Häfen anzulaufen“, ebenso in Tunesien.

Für den Bundestagsabgeordneten stellt es sich so dar, als wolle man jetzt eine mittlerweile fast geschlossene illegale Migrationsroute wieder öffnen.

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Gottfried Curio erinnert, dass Carola Rackete zunächst einen Hafen in Libyen nicht anlaufen wollte und sich dann auch geweigert hätte, einen in Tunesien anzulaufen, „weil es dort kein Asylsystem gäbe.“ Für den Bundestagsabgeordneten der AfD ist klar: „Wenn alle Migranten aus Innerafrika wüssten, dass sie kurz vor der libyschen Küste zurück nach Afrika gebracht werden würden, dann wäre die Bötchenfahrerei – und übrigens auch die hunderte von Ertrinkenden – nach einer Woche vorbei oder nach wenigen Wochen. (…) Was dir Leute auf den Weg lockt, ist natürlich die Aussicht ins Sozialparadies Deutschland überführt zu werden, hier einen Antrag stellen zu können, hier ein endloses Klagesystem durchzuführen, hier üppige Sozialleistungen abzugreifen.“

Der Moderator der Sendung erwähnt Studien, die den Pull-Effekt widerlegt hätten, er spricht von „Studien aus Großbritannien“, wo er „Oxford“ hätte präzisieren können, dann wäre Kennern der Materie klar gewesen, dass er eine Studie meint, die sogar noch der Spiegel jüngst als von zweifelhaften Aussagewert befand.

Franziska Brantner erwähnt dann explizit Oxford, fast, als suche sie das Fettnäpfchen – von da wären nun neuere Untersuchungen gemacht worden, die „wiederum“ belegen, dass es keinen Pull-Faktor gäbe. Nun gut. So treibt man sich gegenseitig mit Studien vor sich her, welche die wenigsten tatsächlich gelesen haben.

„Alle Studien, die es gibt, beweisen das Gegenteil.“ Aber wie viele sollen das sein, wenn sich auch Brantner hier nur auf Oxford beruft? Ist es das berühmte leere „und…und…und…“?

Und wie auch könnte man das Gegenteil von etwas beweisen, das so unmittelbar auf der Hand liegt, wenn marode Schlauchboote zu Wasser gelassen werden, die kaum ein paar Kilometer überleben, die also zwingend auf eine Abholung durch NGO-Schiffe angewiesen sind?

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Aber auch Franziska Brantner weiß wohl längst, dass diese Studien mehr als wackelig sind, also wechselt sie in eine abgehobenere Ebene jenseits der Argumente, wenn sie sagt: „Selbst wenn man sich nicht auf diese Frage einlassen will, kann man es manchmal auch grundsätzlich halten. (…) Albert Schweizer hat einmal schön gesagt, dass Humanität bedeutet, dass man keinen Menschen einem Zwecke opfert. Und ich finde auch nicht dem Zweck der Abschreckung wäre ich bereit, Menschenleben zu opfern.“

„Eindeutig ist in Libyen überhaupt nichts.“, findet Michael Kuffer. „Zweifeln sie die Vereinten Nationen an?“, interveniert Brantner sofort aggressiv. Und man kann ihr nur dankbar sein auch für diese erhellende Intervention, wenn daran deutlich wird, dass eine Kritik an der UN dann quasi eine Art Gotteslästerung geworden zu sein scheint.

Kuffer betont noch einmal, dass in Libyen mehrere hunderttausend Migranten untergebracht wären, von denen weniger als fünftausend in Militärlagern untergebracht seien. Die Berichte beispielsweise, das Lager beschossen worden sind, bezögen sich auf diese Militärlager, weiß Michael Kuffer und fügt wörtlich an:

„Nur darf die Seenotrettung nicht dazu führen, dass wir überschnappen und dass wir aus der Seenotrettung eine Taxifahrt am Ende des Tages machen.“

Und Michael Kuffer weiter zum Pull-Effekt: „Ja, natürlich gibt es den! (…) Und wenn das automatisch zu einem Ticket für Europa wird, dann ist das natürlich ein Pull-Effekt. Und es macht das Geschäft der Schlepper überhaupt erst möglich. (…) Lageberichte sagen es eindeutig, dass nicht die Retter die Geflüchteten finden, sondern die Geflüchteten die Retter finden. Sie können mittlerweile mit einer App, die sie auf jedes Handy runterladen können, können sie sehen, wo die Schiffe unterwegs sind und sie werden gezielt angefahren.“

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