Tichys Einblick
Vor dem AfD-Parteitag

Im Auge des Sturmes

Kurz vor dem Parteitag steckt die AfD in einer Krise: Drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Antifa-Angriffe, Spendenaffären und interne Querelen lähmen die Partei. Erstaunlich, dass die Umfragewerte stabil sind.

imago images / Jacob Schröter

Die AfD trifft sich bald im „Wunderland“. So heißt tatsächlich das Messegelände im Städtchen Kalkar am Niederrhein, wo am Wochenende 600 AfD-Delegierte zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommen. Die Parteispitze hat es gegenüber den Behörden durchgesetzt, dass ein Präsenz-Parteitag stattfinden kann. Allerdings gibt es strenge Auflagen für ein umfassendes Corona-Hygienekonzept. Mundschutzpflicht sogar am Sitzplatz soll gelten; am Freitag wies ein Gericht einen Einspruch dagegen ab.

Nicht unwahrscheinlich, dass Szene mit Masken-Verweigerern oder hartnäckigen Querulanten die Medienberichterstattung über den Parteitag überschatten oder gar dominieren könnten. Es könnte zum Eklat kommen. Im äußersten Fall könnte das Gesundheitsamt den Abbruch der Veranstaltung erzwingen.

Dabei hat die Partei mit noch gravierenderen Problemen zu kämpfen. Jüngst hat der Thüringer Innenminister Maier (SPD) gar eine Debatte über ein Verbot der AfD angeheizt. Anlass für Maier war, dass einige Gäste von AfD-Abgeordneten im Bundestag am Tag der großen Corona-Demonstration andere Abgeordnete, darunter Bundeswirtschaftsminister Altmaier, bedrängt und teils beschimpft hatten. Natürlich ist das zu verurteilen, aber es waren auch nicht die ersten Störungen im hohen Haus – nur waren es sonst meist eher linke oder Öko-Aktivisten. Fraktionschef Gauland sah sich gezwungen, um Entschuldigung für das Verhalten der Besucher zu bitten. Und die zwei Abgeordneten, deren Gäste sich im Bundestag danebenbenommen hatte, werden sanktioniert mit einem Redeverbot bis Februar.

Dass nun tatsächlich über ein Verbot der 2013 gegründeten Partei diskutiert wird, offenbart nach Gaulands Ansicht die „Nervosität“ der anderen Parteien. Aber die AfD hätte selbst Grund zu Nervosität. Denn mit jeder solchen Debatte wird sie weiter an den Rand gedrängt. Das Stigma, die Ächtung als rechtsextrem, könnte sich verfestigen. Der Politikwissenschaftler Dierk Borsten von der Uni Bochum der „Zeit“ hält die Verbotsdebatte für „hanebüchen“  – er sieht kaum Erfolgsaussichten für ein Parteiverbotsverfahren und meint, die Debatte nutze der AfD sogar, weil sie sich als Opfer inszenieren könne. Gleichzeitig bezeichnete er die AfD als „gefährlicher als die NPD“, weil sie mehr realen Einfluss auf die politischen Prozesse habe.

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Was die AfD-Delegierten in Kalkar durchaus bewegen dürfte, ist die drohende Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). In der zweiten Dezember-Woche treffen sich die Landesinnenminister zu einer Sitzung, und dann steht das Thema auf der Tagesordnung. Es zeichnet sich ab, dass BfV-Präsident Haldenwang den Druck verstärken will. Eine Hochstufung vom „Prüffall“ zum „Verdachtsfall“ würde für viele Mitglieder, etwa Polizisten, Soldaten und Beamte, berufliche Probleme bedeuten. Und mehr und mehr bürgerliche Sympathisanten würden verängstigt und abgeschreckt.

Mao Tse-tung sagte einmal: Bestrafe einen, erziehe hundert. So funktioniert auch in erodierenden westlichen Demokratien eine Politikmethode. Bürger werden eingeschüchtert, wenn sie es wagen, öffentlich für eine missliebige Oppositionspartei einzutreten. So geschehen jetzt wieder, diesmal in Bochum: Die Pächterin einer Gastwirtschaft im „Kulturzentrum Bahnhof Langendreer“ hat einige Facebook-Postings der AfD „geliked“. Das reichte für eine Kündigung! Nun will sich die Gastronomin gegen den Rauswurf wehren, aber ihr Ruf ist erstmal ruiniert.

Das sind Nadelstiche. Ein ganz anderes, gewaltiges Kaliber wäre die bundesweite Stigmatisierung der AfD durch den Verfassungsschutz. Sicherlich gibt es Gründe für den Verdacht, dass der Verfassungsschutz parteipolitisch missbraucht wird, um eine lästige Konkurrenz kleinzuhalten. Aber gleichzeitig stimmt auch, dass einzelne AfD-Exponenten durch verbale Entgleisungen oder Kontakte mit Rechtsextremisten Munition geliefert haben, die der VS aufgreift. Die Auflösung des „Flügels“ hat diesen zwar geschwächt, aber verschwunden ist nicht.

Die Liste der Probleme ist noch länger. Zur Stigmatisierung durch Behörden und die anderen Parteien kommt der Druck auf der Straße hinzu. Die AfD tut sich immer schwerer, überhaupt noch Räume für Veranstaltungen zu finden, weil Wirte durch Antifa-Gruppen terrorisiert werden, wenn sie an die AfD vermieten. Auch zum Parteitag kursieren wieder Aufrufe von Linksextremisten zu Störungen. Unter einer entsprechenden Meldung auf dem Szeneportal Indymedia, das für „kreative und dezentrale Aktionen“ warb, fanden sich sogar Einträge, die Nagelfallen auf Zufahrtsstraßen erwähnten. Immer wieder zünden politische Gegner Autos von AfD-Funktionären an, neulich erst den Kleinwagen des Berliner Abgeordneten Gläser. Der Kleinkrieg, den die Antifa führt, kostet Kraft und Geld.

Sehr viel Geld kostet die Partei eine neue Spendenaffäre. Diesmal stehen Fraktionschefin Alice Weidel und ihr Kreisverband am Bodensee im Mittelpunkt. Die Bundestagsverwaltung fordert von der AfD die Zahlung von rund 400.000 Euro wegen angeblicher Annahme illegaler Spenden. 2017 hatte der Kreisverband mehrere Spenden in Höhe von rund 132.000 Euro von Schweizer Konten erhalten. Zwar hat der Kreisverband das Geld später zurücküberwiesen, doch nach Ansicht der Bundestagsverwaltung zu spät. Außerdem legte die AfD eine Liste von angeblichen Spendern vor, die sich aber als falsch herausstellten. Nun will sich die AfD juristisch mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Strafbescheid über 400.000 Euro wehren. Jedenfalls hat die Affäre Weidel geschadet. Sie gilt ohnehin als angeschlagen, weil es in der Bundestagsfraktion Klagen über Führungsschwäche gibt.

Beim Bundesparteitag geht es formell um Sozialpolitik und den Leitantrag zu einem Sozial- und Rentenkonzept. Aber natürlich geht es auch wieder um Machtfragen, ein Kräftemessen der verschiedenen Lager, Landesverbände und Strömungen. Im Osten will der Höcke-Flügel eine „sozial-patriotische“ Linie durchsetzen, deren Wirtschafts- und Sozialpolitik von der Linkspartei nicht allzu weit entfernt ist.

Parteichef Jörg Meuthen hat im Bundesvorstand eine stabile Mehrheit hinter sich, seit dem Ausschluss von Andreas Kalbitz wegen seiner verschwiegenen Mitgliedschaft in einem Neonazi-Jugendbund steht das Zahlenverhältnis 8 zu 4 pro Meuthen. Aber das Verhältnis zum Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla ist zerrüttet, und das belastet konstruktives Arbeiten. Teile der Partei versuchen Meuthen abzusägen.

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In Kalkar müssen die 600 Delegierten nun zwei Vorstandsposten neu besetzen. Für das Amt des stellvertretenden Bundesschatzmeisters kandidiert Christian Waldheim, ein Betriebswirt aus Norderstedt, der für die AfD als Bundesrechnungsprüfer tätig ist. Er wurde erstmals im vergangenen Jahr öffentlich bekannt, als er gegen die dubiose, inzwischen wegen rechtsextremister Kontakte ausgeschlossene „Fürstin“ Sayn-Wittgenstein in Schleswig-Holstein angetreten war. Waldheims Kandidatur wird vom Bundesvorstand unterstützt. Fachlich wäre der Jurist und Rechnungsprüfer als Vize-Schatzmeister qualifiziert.

Um das vakante Amt des Beisitzers dürfte sich eine spannende Kampfkandidatur anbahnen: Die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hat bekannt gegeben, dass sie gegen den sächsischen EU-Abgeordneten Maximilian Krah antreten werde. Sie sind unterschiedlichen Lagern zuzurechnen: Cotar dem eher bürgerlich-rechtsliberalen und Krah dem rechtskonservativen. Beide haben ihre Kandidatur noch nicht öffentlich gemacht, doch wird damit in Parteikreisen gerechnet.

Der 43-jährige Sachse Krah, ein promovierter katholischer Jurist, der auch schon für die Pius-Bruderschaft in Finanzdingen tätig war, wird vom ehemaligen „Flügel“ unterstützt. Krah gilt als redegewandt, manche finden ihn aber auch eitel, weil er mit einem MBA-Abschluss an der New Yorker Columbia-University prahlt. Im EU-Parlament kam es zu Spannungen zwischen ihm und Meuthen. Krah soll an Meuthens Stuhl gesägt haben, sagt ein Kenner der Partei. Krah ist mit einem genussorientierten Lebensstil in Brüssel aufgefallen. „Champagner-Max“ wird er in Parteikreisen genannt. Er kann aber auch durch starke Rhetorik einen Saal für sich einnehmen.

Seine Gegenkandidatin, die 47-jährige Hessin Cotar, gibt sich bodenständig und freundlich, hat sich in der Partei durch offene Frontstellung gegen den Flügel aber auch Feinde gemacht. Im Bundestag ist die gebürtige Rumäniendeutsche als engagierte Rednerin aufgefallen, aber manche sagen, dass ihr der richtige Biss fehle. Fachlich hat die studierte Betriebswirtin das Feld Digitalisierungspolitik übernommen und warnt insbesondere vor Ansätzen zu einer Internet-Zensur. Auch gilt sie als scharf Islam-kritisch. Die Einführung einer Frauenquote für Unternehmensvorstände, die nun auch die CDU befürwortet, hat Cotar scharf abgelehnt. „Starke Frauen brauchen keine Quote“, findet sie. Ob Cotar oder Krah (oder ein dritter Kandidat, der sich erst spät aus der Deckung wagt) gewählt wird, ist schwer vorherzusagen. „Die Partei ist eine Wundertüte“, sagt ein langjähriger Beobachte, der schon Dutzende Landes- und Bundesparteitagen miterlebt hat.

Die Vorstandswahlen werden aber ein Indiz dafür sein, wie stark die Lager in der Partei inzwischen sind. Der Flügel hat mit dem Ausschluss von Kalbitz, des eigentlichen Strippenziehers hinter Höcke, zwar eine wichtige Figur verloren, aber seine Netzwerke arbeiten weiter. Das beobachtet auch der Verfassungsschutz. Jede auffällige Rede, jedes Abstimmungsergebnis über Anträge (etwa einen Höcke-Antrag gegen den Verfassungsschutz) und die Wahlergebnisse in Kalkar werden medial und politisch sicher wieder ausgeschlachtet. Die AfD befindet sich nicht wirklich im Wunderland, sondern manövriert in gefährlichem Fahrwasser. Die Angriffe vieler Medien und der Konkurrenzparteien haben ein Hass-Niveau erreicht, das nur noch schwer zu steigern ist. Sie steuert im Auge des Sturms, der sie an die Klippen schleudern kann.

Bei alledem ist es eher erstaunlich, dass die Umfrageergebnisse bislang nicht weiter abgebröckelt sind. Zwar hat die AfD im Corona-Jahr an Zustimmung eingebüßt, aber sie hält sich knapp zweistellig auf dem vierten Platz hinter CDU, Grünen und SPD. In der jüngsten INSA-Umfrage für „Bild“ liegt die AfD bei 11 Prozent. Weniger als ein Jahr ist es noch bis zur Bundestagswahl. Die Nervosität und Frustration in Teilen der Partei ist mit Händen zu greifen. Macht sie jetzt Fehler, ist ein Abrutschen in den einstelligen Bereich vorprogrammiert.

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