Tichys Einblick
Ausstieg aus dem Shutdown

ifo-Institut schlägt stufenweisen Abbau der Beschränkungen vor

Das ifo-Institut präsentiert eine Strategie für das Ende der Begrenzungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens: Ein stufenweises Lockern der Kontaktsperren

imago images / Michael Weber

Das ifo-Institut hat eine Strategie vorgestellt, mit der der Ausstieg aus den momentanen Einschränkungen des öffentlichen Lebens gestaltet werden könnte. Das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (kurz ifo-Institut) ist eine der bedeutendsten wirtschaftswissenschaftlichen Institutionen der Bundesrepublik. Es gibt auch den ifo-Geschäftsklimaindex heraus, der als Frühindikator für die wirtschaftliche Entwicklung viel zitiert wird.

Laut ifo-Institut sollte der momentane Shutdown nicht viel länger als einen Monat bestehen bleiben, denn er kostet für vier Wochen schon 4,3% bis 7,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – das entspricht einer Summe von 150 bis 260 Milliarden Euro. Jede weitere Woche Verlängerung kostet 0,7% bis 1,6% des BIP – circa 25-57 Milliarden Euro. Auch die sozialen Kosten des Shutdowns dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Noch halten sich die Kosten für den Einzelnen meist in Grenzen, doch nur solange ein Ende der Maßnahmen absehbar ist:

Die Kosten des Shutdown

„Es ist jedoch zu erwarten“, so heißt es in dem Papier, „dass die psychischen und sozialen Auswirkungen des Shutdown umso negativer werden, je länger dieser Zustand anhält. Darüber hinaus sind bestimmte Gruppen besonders belastet, z.B. Familien mit Kindern, Personen in beengten Wohnverhältnissen, Alleinlebende, Kranke und psychisch labile Personen. Allgemeine Konsequenzen von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen können negative Emotionen wie Ärger, Angst/Furcht oder Einsamkeitsgefühle sein, die sich je nach Persönlichkeit unterschiedlich auswirken. Konflikte zwischen Partnern können sich intensivieren und bis zu häuslicher Gewalt eskalieren. Abhängigkeiten von Alkohol und Drogen können sich verstärken. Ängste und Einsamkeitsgefühle können zu Depressionen bis hin zu suizidalen Gedanken führen.“

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 Auch eine Verschärfung des Generationenkonflikts fürchten die Forscher: „Der Eindruck, einen hohen persönlichen „Preis“ für die ältere Generation zu zahlen, kann die Bereitschaft, bei der zunehmenden Alterung der Gesellschaft für die Älteren einzustehen, untergraben und das gesellschaftliche Miteinander destablisieren.“

Dabei ist auch die Wiedereröffnung des öffentlichen Raums eine Gratwanderung:„Auch während und nach einer möglichen stufenweisen Aufhebung der gegenwärtigen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wird SARS-CoV-2 in Deutschland weiterhin vorhanden sein, und bei einer weitgehend suszeptiblen [anfällig, A.d.Redaktion] Bevölkerung und mittelfristig nicht absehbarer Impfung besteht somit die Gefahr einer erneuten Infektionswelle. Dies kann nicht völlig verhindert, muss aber unbedingt verlangsamt werden.“

Das Verlangsamen der zweiten Welle

Es wurde auch eine Strategie entwickelt, wie die Verlangsamung der zweiten Welle ohne einen erneuten Shutdown erreicht werden soll: „Hierzu sind Maßnahmen erforderlich, die (i) den Schutz vor Neuinfektionen verbessern, (ii) infizierte Personen schnell und möglichst vollständig identifizieren und isolieren und (iii) den Verlauf der Erkrankung infizierter Personen bestmöglich abmildern. Dies muss ergänzt werden durch eine kurz- und mittelfristige Stärkung der Intensivmedizin mit übergreifender Koordination der Belegung, um auch die schweren und beatmungspflichtigen Fälle bestmöglich zu versorgen.“

Eine Ausweitung der Testkapazitäten wird schon von vielen anderen Stellen gefordert, auch die vom Ifo-Institut geforderte Maßnahme, dass tiermedizinische Labore, Forschungseinrichtungen und private Organisationen Tests durchführen dürfen sollen, ist nicht ganz neu. Doch dies unterschlägt, dass nicht nur Material für die Tests zunehmend knapp wird, sondern auch, dass dies eine spezielle Zulassung erfordert. Außerdem wären Zugeständnisse oder gar Lockerungen im Datenschutz dann nötig, was die Bundesregierung in anderen Bereichen bisher strickt ablehnt.

Die Lockerungen der Einschränkungen für das öffentliche Leben sollen stufenweise passieren. Zum Beispiel soll das Kontaktverbot zuerst nur gelockert werden, um Menschenansammlungen – auch im öffentlichen Raum – wieder in kleinen Gruppen zu erlauben, vorausgesetzt, dass Hygienebestimmungen eingehalten werden.

Auch in der Industrie sollen die Firmen schrittweise wieder anlaufen, zuallererst Firmen, bei denen Abstandsregelungen und Hygienebestimmungen auch im Arbeitsalltag realisiert werden können.

Sport und Kulturvereine sollen den Betrieb zuerst nur in kleinen Gruppen wieder  aufnehmen dürfen; auch der Betrieb von Sportplätzen sollte bei Wahrung der Abstandsregeln wieder in Betracht gezogen werden.

Für die Gastronomie und den Tourismus allerdings zeichnen die Forscher ein düsteres Bild: hier sollen Lockerungen der Regelungen nur sehr vorsichtig passieren.

Trittbrettfahrer der Krise
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Voraussetzung, um die Beschränkungen zu lösen, ist die Sicherstellung der Versorgung der Erkrankten. Das ifo-Institut formuliert auch dazu Ansätze: „Die Behandlungskapazitäten sind keine fixe Größe. Sie hängen in Teilen auch von der Organisation der Versorgung ab. Die dedizierte Einrichtung ganzer Krankenhäuser als „Corona-Kliniken“ in Ballungsgebieten und damit die weitgehende Trennung von Infizierten und nicht Infizierten erhöht die Effizienz der Versorgung. Ferner benötigen viele schwerer erkrankte COVID-19-Patienten nicht unbedingt eine invasive Beatmung. Sie können und sollten in vielen Fällen auch mit nicht-invasiver Maskenbeatmung behandelt werden. Dies erweitert den Kreis der möglichen Beatmungsgeräte. Insbesondere kann hier auch mit den entsprechenden Organisationen aus der Heimbeatmung geklärt werden, inwieweit von hier zusätzliche Beatmungsgeräte gewonnen werden können.“

Konkret sollen also auch in Deutschland zentralisierte Corona-Krankenhäuser entstehen. Beatmungsgeräte von Einrichtungen zur Heimpflege Pflegebedürftiger sollen herangezogen werden und fehlende Beatmungsplätze mit anderen Beatmungsgeräten behelfsmäßig aufgestockt werden. Beruhigend ist diese Strategie nicht – Behelfslösungen, so gut sie auch funktionieren mögen, sind eben immer nur Behelfslösungen. Doch besser als die Strategie der Bundesregierung ist die ifo-Strategie allemal: Denn von der Politik hört man vielerlei Aufrufe, die Intensivkapazitäten aufzustocken, mehr zu testen und einen Impfstoff zu entwickeln – doch mehr als Aufforderungen an die, die all das eh schon machen, sind diese meistens Rufe nicht.

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