Der freie Autor Jürgen Fritz veröffentlichte unter dem Titel „Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten“ einen kontrovers diskutierten Gastbeitrag bei Tichys Einblick.
Der studierte Philosoph attestierte in seinem Text dem politischen Gegner pauschal ein Irrsein. Seine Kernthese geht im Wortlaut so: „Grün-linke Gutmenschen (eigentlich nur Gutmeiner, weil gute Menschen etwas anderes meint) erscheinen mir – und ich sage das nicht einfach so dahin – krank. Nicht körperlich, sondern geistig-psychisch. Daher ist es auch weder sinnvoll noch empfehlenswert, sich auf größere Diskussionen mit ihnen einzulassen.“
Solche Vorwürfe kennt man schon länger von einem ganz anderen Spielplatz: dort, wo Atheisten Christen ein Induziertes Irrsein bescheinigten. In der Sowjetunion gab es den politischen Missbrauch der Psychiatrie und auch die Staatssicherheit der DDR soll zu diesem Mittel gegriffen haben. Für die Redaktion gilt: Der Beitrag
hätte hier nicht erscheinen dürfen.
Unterstellung von Pathologie ist für TE keine politische Diskussionsbasis. Davon distanzieren wir uns ausdrücklich.
Roland Tichy und Redaktion bedauern das und bitten um Entschuldigung.
Sie sehen, ein heikles Thema. Aber nun sind wir bei TE ja grundsätzlich mal auf solche Themen abonniert. Also stellte sich Jürgen Fritz der Aufgabe und schrieb explizit in Richtung grüne Politiker: „Mit derart gestörten Personen sollte man nicht großartig diskutieren. Man muss sie behandeln. Aber das müssen spezialisierte Fachärzte machen.“ Schauen wir mal, was unsere Leser auf Facebook und direkt unter dem Artikel dazu kommentierten und schrieben (die Kommentare sind im Folgenden alle Original belassen). Der Versuch einer Zusammenfassung:
Katja hat zunächst eine ziemlich eindeutige Meinung zum Artikel:
„Der Autor sollte sich gegebenenfalls selbst dringend professionelle Hilfe holen, bevor er eine undefinierte Menschenmenge meint analysieren zu müssen. Krank.“
Peter Gandor hingegen hält den Artikel für eine „sehr gute Beschreibung, warum es so schwierig oder fast unmöglich ist, mit solchen Menschen sachliche Argumente, Fakten, Ansichten, auszutauschen.“ Er ergänzt aber, das man fairerweise erwähnen sollte, „das es bei einer Argumentation mit der politischen Gegenseite (rechts, konservativ) nicht viel einfacher ist.“
Michael M. kann der Diskussion mit der von Fritz genannten Klientel durchaus Amüsantes abgewinnen, wenn er befindet, „es macht schon spass, einen gutmenschen allein auf grundlage der logischen widersprüche vorzuführen und die reaktionen zu erleben, vor allem wenn unbeteiligte dabei sind. man benötigt nur eine gewisse menschenkenntnis, damit man weiss bis wohin man gehen kann, ohne aufs maul zu bekommen. aber es macht trotzdem echt spass…“
Leser Pherrmann findet das alles weniger lustig, für ihn arbeite der Artikel „wie die gesamte ’neue Rechte‘ daran ein Feindbild zu erschaffen, dass es nicht gibt.“ Und er fragt sich angesichts des Kommentars eines Herbert, ob der ein normaler Mensch sei, wenn der schreiben würde: „Die NWO-gesteuerte Kanzlerdarstellerin möchte Europa im Auftrag der Rothschild Khazarian Mafia mit einer steuerbaren Mischrasse bevölkern!”
Walter Eiden differenziert die vorgetragene Analyse von Fritz insofern, dass er feststellt: „Dieses Verhalten ist also scheinbar ein menschliches und keineswegs ein rein gutmenschliches Phänomen.“
Ein oder eine Leserin, die sich Neue Heimat nennt, befindet, der Ansatz von Autor Fritz gehe in die falsche Richtung. Er/Sie hält die von Fritz Angeklagten für kerngesund. Das angeprangerte Verhalten sei hingegen „knallharte(s) politische(s) Kalkül“. (…) Seien Sie gewiss Hr. Fritz, die grün-
linke Negation hat Methode.“ Wahn und Ideologie gehen laut Neue Heimat Hand in Hand.
Für Martin Lederer ist es weniger Pathologie als eine Wohlfühlblase in der sich die beschriebene Klientel eingerichtet hätte. Und Hellerberger konstatiert, das es keine reinen Gutmenschen gäbe, jeder hätte Leichen im Keller und er ergänzt durchaus selbstkritisch: „Am Ende habe auch ich, ein Rechter, meine Überzeugungen. Mich dünkt, nicht alle würden akribischer Analyse standhalten. Aber ich bin auch nur ein Mensch.“
Sie sehen, die Kommentare sind durchaus kontrovers wie abwägend, zustimmend wie kritisch. Deutlich überwiegen die „Ja, aber … Meinungen“ zum Artikel.
Und wie sieht es auf Facebook aus? 120 Kommentare bewegen sich hier zunächst schon rein quantitativ im vorderen Viertel aller Beiträge bei Tichys Einblick. Gleich maximal kritisch geht Christian Thümmel, laut google ein hessischer Anlagenvertriebsleiter, mit unserem Gastautor ins Gericht, wenn er befindet: „Ich bin mir sicher, dass einiges zutrifft, dennoch hat der Artikel für mich ein ganz tiefes Niveau. Wer einen Großteil der Bevölkerung das sinnerfassende Denken abspricht, sollte auch ein paar Argumente und Gründe ins Feld führen.“
Monika Schulte hingegen ist wieder ganz bei Autor Fritz: „Richtig, bevor der Chirurg das Messer ansetzt, muss die Diagnose stehen!“ Des Weiteren attestiert sie den Grünen ein Borderline-Syndrom. Bernd Schade findet den Artikel „Geil geschrieben“ und ergänzt seinen kurzen Kommentar mit einem „Wacht auf“ und vier Ausrufezeichen.
Die Sachbuchautorin Dorothee von Brentano lässt kein gutes Haar an der Arbeit unseres Gastautors, wenn sie schreibt: „Was für ein dämlicher Artikel, angefangen mit dem reduntanten Ausdruck ‚psychopathologisch gestört‘. Es ist ganz einfach: Es gibt in allen Himmelsrichtungen (politische, soziale, religiöse oder idelogische Differenzen) Menschen, die diskussionsresistent sind.“
So harsch wie Frau von Bretano, so auch Pe Markus, der kommentiert: „Was ist denn das für eine sinnlose Wutschrift?“ Und nachfragt: „Wo ist die Definition dieses anscheinend sehr gefährlichen Gutmenschens? (…) Und zu empfehlen keine Diskussion mehr zu führen erinnert mich eher an ein trotziges Kleinkind.“
Wo hingegen Lenelore Mausz-Lenz unserem Gastautor zwar beipflichtet, die Problematik aber – nennen wir es mal diplomatisch: – basischer angeht: „Gutmenschen sind fremdgesteuert. Überwiegend. Sie haben auch ein schlechtes Gewissen – da und dort. Vergangenheiten – diese nicht verarbeiten können u.s.w. Versagen in kritischen Situationen, mangelnde Bildung – unschönes sussehen u.s.w.“
Alexander Niessen – es gibt einen Soziologen und einen Tierarzt bei google – meint, dass die Grünen gefühlig an die Sache herangehen, während der Christenmensch rationaler herangehen würde getreu dem Motto: „ bringt mich dies Aktion naehr hin zu Gott oder entfremdet sie mich ehr“ – nun ja. Bevor wir hier wieder den Schwenk zu den Atheisten vornehmen und hin zu ihrem Induzierten-Irrseins-Vorwurf, enden wir vielleicht mit dem möglicherweise versöhnlichsten Kommentar des Bloggers Rudolf Lauff:
„Je mehr Komunikation um so eher Einvernehmen. Komunikations- und Wirtschaftsembargos dienen vorwiegend der Erzeugung von Spannung und Krieg. Also: REDET miteinander und nehmt Euch soviel Zeit wie ihr könnt!“
Letztlich ist es wohl so: Hier wird – dafür bringen manche Leser mehr Verständnis auf, andere weniger – eine Methode der Gegenseite angewandt. Nämlich die Pathologisierung des politischen Gegners. Die grüne Klientel sei nur emotionsgesteuert usw. Nun wird eben das den konservativeren Mitbürgern ebenso nachgesagt, sie seien ängstlich, sie seien Wutbürger. Wutbürger als Pseudonym für Hass und Hate Speech, sogar für brennende Flüchtlingsheime usw.
Nun ist Wut allerdings seit Menschengedenken auch Motor für den Wunsch nach Veränderung. Wen die bestehenden Verhältnisse wütend genug machen, der bringt Kraft und Mut auf, sich entgegenzustellen. Die Wut eines Andreas Baader muss nicht geringer gewesen sein als die der Geschwister Scholl. So wie die Wut eines Horst Seehofers auf die Politik seiner politischen Partnerin Angela Merkel nicht geringer gewesen sein muss, als die unsere Lieblings-SPD-Politikers Ralf Stegner auf die ungeliebte Frauke Petry.
Nein, Rationalität ist nicht in jedem Falle der beste Ratgeber, wenn sich Dinge zum Besseren hin wenden sollen. Das gilt selbstverständlich für alle politischen Lager. Der Mensch bleibt ein emotionales Wesen. Und unserer überlebenswichtigen Veranlagungen sind nun mal Mitgefühl und Empathie.
Der Schriftsteller und Psychoanalytiker Arno Gruen hat eben nicht recht, wenn er behauptet: „In unserer Kultur sind die am erfolgreichsten, die am meisten von ihren Gefühlen und der Fähigkeit zum Mitgefühl abgeschnitten sind.“
Das wäre, zumindest bezogen auf die Analyse von Gastautor Jürgen Fritz, fatal. Denn eine Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner besteht nun mal aus beidem: aus der intellektuellen Grundfähigkeit zur dialektischen Auseinandersetzung ebenso wie aus einer gehörigen Portion Wut, die sich zwingend auseinandersetzen, keine, die nur zerstören und pathologisieren will.