Was für ein Zufall: Am Mittwoch, als selbsternannte Sprachpolizisten den Begriff „alternative Fakten“ zum „Unwort des Jahres“ erkoren, veröffentlichte das Bundesinnenministerium alternative Fakten zum Thema Flüchtlinge. Nein, das waren keine plumpen Lügen, wie sie etwa bei den Trumps üblich sind. Es waren alternative Fakten im Vergleich zu dem, was von den Regierenden samt der sie in dieser Frage unterstützenden Willkommenskultur-Fraktion gerne verbreitet wurde: dass nämlich gar keine Flüchtlinge mehr nach Deutschland kämen – oder so gut wie keine mehr.
Tatsächlich kamen 2017 insgesamt 186.664 „Asylsuchende“ in die Bundesrepublik. „Asylsuchende“ ist der politisch korrekte Sammelbegriff für echte Asylbewerber, für Schutzsuchende nach der Genfer Konvention und für Menschen, die Asyl sagen und Sozialstaat meinen, die also das Land, das sie künftig ernähren soll, zur Begrüßung gleich mal belügen.
Nun hatten die Verteidiger des Willkommensrauschs von 2015 stets behauptet, die Flüchtlingskrise wäre ausgestanden. Schließlich wäre die Balkonroute dicht, auch das Mittelmeer wäre nicht mehr zu überwinden. Tatsächlich kamen im vergangenen Jahr Monat für Monat rund 15.000 Menschen. Da musste man kein Mathematikgenie sein, um für das Jahr 2017 einen Zustrom zwischen 180.000 und 200.000 vorherzusagen, was in „Tichys Einblick“ auch mit schöner Regelmäßigkeit geschah.
Statt „keine Flüchtlinge mehr“ oder „so gut wie keine“ kamen also 186.664. Das entspricht der Bevölkerung von Großstädten wie Kassel, Hagen, Hamm oder Saarbrücken. Da sind all die Familienangehörigen, die 2017 den „Asylsuchenden“ aus früheren Jahren nachgezogen sind, noch gar nicht eingerechnet. Diese Statistik – „Asylsuchende“ plus nachziehende Familienangehörige – wird so nicht geführt. Wahrscheinlich befürchtet das Innenministerium, ein Teil dieser Zahlen könnte die Deutschen verunsichern.
Die angeblich überwundene Flüchtlingskrise bescherte uns also einen Zuwachs in der Größenordnung einer großen Stadt. Und die Vereinbarung der potentiellen neu-alten Großkoalitionäre, jährlich „Flüchtlinge“ in der Größenordnung zwischen 180.000 und 220.000 aufzunehmen, wird uns auch in Zukunft jährlich eine neue Großstadt bescheren – mit all den damit verbundenen Kosten der Integration, den sehr hohen finanziellen und den nicht minder problematischen immateriellen.
Die Größenordnung des Zuzugs von „Asylsuchenden“ im vergangenen Jahr wird vom Unions-Teil der noch amtierenden Bundesregierung als Erfolg gefeiert – immer noch zu hoch, wie Innenminister Lothar de Maizière es formulierte, aber deutlich weniger als 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Damals kamen nach offiziellen Angaben „rund“ 890.000 Menschen, wobei das Wort „rund“ verdeutlicht, dass wir immer noch nicht genau wissen, wie viele damals wirklich kamen. Wir werden es auch nie erfahren.
Offiziell 186.664 „Asylsuchende“, das erinnert an das Jahr 2014, als die Flüchtlingskrise ihren Anfang nahm. Damals wurden – bei etwas anderer Zählweise – 203.000 „Asylsuchende“ erfasst. In dieser Zahl, die auf den gestellten Asylanträgen beruhte, steckten jedoch knapp 30.000 Folgeanträge aus den vorhergegangen Jahren. Auch wenn die Zahlen von 2014 und 2017 nicht ganz vergleichbar sind: Wir sind wieder da, wo wir 2014 schon einmal waren. Und das trotz angeblich vollständig geschlossener Balkanroute und eines angeblich unüberwindbaren Mittelmeers. Das sind die Fakten. Alternative Zahlen wird es wohl auch 2018 nicht geben.