Tichys Einblick
Jahrestag

Heute vor 60 Jahren rief Kennedy: „ich bin ein Berliner“

Es sollte eigentlich nur eine kurze Aufmunterungsrede sein – aber in der eingemauerten Stadt hielt der Präsident eine seiner berühmtesten Ansprachen. Sein Thema: der Unterschied zwischen Freiheit und Diktatur. Es lohnt sich, sie heute wieder zu lesen

IMAGO / Sven Simon

Als John F. Kennedy am 23. Juni 1963 auf dem Flughafen Köln-Wahn landete, bemühte er sich einerseits darum, die Beziehungen zur deutschen Regierung zu stärken. Aber noch mehr ging es dem jungen Präsidenten darum, die, wie es im Englischen hieß, „hearts and minds“ der Deutschen zu erobern. Zu seinem Konzept gehörten öffentliche Ansprachen, in die er jeweils einen zentralen deutschen Satz platzieren wollte. In der Heimatstadt Konrad Adenauers rief er am Schluss seiner Rede „Köln alaaf“ – wie sich später herausstellte, auf Rat des damaligen Oberbürgermeisters Theo Burauen.

Bei seiner Frankfurter Rede in der Paulskirche, in der er für eine tiefere transatlantische Zusammenarbeit warb, zitierte er den großen Sohn der Stadt: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Aber sein mit Abstand berühmtester deutscher Satz fiel in seiner Berliner Rede am 26. Juni, der Kennedy-Rede überhaupt. Möglicherweise wäre sein Besuch in der Frontstadt und bei Oberbürgermeister Willy Brandt anders, nämlich weicher ausgefallen, wenn der Präsident nicht vorher Seite an Seite mit Brandt und Adenauer die Mauer besichtigt hätte, die bewaffneten Wachposten, die Kontrolltürme, mit denen das SED-Regime seit August 1961 die Stadt teilte. Möglicherweise kannte er auch deren zynisches Wort vom „antfaschistischen Schutzwall“, mit dem sie ihre eigene Bevölkerung an der Flucht hinderten. Nach kurzen lobenden Worten für das Stadtoberhaupt, „der für die ganze Welt den Kampfgeist von Westberlin symbolisiert“, und der höflichen Referenz an Adenauer sprach er die emblematischen Worte: „Two thousand years ago the proudest boast was „civis Romanus sum.“ Today, in the world of freedom, the proudest boast is ‘Ich bin ein Berliner.’“ Damit erklärte er zum einen die Westberliner, die in der eingemauerten Stadt ausharrten, zu den eigentlichen Handelnden der Geschichte, und reihte sich gleichzeitig selbst elegant in die Tradition römischer Rhetoriker wie Cicero ein.

Der zweite Teil seiner kurzen, perfekt komponierten Ansprache galt dem grundlegenden Unterschied zwischen Freiheit und Diktatur. Nirgendwo, so Kennedys Botschaft, könnte man diese unterschiedlichen Welten so gut begreifen wie hier, in der Nähe der Mauer. „Es gibt viele Menschen in der Welt die tatsächlich nicht das große Thema zwischen der freien Welt und dem Kommunismus verstehen, oder sagen, dass sie es nicht verstehen. Lass sie nach Berlin kommen. Es gibt einige, die sagen, Kommunismus ist die Welle der Zukunft. Lass sie nach Berlin kommen. Und es gibt einige in Europa und darüber hinaus, die sagen, wir könnten mit den Kommunisten zusammenarbeiten. Lass sie nach Berlin kommen. Und es gibt sogar einige wenige, die sagen: es ist wahr, das der Kommunismus ein bösartiges System ist. Aber er erlaubt uns, wirtschaftliche Fortschritte zu machen. Lass die nach Berlin kommen.” Den letzten Satz sprach er erst auf Deutsch aus. (“There are many people in the world who really don’t understand, or say they don’t, what is the great issue between the free world and the Communist world. Let them come to Berlin. There are some who say that communism is the wave of the future. Let them come to Berlin. And there are some who say in Europe and elsewhere we can work with the Communists. Let them come to Berlin. And there are even a few who say that it is true that communism is an evil system, but it permits us to make economic progress. Lass‘ sie nach Berlin kommen. Let them come to Berlin.“)

Im dritten Teil machte er die Mauer unmittelbar zum Gegenstand seiner Rede: „Freiheit ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden, und die Demokratie ist nicht perfekt. Aber wir mussten nie eine Mauer aufrichten, um unsere Bürger einzusperren, um die daran zu hindern, uns zu verlassen.” („Freedom has many difficulties and democracy is not perfect, but we have never had to put a wall up to keep our people in, to prevent them from leaving us”) Der Teilung von Verwandten und Familien widmete er diesen längsten Abschnitt, um dann symmetrisch zu schließen, nämlich mit der Identifikation der freien Welt mit der eingeschlossenen Halbstadt: „All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words ‚Ich bin ein Berliner.“
Seinen berühmten Satz ließ er sich erst kurz vor seine Rede von seinem Übersetzer Robert Lochner (dem er noch in der Rede dankte) in Lautumschrift auf ein Kärtchen notieren.

Die Aufnahme seiner Rede zeigt eine begeisterte Menschenmenge auf dem Rudolf-Walde-Platz, die seine zentrale Botschaft geradezu begierig aufsaugte: Die USA würden Westberlin nicht preisgeben. Den meisten dürfte der Unterschied zwischen der kommunistischen Ordnung nur ein paar Kilometer entfernt und in dem kleinen Stück Westen sehr bewusst gewesen sein. Etliche von ihnen waren vor dem 13. August 1961 aus der DDR geflohen.

Die Kennedy-Bibliothek nennt die Ansprache, die anders als die Rede in Frankfurt nur als kurze Aufmunterungsrede gedacht war, ziemlich beiläufig „Remarks of President John F. Kennedy at the Rudolph Wilde Platz, Berlin, June 26, 1963“. Ein großes Revival erlebte der ‚Ich bin ein Berliner‘-Satz 1987 in dem Song der „Gropius-Lerchen: „Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern“. Der RIAS, damals der von Jugendlichen meistgehörte Sender in der DDR, spielte den Song zum Zorn der SED damals mindestens einmal am Tag.

Kennedy besaß zwar eine ziemliche Kühnheit. Aber dass Berlin nach dem Abriss der Mauer noch zum Experimentierfeld von Spätsozialisten werden würde, hätte er vermutlich nicht für möglich gehalten.

Nur fünf Monate nach seiner Berliner Rede starb er in Dallas an den Folgen des Attentats.

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