Tichys Einblick
Zinswette

Hessen verliert vier Milliarden Euro Steuergeld bei Zinsgeschäft

Ein „Absicherungsgeschäft“, eigentlich eine Wette der hessischen Landesregierung auf die Zinsentwicklung, hat die Steuerzahler mehrere Milliarden Euro gekostet. Ein CDU-Minister glaubte, in die Zukunft blicken zu können. Sein Nachfolger verteidigt die Praxis – und erwägt gleichzeitig, sie zu verbieten.

Hessischer Landtag in Wiesbaden

IMAGO / agefotostock

Hessen steht vor einem Skandal, der die Steuerzahler des Landes viel Geld kostet und für die regierende CDU unter Ministerpräsident Volker Bouffier noch sehr peinlich werden könnte. Oppositionspolitiker wollen das Thema heute im Hessischen Landtag öffentlich debattieren. Wie bei Focus-online zu lesen ist, geht es um Zinsgeschäfte, mit denen das Land einen Verlust von vier Milliarden Euro eingefahren hat. 

Der frühere Finanzminister Thomas Schäfer (CDU), der sich im März 2020 das Leben nahm, hatte 2011 die besagten Geschäfte eingefädelt, die noch bis zum vergangenen Jahr abgewickelt wurden. Ziel war es, sich das „historisch niedrige Zinsniveau“ zu sichern. Mit Billigung Bouffiers schloss das Land 65 sogenannte „Forward-Payer-Swaps“ mit einem Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden Euro über eine Laufzeit von 40 Jahren. 

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Aber bekanntlich war das Zinsniveau von 2011 zwar im Vergleich zu den Vorjahren sehr niedrig, aber es wurde in den Folgejahren noch deutlich niedriger, bis zu den gegenwärtigen Null- beziehungsweise Negativzinsen. Der Zinssatz, den sich Bouffier und sein Finanzminister damals gesichert haben, liegt bei rund 3,6 Prozent. Was eine Absicherung gegen steigende Zinsen sein sollte, war also tatsächlich eine Fesselung, die es dem Land unmöglich machte, von den gefallenen Zinsen zu profitieren. 

Schäfer wettete darauf, dass der Zins ein halbes Jahrhundert nicht niedriger als 3,6 Prozent liege – und er verlor damit für die Steuerzahler einen gewaltigen Betrag. Die hessischen Steuerzahler müssen also Zinsen zahlen, die andere Schuldner nicht zahlen müssen. Und, da laut Focus-online „das Land kein Kündigungsrecht hat, müssen die Steuerzahler hinnehmen, dass bei jedem einzelnen der vereinbarten 65 Deals Millionenverluste in dem Augenblick entstehen, in dem der Vertrag in Kraft tritt. Nach Berechnungen der hessischen Oppositionspolitiker Marius Weiß (SPD), Marion Schadt-Sauer (FDP) und Jan Schalauske (Linke) ist dadurch ein Verlust von inzwischen mehr als vier Milliarden Euro entstanden. Auch der Rechnungshof bestätigt die Summe.“

Schäfers Nachfolger, Finanzminister Michael Boddenberg (CDU), rechtfertigt bislang seinen Vorgänger. „Mit dem Wissen von 2011 war es völlig richtig, so zu handeln“, sagt er laut Focus-online. Zugleich kündigte er aber an, künftig von solchen Geschäften die Finger zu lassen. Über den Vorschlag des Landesrechnungshofes, solche Zinsabsicherungen mit Derivaten künftig zu verbieten, sei er „im Gespräch“. Wieso etwas künftig wohl Verbotenes 2011 völlig richtig gewesen sein soll, erschließt sich dadurch nicht.

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