Irgendetwas ist da schräg, da passen zwei Stellungnahmen nicht zusammen. Oder etwa doch? Soeben erklärte das Landeskommando Hessen der Bundeswehr, dass Soldaten und Reservisten der Bundeswehr nicht mehr an Gedenkveranstaltungen wie dem Volkstrauertag am Mahnmal Karlsaue in Kassel teilnehmen werden. Das Landeskommando hatte das für Erinnerungskultur zuständige hessische Ministerium für Wissenschaft über diese Entscheidung informiert. Aus dieser Entscheidung kann man als Grund herauslesen, dass die Gedenkstätte in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Vandalismus gewesen sei.
Was könnte hinter diesen doch recht unterschiedlichen Begründungen stecken? Das Einknicken der Bundeswehr (und der Polizei) vor Vandalismus? Wir hatten solches ja wiederholt bei Gelöbnissen, die hinter Kasernentoren stattfanden, weil linke Chaoten mit Randale drohten. Wir haben das permanent am Bendlerblock, wo man das Ehrenmal für die mehr als dreitausend seit 1955 im Dienst getöteten Bundeswehrangehörigen zum Schutz vor „Aktivisten“ hinter dicken Mauern versteckt hat, statt das Ehrenmal vor dem Reichstag zu platzieren. Die Bundeswehr ist immerhin eine sogenannte Parlamentsarmee!
Steckt dahinter der alte „grüne Radikalpazifismus“, der nun auch eine von einem Brigadegeneral geführte Bundeswehreinheit erfasst hat? Ist eine CDU-geführte Landesregierung nicht in der Lage und willens, ein Ehren- und Mahnmal zu schützen? Wo bleibt der Aufschrei der Hessen-CDU?
Es geht um Grundsätzliches
Hier setzt sich offenbar der seit 2018 geltende Erlass „Die Tradition der Bundeswehr – Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ durch. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte den Erlass wie so vieles in ihrer Amtszeit auf einen schrägen Weg gebracht. Es ist ein Anti-Traditionserlass geworden. Mit ihm wurden 2018 fast alle Traditionen aus 300 Jahren deutscher Militärgeschichte abgeschnitten. Die Bundeswehr soll sich de facto zum Traditionsstifter für sich selbst erheben – „selbstreferentiell“ heißt das fachchinesisch.
Vor allem soll die Bundeswehr radikal-exorzistisch auf Distanz zur Wehrmacht gehen. Ausnahme: der Widerstand vom 20. Juli 1944. Aber dieser Widerstand kann nicht ohne die Wehrmacht gedacht werden, denn der einzig gefährliche Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime kam eben aus der Wehrmacht.
Zudem hatte Konrad Adenauer schon viel früher eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht abgegeben. Ähnlich der vormalige, ab 1943 führende US-General und von 1953 bis 1961 amtierende US-Präsident Eisenhower. Die Frage, ob der Zweite Weltkrieg die Schuld der zwangsweise in den Krieg gezogenen Großväter und Urgroßväter war, hat auch den Bundeskanzler und vormaligen Oberleutnant der Wehrmacht Helmut Schmidt zeitlebens beschäftigt. Die nach ihm benannte Universität der Bundeswehr entfernte gar im Mai 2017 im von-der-Leyen’schen Säuberungsfuror für vier Wochen posthum ein 1940 entstandenes Bild von Helmut Schmidt (†2015), das ihn in Leutnantsuniform zeigt.
Seinen Standpunkt zur Wehrmacht hat Schmidt 1997 in einem Schreiben an den damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) dargelegt: Eine Kollektivschuld gebe es nicht, schreibt Schmidt. Denn es gab unter den mehr als 17 Millionen Soldaten, die zwischen 1939 und 1945 einberufen wurden und von denen rund 5 Millionen gefallen sind, vermisst blieben oder in Kriegsgefangenschaft starben, zwar Verbrecher, aber, so Schmidt, „ebenso gab es eine Mehrheit persönlich schuldloser Soldaten“. Schmidt weiter: „Kein Deutscher ist allein deswegen mit Schuld beladen, weil er zur Zeit Hitlers gelebt, gearbeitet oder gedient hat.“
Aktuelles Fazit: Die Art und Weise, wie mit Millionen gefallenen deutschen Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges umgegangen wird, ist schäbig. Karlsaue belegt erneut mit einem seltsamen historischen Exorzismus, dass es eben auch viel über ein Volk aussagt, wie es seiner Gefallenen gedenkt.