Tichys Einblick
Kurzserie: Was bleibt von Helmut Kohl?

Helmut Kohl – Maischolle an der Alster

Von einer ersten Begegnung mit dem Kanzler, weil sie einen Kohl zeigt, der eben nicht derjenige war, als welcher er im öffentlichen Bewusstsein bleiben wird.

Ich könnte jetzt viel darüber schreiben, wie Helmut Kohl mich politisch prägte, wie er erst die Union und dann die Bundesrepublik mit Dickfelligkeit, Persönlichkeit und politischem Instinkt über Jahrzehnte führte, wie die Union unter ihm 1989 ins Schleudern kam, weil sie keinerlei Plan für die unerwartet mögliche Wiedervereinigung hatte – und auf kurzem Weg um Hintergrundinformationen aus der Noch-DDR bat. Ich könnte auch darüber schreiben, dass er der vermutlich bedeutendste Nachkriegskanzler war, dem mit der Wiedervereinigung das entgegen späterer Darstellungen auch von ihm  fast schon unmöglich Geglaubte gelang.

Aber vielleicht sollte ich mich einfach auf meine erste Begegnung mit ihm beschränken. Weil sie einen Kohl zeigt, der eben nicht derjenige war, als welcher er im öffentlichen Bewusstsein bleiben wird.

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Im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 1986 organisierten wir vorbei an den Hamburger Sicherheitsorganen einen gleichsam privaten Kanzlerbesuch. Während Kohl mit dem Unionskandidaten Hartmut Perschau zum großen Erstaunen der Passanten – und dem späteren, lautstarken Protest des SPD-Innensenators – mit der U-Bahn vom Hauptbahnhof zum Jungfernstieg fuhr, hatten wir bereits seit geraumer Zeit im Restaurant „Alsterpavillon“ mit den jungen Leuten des Teams alle Stühle in der vordersten Tischreihe mit Alsterblick besetzt. Sehr zum Leidwesen des Gastronomen – denn die paar verzehrten Gläser Cola mochten ihn um seinen Umsatz bangen lassen.

Kurzserie: Was bleibt von Helmut Kohl?
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Dann ging die Tür auf – und der Bundeskanzler trat ein. Der Wirt schien kurzfristig einem Herzinfarkt nahe, stammelte vor sich hin, während unsere Teamer ihre Plätze räumten, um Kohl und einigen ausgesuchten Journalisten Platz zu machen. Auf Anraten Perschaus bestellte Kohl jahreszeitlich korrekt Maischolle. Während wir warteten, erzählte der Pfälzer zur Erheiterung der Runde private Anekdoten aus seinem Leben – darunter eine Geschichte mit dem Papst, die mich ob ihrer Surrealität heute noch rätseln lässt, ob sie vielleicht einfach nur situativ erdacht waren.  Nur über Politik sprach niemand.

Statt nun mit der Maischolle erschien der immer noch völlig desorientierte Restaurantleiter mit einem dicken, schwarzen Buch unter dem Arm. Ob er den Bundeskanzler bitten dürfe, ein paar Zeilen in das Gästebuch zu schreiben. Er durfte – auch wenn Kohl etwas genervt schien. Denn er wartete ja immer noch auf die in höchsten Tönen gepriesene Scholle. Zeitpläne von Bundeskanzlern sind enggestrickt. Weshalb – als der Wirt dann endlich doch die Scholle mit dem ausgelassenen Speck brachte – bereits der Kanzler-Cheforganisator mehrfach gemahnt hatte, dass man zum nächsten Termin müsse. Kohl, der eben immer auch Genußmensch war, schaute enttäuscht und bedauernd.

„So ist das immer – besuche ich spontan ein Restaurant, geschieht erst gar nichts. Dann kommt das Gästebuch und das Essen erscheint, wenn ich weiter muss“, maulte er und ordnete an, den Plattfisch den jungen Wahlhelfern zu überlassen. Dann verschwand er ebenso plötzlich, wie er gekommen war – und der Wirt wirkte immer noch so, als befände er sich in einem Wachtraum.

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Ich hatte später noch des öfteren Gelegenheit, mit dem Bundeskanzler in dessen offizieller Funktion zu sprechen. Mein Bild von ihm geprägt allerdings hat jene kurze Episode an der Hamburger Alster. Denn sie erklärte, wie es dem Kanzler der Bundesrepublik gelang, selbst zu den Mächtigsten der Erde menschlich-freundschaftliche Kontakte aufzubauen. Die Bilder mit Gorbatschow aus dem Kaukasus erinnerten spontan an den Kohl im Alsterpavillon. Auf der einen Seite der Machtmensch, der seine politische Aufgabe darin sah, das Beste für sein Volk zu erreichen. Auf der anderen ein überaus deutscher Gemütsmensch ohne jeden Dünkel und Arroganz,  der wehmütig auf die leider den Amtspflichten erlegene Scholle blickt und hungrig der Pflicht folgt.

Möge er seinen Frieden finden.

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