Tichys Einblick
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Heiko Maas – die personifizierte Realsatire

Hat Heiko Maas Lagerfeld postum rehabilitiert – oder hat er sich nur versprochen? Völlig überraschend entdeckt der Außenminister jetzt auf einmal Probleme durch den Antisemitismus von Zuwanderern. Allerdings relativiert er diese Aussage massiv – auf twitter versteckt er sie geradezu schamhaft im Kleingedruckten. Eine Abrechnung mit einem Komiker wider Willen auf Gratwanderung.

imago Images / photothek

Viele Deutsche klagen über den Niedergang der politischen Satire in ihrem Land. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Politik hat zunehmend die Satire selbst übernommen. Eines der vielen Beispiele: Heiko Maas, der Bundesaußenminister, der ungeschminkt und ohne Verkleidung einen Pennäler in Heinz Rühmanns „Feuerzangenbowle“ spielen könnte. Der 100-Prozent-Charismafreie Politiker ist immer wieder für einen nicht-gespielten Witz gut. Auch wenn die oft eher zum Heulen als zum Lachen sind. Mit dem israelfeindlichen Abstimmungsverhalten Deutschlands und seiner großen Sympathie für die Mullahs in Iran, die Israel vernichten wollen, hat Maas vor nichts zurückschreckenden Spötter sogar schon so weit gebracht, dass sie seinen Satz, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen, bösen Nachfragen unterzogen – die hier nicht wiederholt seien, weil sie unter die Gürtellinie gehen.

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Nicht nur, dass der Sozialdemokrat sich kürzlich lautstark empörte über die twitter-Sperre für seine Parteigenossin, die twitter- und Fettnäpfchenbeauftragte des Berliner Senats Sawsan Chebli (die es schafft, trotz aller Privilegien als Staatssekretärin sich in Dauerschleife als Opfer zu präsentieren). Dabei vergaß der als Jurist vor der Politikkarriere beruflich alles andere als erfolgreiche Saarländer, dass er selbst als Justizminister die gesetzlichen Grundlagen für eben diese Sperrung und die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken gelegt hat. Vergangene Woche twitterte er: „Wo ich auch hinreise: Wir werden für unser europäisches Modell auf der ganzen Welt beneidet.“ Man stelle sich die Lacher „auf der ganzen Welt“ vor. Jetzt entdeckt der Minister, der zum Schulterschluss mit Israel-Hassern neigt, nach vielen Jahren plötzlich das, was er zuvor geflissentlich entweder nicht sah oder einfach nicht laut aussprechen wollte: Importierten Antisemitismus durch moslemische Zuwanderer.

Soll am deutschen Wesen die UNO genesen? Und Israel?
Wie das? War es etwa doch keine Gotteslästerung und übelste „Hetze“ (übrigens ein DDR-Begriff, der es jetzt in den gesamtdeutschen Sprachgebrauch schaffte), als der nunmehr selige Modeschöpfer Karl Lagerfeld sich vor anderthalb Jahren besorgt über Zuwanderer aus islamischen Ländern äußerte? „Selbst wenn Jahrzehnte dazwischenliegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen“, hatte Lagerfeld gesagt, und damit einen Aufschrei der Empörung im öffiziösen Deutschland ausgelöst. Die Reaktion war vergleichbar mit der Szene aus dem Monty-Pythons-Klassiker „Das Leben des Brians“, in dem ein friedlicher Mann gesteinigt wird, weil er „Jehova“ gesagt hat. Lagerfeld konnte von Glück sagen, dass Steinigungen und Ketzerverbrennungen in Deutschland allenfalls noch virtuell und in der Berliner Blase stattfinden und er in Frankreich den nötigen Sicherheitsabstand hatte. Sonst wären Restaurant-Verweise und Antifa-Attacken wohl unvermeidlich gewesen.

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Hat Maas, der es schafft, selbst teuerste Anzüge so zu tragen, dass sie billig wirken, den Ketzer Lagerfeld jetzt postum rehabilitiert? Nur bedingt. Denn ganz in seinem Stil verwischt er seine Botschaften bis zur Unkenntlichkeit. Ausgerechnet er, der bei jeder Gelegenheit Mut und Zivilcourage einfordert, zeigt die selbst nur mit massiver Ladehemmung (obwohl sie bei ihm nur Gratismut erfordern würden, wenn man von Karriere-Risiken wegen Verstößen gegen die Mantras der Funktionärs-Kaste seiner vormaligen Arbeiterpartei absieht). Auf twitter verbreitet er nur einen aalglatten minimalkonsens-kompatiblem Ausschnitt aus seiner Rede – die er so vorträgt, wie ein sehr durchschnittlicher Gymnasiast ein Referat – mühsam vom Blatt vorgetragen, Rhetorik-Note 6, aber insgesamt eine vier für den Fleiß:

Doch bei aller Kritik – eines muss man Maas lassen: Mit solcher völligen Gleichgültigkeit just Gleichgültigkeit zu verurteilen, schafft nicht jeder. Man würde jedem Sparkassen-Berater Unrecht tun, würde man den Esprit von Maas mit einem solchen vergleichen. Weil er mit dem Temperament einer Schlaftablette vorträgt, kann man seinem Gesicht nicht einmal ablesen, ob er sich als besonders mutig dafür empfindet, dass er das ausspricht, was alle in seinem Umfeld hören wollen.

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Die entscheidende Stelle erwähnt Maas auf twitter nicht. Die Welt bringt sie, aber auch nur unter Hinweis auf das Redemanuskript des Ministers (ob er sie nun wirklich ausgesprochen hat, oder verschluckt, oder ob er oder wesentliche Teile des Publikums bereits eingeschlafen sind zu diesem Zeitpunkt, bleibt damit dem Welt-Leser unklar): „Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) wertet den wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa auch als Folge der Migration und will den Kampf gegen Judenfeindlichkeit verstärken. ,Diese Aufgabe ist auch durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahre größer geworden – da gibt es nichts zu beschönigen´. „Nichts mehr“, wäre die richtigere Wortwahl gewesen, denn jahrelang wurde das beschönigt. Und auch in der Maas-Rede selbst wird es wieder schön eingebettet und garniert – wie eine bittere Pille, die unter allerlei Beilagen versteckt wird. Der Überschrift des Welt-Artikels ist ein Zitat: „Viele Migranten haben antisemitische Klischees eingeimpft bekommen“. Ob es wirklich so gesagt wurde, oder nur im Manuskript stand, oder auch nicht, bleibt unklar – ebenso wie nicht verbürgt ist in der Überschrift, ob Maas es gesagt hat: Dafür spricht nur das Indiz, dass ein Videolink darunter steht, der mit seinem Konterfei verziert ist.

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Dennoch: Eigentlich könnte man sich freuen, das mit Maas jemand, der Judenhass immer nur rechts zu verorten schien, nach einigen Jahren entdeckt hat, dass er auch von moslemischer Seite nicht ganz ausgeschlossen ist. Noch am Holocaust-Gedenktag im Januar etwa schien Maas das nicht bewusst – oder zumindest hielt er es für nicht nötig, das herauszustellen. Auch in seinem Beitrag in der Welt zum Thema Antisemitismus unter dem Titel: „Hey Siri, was heißt Holocaust?“ liefert die Suchfunktion für die Wörter „islamisch“, „moslemisch“ oder „Zuwanderung“ keinen einzigen Treffer (nachzulesen hier).

Aber wie ernst meint es Maas mit der neuen Einsicht? Auf twitter versteckt er sie etwa – so ist sie bei diesem tweet nur im Kleingedruckten des beigefügten Bilds zu sehen:

Die ohnehin mit Samthandschuhen vorgetragene Kritik relativiert der Minister denn auch sofort mit Aussagen wie diesen: „Die Nationalisten und Populisten wollen uns Angst machen vor Vielfalt, vor Minderheiten, vor Geflüchteten.“.

Dass er sich damit in Widersprüche verwickelt, scheint er nicht einmal zu bemerken – denn nach seiner Logik wäre ja auch sein eigener Hinweis auf Antisemitismus bei „Minderheiten“ und „Geflüchteten“ bereits nationalistisch und populistisch.

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Im Gegensatz zu vielen anderen lohnt eine Aussage des Ministers der genaueren Betrachtung. «Jeder Migrant muss aktiv damit konfrontiert werden, dass Antisemitismus hier nicht geduldet wird. Und jedem, der sich antisemitisch verhält, muss klar sein: Antisemiten haben bei uns keine Perspektive». Das erinnert ein wenig an die wunderbaren Beschreibungen der DDR-Verfassung, die etwa auch Meinungsfreiheit und Reisefreiheit garantierte, aber mit der Realität nichts zu tun hatte. Die Lebenswirklichkeit von vielen Juden in Deutschland ist, dass nicht Antisemiten keine Perspektive haben, sondern das sie selbst keine mehr sehen.

Der Berliner Gastronom Yorai Feinberg etwa fühlt sich antisemitischen Angriffen schutzlos ausgeliefert und beklagt, der Staat bestärke zuweilen die Täter, statt sie wirksam zu befolgen. Wo bitte ist da Maas? Was hat er tatsächlich bewirkt, als im selbsternannten „besten Deutschland aller Zeiten“ vor den Augen der Polizei am Brandenburger Tor Israel-Fahnen verbrannt wurden? Warum lässt er seine Diplomaten regelmäßig Anträgen von Israel-Hassern in der UNO zustimmen, warum übt er den Schulterschluss mit den Israel-Hassern im Iran? Das sind fatale Signale an Antisemiten in Deutschland. Hat Maas erst jetzt mitbekommen, dass „Jude“ seit Jahren ein weit verbreitetes Schimpfwort an deutschen Schulen ist? Wo war seine Unterstützung für Lagerfeld, als dieser für seine Aussage attackiert wurde?

Ahmad Mansour hält dem Minister auf twitter den Spiegel vor:

Mansour hat Recht. Heiko Maas ist nicht nur die Personifizierung des (im besten Falle) grauen Mittelmaßes, sondern auch der Doppelmoral vieler deutschen Politiker (und leider auch Journalisten): In Sonntagsreden werden hehre Werte hochgehalten, die man sonst wegwirft oder gar mit Füßen tritt.

Heiko Maas schreibt, dass „Antisemitismus hier nicht geduldet wird“. Entweder ist das der Beleg dafür, dass er den Bezug zur Realität verloren hat. Oder eine dreiste Lüge. Oder beides. Antisemitismus wird nicht nur geduldet in Deutschland, und zwar schon seit Jahren. Er wird auch verharmlost, beschönigt und verschleiert. Gerade von Leuten wie Maas. Er ist Teil des Problems. Auch, weil er für einen massiven Vertrauensverlust in die Politik steht, für das Abdriften in die verbale Belanglosigkeit. Was Politikerverdrossenheit erzeugt.

Wer außerhalb der Berliner Blase und der durch SPD-Ministerien finanzierten Stiftungsarmada kann Papiertiger vom Schlage eines Maas noch ernst nehmen? In schweren Zeiten wie diesen, in denen das Staatsschiff auf hoher See im Sturm ist, bräuchten wir erfahrene Kapitäne vom Schlage eines Franz-Josef Strauß, Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt. Leute, die sich nicht nach dem Wind drehen, einen festen inneren Kompass haben, die auch querdenken und unbequeme Entscheidungen treffen. Wenn pfeifende Leichtmatrosen vom Schlage eines Maas am Ruder (und in der Mehrheit) sind, wird das Staatsschiff zum Narrenboot – und droht zu Kentern.


In seiner Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad» lüftet Boris Reitschuster ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik. Weitere Beiträge aus der Kolumne finden sie hier. Sie können dem Autor auch auf twitter, facebook oder reitschuster.de folgen. Alltagsgeschichten aus Moskau von ihm sind auch in Buchform erhältlich: „Russki extrem im Quadrat“.

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