Tichys Einblick
Schon wieder Haushaltsdebatte in der Ampel

Die Unzuverlässigen

Was die Ampel heute sagt, gilt morgen nicht mehr. In dieser Tendenz voran gehen Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner. Diese Unverlässlichkeit ist gefährlich. Nicht nur für die Ampel.

IMAGO / Political-Moments

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte eine Botschaft, nachdem das Verfassungsgericht seinen Haushalt als verfassungswidrig erklärt hat: An der Beratung und dem Beschluss des kommenden Haushalts werde sich nichts ändern. Die Regierung werde den Fahrplan einhalten. Regierungsnahe Medien transportierten diese Botschaft weiter – ohne sie zu hinterfragen. Für RBB24 Inforadio war das zum Beispiel die wichtigste Aussage von der Pressekonferenz mit Scholz, Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).

Über den eigentlichen Inhalt hinaus senden Aussagen von Politikern immer auch eine Botschaft aus. Im Falle von Scholz und dem Haushalt lautete diese Botschaft: Ich bin stark. Ich bin unbeirrbar. Außerdem ist das Urteil des Verfassungsgerichts nicht so schlimm. Es wird ja nicht einmal den Fahrplan des kommenden Haushalts verändern. Das war genau die richtige Botschaft für diesen Tag. Sie hatte nur einen Makel: Sie beruhte auf einer Aussage, die sich nicht mal 24 Stunden halten ließ.

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Es ist schon lange nicht das erste Mal, dass eine Aussage von Scholz kaum einen Tag überlebt: Nach den Babymorden und Vergewaltigungen der Hamas in Israel hat der Kanzler sich dagegen ausgesprochen, weiter Geld in den Gazastreifen zu schicken, das für Terror eingesetzt werden könnte. Einen Tag später sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dem Mann mit der Richtlinienkompetenz, wo es lang geht. Mittlerweile schickt Deutschland mehr Geld in den Gaza-Streifen als vor den Morden an Babys, der Schändung von Leichen und der Vergewaltigung von Frauen.

Nach der Sommerpause bot Scholz der Union einen „Deutschlandpakt“ an. Er wollte mit der Opposition im Bundestag und deren Ministerpräsidenten in den Ländern zusammenarbeiten. Ziel sei es, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Regierungsnahe Medien transportierten diese Botschaft weiter – ohne sie zu hinterfragen. Seitdem passiert ist: nichts. Die gleichen Medien, die Scholz‘ Botschaft von dem geeinten Vorgehen für Deutschland transportiert haben, gefallen sich nun in Schweigen und Vergessen, wenn es darum geht nachzuweisen, wie leer die Worte des deutschen Regierungschefs waren und sind.

Das macht was aus dem Land: wenn die Worte des Regierungschefs schon am nächsten Tag nichts mehr gelten. Wenn Medien Botschaften transportieren, die auf solch nichtigen Aussagen beruhen. Zumal wenn das Medien sind, für die der Staat den Bürgern 8,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren im Jahr abpresst, weil diese Medien angeblich für gesicherte Aussagen stünden – dann aber über Fernseher berichten, die ganze Viertel mit Strom versorgen. Obendrein Weißen Rassismus vorwerfen, weil sie diese Erfindung eines Schwarzen nicht in Serie gebracht haben.

Wortbrüche wie die von Scholz führen dazu, dass nichts mehr gilt. Dass gar kein Verlass mehr ist auf Politik und Medien. Dass kein Vertrauen existiert, auf dem aber das alltägliche Zusammenleben beruht. Aus dem, was die Führung des Staates war, wird dadurch etwas, das so belanglos ist wie eine Seifenoper. Ein Grundrauschen. Etwas, das niemand mehr ernstnimmt.

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Es wird immer schwerer, den Überblick zu behalten. Hand aufs Herz: Das gilt auch für die, die darüber berichten. Als es in der morgendlichen TE-Konferenz um diesen Beitrag geht, gibt es eine Nachfrage. Der Autor geht in der Antwort davon aus, dass der Bundestag den Haushalt 2024 schon beschlossen habe. Das ist natürlich falsch. Beschlossen hat das Parlament nur den Nachtragshaushalt 2023. Der Haushalt 2024 soll nun im Januar durch den Bundestag gehen. Aber wenn Autoren, die sich beruflich mit dem Thema beschäftigen, durcheinander geraten – wie muss es dann Industriemechanikern, Elektrikern oder Verkäuferinnen gehen, die sich mit Politik nur in ihrer Freizeit auseinandersetzen?

Nun ändert sich die Welt permanent und es kann immer jemand zur Einsicht kommen, dass seine bisherige Sicht falsch war. Dann ist es legitim und notwendig, dass Politiker alte Positionen aufgeben – mitunter gar deren Gegenteil vertreten. Konrad Adenauer (CDU) fasste diese Notwendigkeit mit den legendären Worten zusammen: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Nur: Adenauers metaphorischer Aussage dazu, dass Dinge sich verändern, nehmen die Vertreter der Ampel buchstäblich. „Der Alte“ hat gemeint, dass etwas heute richtig sein kann, was vor zwei oder mehr Jahren falsch war. Die Neuen meinen, dass ihr gestern gesprochenes Wort tatsächlich heute schon nichts mehr gilt.

Zum Thema Finanzen liefert die Ampel das aktuelle Beispiel. Keine Woche ist vergangen, seitdem sich die Koalition zum Haushalt für 2024 geeinigt hat. Doch schon am Wochenende sprachen ihre Vertreter über den Haushalt, als ob es eine Einigung nie gegeben habe. Als ob nicht Wochen vergangen wären – anders als Scholz es versprochen hatte –, um zu dieser Einigung zu kommen. Alles egal. Zählt heute nicht mehr. Am Mittwoch hat die Koalition die Einigung beschlossen. Regierungsnahe Medien transportierten diese Botschaft weiter – ohne zu hinterfragen. Doch schon ist es wieder Geschwätz von gestern.

Neben Scholz ist es vor allem die FDP, die groß darin ist, politische Aussagen zu entwerten: Ihr Fraktionschef Christian Dürr will dem Haushalt nicht zustimmen, wenn darin die Belastungen für die Landwirte bleiben. Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt äußert sich im Deutschlandfunk ähnlich kritisch. Angesichts ihres bisherigen Werdegangs ist es naheliegend, dass ihr Vorstoß mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing abgestimmt ist. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki – einer der wenigen richtig Prominenten der FDP – hat vorab gegen Habecks Heizhammer gemöppert. Regierungsnahe Medien transportierten diese Botschaft weiter – ohne sie zu hinterfragen. Aber dann hat Kubicki dem Heizhammer im Bundestag zugestimmt.

Doch wenn es um Worte geht, die nichts zählen, dann gibt es einen ungekrönten König. In der FDP ebenso wie bundesweit: Christian Lindner. Der Finanzminister ist so wenig zuverlässig in seinen Aussagen, dass es sich empfiehlt, Zähne zu putzen und die Schlafmaske anzulegen, wenn Lindner einem einen guten Morgen wünscht.

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Lindner war der schärfste Kritiker des Atomausstiegs. Vor und nach dem Beschluss. Nur hat er eben diesen Beschluss als Parteichef und Finanzminister mitgetragen. Die Erhöhung des Bürgergelds um 25 Prozent innerhalb eines Jahres hat Lindner ebenso mitgetragen. Davor und danach hat er betont, dass Deutschland Anreize setzen müsse, dass Arbeiten attraktiver sei als zuhause zu bleiben. Adenauer hat sich vielleicht nicht um sein Geschwätz von gestern gekümmert. Lindner aber kümmert sich bei seinem Geschwätz von heute nicht um sein Tun von gestern.

Zu dieser flatterhaften Art passt Lindners Tendenz, sich zu verdrücken, wenn es unangenehm wird. Seine Hochzeit hat er auf eine Sitzungswoche des Bundestages gelegt. Als das Parlament über das Kernthema Energiepolitik beraten hat, hat der Finanzminister auf Sylt Sekt geschlürft. Als die Bauern ihn als Redner zu ihrer Demo vorm Brandenburger Tor einluden, schob er „Kurzfristigkeit“ als Grund vor, um sich vor dem unangenehmen Treffen zu drücken. Als das Parlament über den Nachtragshaushalt abgestimmt hat – seiner bisher größten politischen Niederlage –, war Lindner krank. So krank, dass er freitags im Parlament gefehlt hat, aber samstags Interviews geben konnte. Die verblüffendste Heilung seit Lazarus.

Standhaftigkeit zählt aber in der Politik. Ein Beispiel: Helmut Kohl wurde im Herbst 1990 der „Kanzler der Einheit“. Im Herbst 1989 stand er kurz vor seinem Sturz. Als es im September zu einem CDU-Parteitag in Bremen kam, wollte eine Gruppe um Heiner Geißler ihn abwählen. Kohl war schwerkrank. Er musste dringend operativ behandelt werden. Doch er hielt durch. Die Bilder von damals zeugen eindrucksvoll von seinen Schmerzen. Kohl wusste aber, dass er präsent sein musste, um den Parteitag in seine Richtung zu lenken. Lindner war so krank, dass er über den Haushalt nicht abstimmen, aber einen Tag später Interviews geben konnte. Deutlicher ließen sich die Größenunterschiede zwischen dem politischen Urgestein und dem Sylter Sektschlürfer nicht aufzeichnen.

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Was ein Politiker sagt oder nicht sagt – es hat neben der inhaltlichen Bedeutung auch immer eine symbolische Ebene. Ob der Politiker das will oder nicht. Ein Finanzminister, der unangenehmen Terminen fernbleibt. Ein Kanzler, dessen Wort nicht lange trägt. Das sind Botschaften. Keine guten. Die schlechten Werte für die Politik der Ampel, aber auch die immer schlechter werdenden Werte für das Vertrauen in die Politik allgemein werden durch diese Botschaften befeuert. Medien, die diese Politik nicht kritisch hinterfragen und aufzeigen, geraten ebenfalls in diesen Vertrauenssog.

Adenauer hat recht. Mitunter darf sich die Politik nicht um ihr Geschwätz von gestern kümmern. Doch grundsätzlich gilt das nicht. Grundsätzlich muss Politik zuverlässig sein. Beständig. Das wusste niemand besser als Adenauer selbst. Nicht zufällig fuhr er mit dem Slogan „Keine Experimente“ das erfolgreichste Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Zuverlässigkeit ist in der Politik ein Wert für sich. Mitunter zählt sie mehr als die eigentliche inhaltliche Ebene.

Als Willy Brandt (SPD) Anfang der 70er Jahre auf die kommunistischen Staaten zuging, war die „Ostpolitik“ des Kanzlers hoch umstritten. Die damals noch mächtige Bild fuhr eine regelrechte Kampagne gegen sie und ihre Vertreter wie Egon Bahr (SPD). Doch Brandt stand es durch und wurde mit dem Nobelpreis sowie dem besten Wahlergebnis in der Geschichte der SPD belohnt.

Ende der 70er war es Helmut Schmidt (SPD), der noch vor den Amerikanern einsah, dass die Nato aufrüsten musste. Er wusste, dass er diese Haltung durchstehen musste, damit er glaubwürdig bleibt – und damit Deutschland als Partner der Nato verlässlich bleibt. Schmidt ist an seiner Partei gescheitert, die den „Doppelbeschluss“ nicht mittragen wollte. Ein wichtiger Grund, warum Kohl 1982 Kanzler wurde. Der stand die Debatte durch. Obwohl er einräumte, dass die großen Demonstrationen und Menschenketten ihn durchaus beeindruckt hätten. Die Wähler bestätigten ihn viermal im Amt. Zuverlässigkeit ist ein Wert.

Gerd Schröder (SPD) erklärte indes 2005 die rot-grüne Regierung für gescheitert. Er setzte auf Neuwahlen und darauf, dass er als Wahlkampf-Lokomotive seine Herausforderin Angela Merkel (CDU) plattmachen würde. Das Spiel ging nicht auf. Schröder scheiterte nur knapp – aber er scheiterte. Die Wähler belohnen Zuverlässigkeit. Wenn ein Regierungschef betont, dass seine Regierung gescheitert sei, wählen sie ihn nicht wieder. Egal, wie gut er als Wahlkämpfer sein mag.

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Zugegeben. Die Beispiele für Politiker mit Rückgrat sind alt. Autoren müssen Brandt, Schmidt und Kohl auskramen, um sie zu belegen. Das ist kein Zufall. In deren Zeit haben Schmidt und der damals noch junge Oskar Lafontaine öffentlich über „Sekundärtugenden“ gestritten. Lafontaine kritisierte den damaligen Kanzler im Stern: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit… Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Damit ist Lafontaine nicht nur der Erfinder des saudummen Nazivergleichs. Er ist auch derjenige, der Charakterstärke als Voraussetzung für Politiker in Frage gestellt hat.

Die Generation Brandt, Schmidt und Kohl hatte auf ihre Weise noch den Krieg miterlebt. Sie sind in die Politik gegangen, um dort etwas zu bewirken. Lafontaine stand am Anfang der Generation Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Jener Politikerkaste, deren ganzes Leben auf einen Aufstieg in der Politik ausgerichtet ist – die faktisch oder tatsächlich nie außerhalb der Politik gearbeitet hat. Ihre Vertreter gehen in die Politik, um dort zu sein.

Was ist besser? Die Standhaften oder die Unzuverlässigen? Ist das nur eine moralisch-ethische Frage? Also letztlich Gelehrtengeschwätz. Oder ist das eine handfeste Frage, deren Antwort politisch entscheidend ist? Das lässt sich an den beiden Teilnehmern des Streits um die Sekundärtugenden festmachen: Helmut Schmidt stand für Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit und Standhaftigkeit. Lafontaine hielt das nur für Tugenden, die einen dazu befähigen, ein KZ zu leiten.

Schmidt blieb mit Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit und Standhaftigkeit acht Jahre Kanzler, brachte Deutschland gut durch eine schwere Weltwirtschaftskrise, überwand den Terror der RAF, arbeitete nach seiner Amtszeit erfolgreich als Verleger und galt bis ins hohe Alter als anerkannter und gefragter Gesprächspartner.

Lafontaine schaffte es bis zum „Superminister“, warf das Amt aber nach einem halben Jahr wie ein gebrauchtes Taschentuch weg. Lafontaine war SPD-Chef, trat aber aus der Partei aus, überzog sie mit Schimpf und Schande und gründete die Linken – auch, um sich an der alten Partei, der SPD, rächen zu können. Keine 20 Jahre später wiederholte er das gleiche Spiel aus Scheitern, Wiederaufstieg und Rache mit der Linken und dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Lafontaine muss sich hinter seiner Frau verstecken, er selbst ist ein Gescheiterter. Die Wähler belohnen Zuverlässigkeit. Sekundärtugenden. Sie wissen auch warum.

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