Tichys Einblick
Bundeshaushalt 2025

Haushalt gerettet, Koalition gerettet? Nein, in Wirklichkeit nicht

Mit neuen Schulden, kleinen Einschnitten und Bilanztricks lässt sich das Loch im Etat 2025 flicken. Die Ampel ist inhaltlich trotzdem am Ende: Die Parteien kalkulieren mit dem Ausstieg.

Pressekonferenz zum Bundeshaushalt 2025, Berlin, 5. Juli 2024

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Die Bundestagsabgeordneten wussten schon Anfang der letzten Sitzungswoche Bescheid: Die Führungen der SPD- und Grünen-Fraktion teilten ihnen mit, sie sollten am letzten Tag vor der Sommerpause nicht schon in die Ferien reisen, sondern sich noch den Freitag über für eine Sitzung bereithalten, um dort wichtige Informationen entgegenzunehmen. Auch die Mitglieder der FDP-Fraktion, hieß es, bleiben an dem Tag auf jeden Fall noch in Berlin. Denn am Freitag, gewissermaßen in der Schlussminute der ersten Parlamentshalbzeit 2024, erfahren sie die sogenannte Lösung im Haushaltsstreit, ausgehandelt zwischen Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.

Eigentlich wollte die Ampel den Haushaltsentwurf für 2025 schon am 3. Juli einbringen. Dass daraus nichts werden konnte, stand schon lange fest. Und auch bei dem, was die drei Partner an diesem Freitag präsentierten, handelt es sich nicht etwa um den fertigen Haushalt, sondern nur um die ungefähre Klärung der Frage, wie das 25-Milliarden-Loch im Etat des kommenden Jahres gestopft werden soll. Danach müssen die Beamten des Finanzministeriums nach den Vorgaben rechnen. Am 18. Juli sollen die Mitglieder des Finanzausschusses die eigentlichen Haushalts-Eckpunkte erfahren – wegen der Parlamentspause in einer Sitzung, an der die meisten per Videoschalte teilnehmen. Allerdings, so ein Mitglied des Ausschusses, lautete die Information in dieser Woche: Ganz fix sei der Termin noch nicht, er könnte sich auch nach hinten verschieben. Ins Parlament kommt der Etat ohnehin erst im September.

Eckdaten für den Haushalt
Ampel trickst sich weiter durch
Nach Berliner Politikmaßstäben gilt die nicht ganz zutreffende Verkündung ‚wir haben einen Haushalt‘ ganz kurz vor Schluss als Erfolg einer raffinierten Taktik. Denn ganz gleich, wie das Spiel der deutschen Elf gegen Spanien am Abend ausgeht, ob Deutschland ins Halbfinale einzieht oder ausscheidet – die Schlagzeilen vom Wochenende gehören erst einmal dem Fußball. Und spätestens Freitagabend beginnt für die Abgeordneten dann wirklich die Ferienzeit. Im öffentlichen Eindruck soll deshalb nur die Botschaft hängenbleiben: Haushalt gerettet, Ampel gerettet. Details folgen erst viel später. Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus.

Zum Ermüdungsbruch der Koalition, nach dem es während des Finanzstreits lange aussah, kommt es zwar vorerst nicht. Daraus folgt allerdings nicht, dass das Bündnis bis zum Wahltermin 2025 hält. Viele Indizien sprechen dafür, dass alle drei Parteien zwar erst einmal weitermachen, aber gleichzeitig ein vorzeitiges Ende einkalkulieren. Denn es verhält sich nicht so, dass SPD, Grüne und FDP sich über den Etat und andere Themen in der Sache zerstreiten, und deshalb womöglich ihre Allianz aufkündigen. Sondern umgekehrt: Es gibt schon längst keine Allianz mehr, keine gemeinsame Richtung.

Alle drei klopfen deshalb jeden Konflikt darauf ab, ob er die Gelegenheit bietet, mit einer guten Begründung auszusteigen. Nur die Angst vor dem tiefen Fall bei vorgezogenen Wahlen hält das Trio noch zusammen. Ihre Protagonisten bemühen Emmanuel Macrons Manöver in Frankreich als warnendes Beispiel. Andererseits macht sich im Regierungsviertel auch der Gedanke breit: Möglicherweise fällt das Ergebnis trotzdem immer noch besser aus als 2025. Möglicherweise hätte auch Macrons Partei am regulären Wahltermin noch schlechter abgeschnitten als jetzt bei der vorgezogen Parlamentswahl.

Was den immer noch nicht ausformulierten deutschen Haushalt 2025 betrifft: Lange sah es so aus, als würden sich hier die völlig unterschiedlichen Vorstellungen von SPD und Grünen einerseits und FDP auf der anderen Seite trotz aller Kraftanstrengung nicht mehr zusammenzwingen lassen. Auf der einen Seite forderte Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) sogar mehr Geld, obwohl ihr Etat schrumpfen sollte. Auch Annalena Baerbock verlangte einen Zuschlag. Die SPD wiederum erklärte den riesigen Block der Sozialausgaben für unantastbar. Finanzminister Christian Lindner verwies auf die verfassungsmäßige Schuldenbremse, die Regierung ohnehin nicht allein abschaffen kann: Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Das hinderte sehr viele Stichwortgeber nicht daran, so zu tun, als würde Lindner dem Land das nötige Geld verweigern.

In Wirklichkeit verbucht der Bund in diesem und nächsten Jahr Rekordsteuereinnahmen. Und bei der Verschuldung geht Lindner schon an die Grenze: Auch die Schuldenbremse erlaubt Neuverschuldung, und zwar in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoninlandsprodukts, plus einen Zuschlag, der in Rezessionszeiten erlaubt ist. Für 2025 sind nun Ausgaben von 481 Milliarden Euro geplant – nur 8 Milliarden weniger als in diesem Jahr. Darin stecken 24 Milliarden an neuen Krediten, acht Milliarden mehr als ursprünglich vorgesehen. Mehr geht nicht.

Die vorläufige Lösung des Haushaltskonflikts sieht nun so aus: Verteidigungsministerium, Entwicklungshilfe- und Außenressort bekommen etwas weniger, als sie beantragt hatten – Boris Pistorius etwa nur 1,2 statt der eigentlich gewünschten 7 zusätzlichen Milliarden. Da Lindner für 2024 die maximale Neuverschuldung noch nicht ausgereizt hat, gibt es hier noch Spielraum. Mit zusätzlichen Schulden lassen sich im Nachtragshaushalt Vorhaben finanzieren, die erst 2025 wirksam werden. Technisch werden also Ausgaben in diesem Jahr gebucht, faktisch wird Geld ins kommende Haushaltsjahr verschoben. Vor dem größten Problem stand die Koalition beim Klima- und Transformationsfonds: Die EREG-Umlage, die früher die Stromkunden direkt zahlten, wanderten 2022 komplett in diesen Nebenhaushalt.

Dieser Posten, an dem die festen Einspeisegebühren für Wind- und Solarstrom gezahlt werden, explodierte allerdings, da durch den extensiven Ausbau der EE-Anlagen bei fehlenden Speichern der Börsenstrompreis an immer mehr Tagen auf Null oder in den Negativbereich fällt. Die ursprünglich geplanten Ausgleichszahlungen von 10 Milliarden Euro reichen nicht annähernd. Nötig sind eher 20 Milliarden. Dieser Bedarf dürfte in den kommenden Jahren immer weiter steigen. Vermutlich wird die Ampel bestimmte Projekte, die aus dem Fonds bezahlt werden sollen – etwa die Subventionierung der Wasserstoffwirtschaft – weiter in die Zukunft verschieben, um zusätzliches Geld für die Bezahlung der Wind- und Solarenergie freizuschaufeln. Alles in allem füllt die Regierung die Lücke also mit einer Mischung aus kleinen Einschnitten und Bilanztricks. Gleichzeitig lässt sich aber schon erkennen, wie alle drei Partner neuen Konfliktstoff züchten:

Jede Partei könnte also auch schon in vorgezogene Wahlen mit einem Kampfprogramm ziehen: die SPD gegen die Schuldenbremse, für höheren Mindestlohn und mit mehr Etatismus im Angebot als selbst die Grünen. Die Grünen könnten ebenfalls die schlechte Wirtschaftsbilanz auf die Schuldenbremse schieben, und sich mit der teuren Kindergrundsicherung als sozial präsentieren. Die Freidemokraten hätten wenigstens die Schuldenbegrenzung auf der Habenseite – immerhin wehrten sie sich auch gegen die Ausrufung einer neuen Haushaltsnotlage für 2025.

Fast ebenso wichtig wie die Gräben zwischen SPD, Grünen und FDP sind die Risse in den Parteien selbst. Gegen die Verteidigung der Schuldenbremse durch Kanzler Olaf Scholz laufen Teile des linken Flügels Sturm. Bei den Grünen sieht es der linkere Teil der linken Partei als Verrat an, dass die Regierungsgrünen der neuen EU-Asylregelung GEAS zustimmten. Und an der Basis der FDP wünschen sich viele den Ausstieg – nicht verwunderlich angesichts der Umfragezahlen knapp über 5 Prozent.

Das Szenario der vorgezogenen Wahl gab es bekanntlich schon einmal – unter Gerhard Schröder 2005. Zum einen glaubte der SPD-Kanzler damals, dass seine Partei bei Zuwarten schlechter abschneiden würde. Zum anderen wusste er auch, dass nur ein Wahlkampf seine Partei zusammenhalten konnte, die sich gerade wegen der Agenda 2010 zu zerlegen drohte. Der Kampf gegen die anderen schließt nun einmal die Reihen.

Einen Automatismus gibt es nicht. Aber bestimmte Muster der Geschichte könnten sich demnächst wiederholen.

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