Auch auf den Zeitplan für den Nachtragshaushalt kann sich die Ampel nicht einigen. Jetzt warnt auch erneut der Bundesrechnungshof: Der Nachtragshaushalt ist möglicherweise auch verfassungswidrig. Das geht aus einer fünfseitigen Stellungnahme des BRH für die Anhörung des Haushaltsausschusses zum Nachtragshaushalt 2023 an diesem Dienstag hervor. Bei korrekter Auslegung der Schuldenregel werde die Obergrenze „auch mit dem beabsichtigten Nachtragshaushalt 2023 immer noch um 14,3 Milliarden Euro und damit weiterhin deutlich überschritten“, heißt es darin. Deshalb sei die Konstruktion des Haushalts 2023 „äußerst problematisch“.Die Bürgergelderhöhung bleibt – trotz des Haushaltslochs. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte es in einer Mitteilung „moralisch unverantwortlich und mit der Verfassung nicht vereinbar“, den Betroffenen eine Anpassung der Regelsätze zu verwehren. Kanzlersprecher Steffen Hebestreit betonte, dass ihm keine Pläne innerhalb der Bundesregierung bekannt seien, „an der gesetzlichen Grundlage etwas zu verändern“.
Streit um das Bürgergeld
Zuvor hatten nicht nur CDU/CSU und AfD gefordert, die Anhebung um zwölf Prozent zurückzunehmen. Auch aus der Koalitionspartei FDP waren Stimmen laut geworden, das Bürgergeld neu zu bewerten. „Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten knapper Kassen und mit der niedrigsten Inflation seit 2021 das Bürgergeld um zwölf Prozent anheben“, hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gesagt. „Die geplante Erhöhung zum 1. Januar ist nicht mehr angemessen.“ Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, verwies auf die gesunkene Inflation. „Wir sollten daher prüfen, wie die tatsächliche Inflationsentwicklung beim Bürgergeld besser abgebildet werden kann.“
Heil betonte, dass mit dem Bürgergeld die Existenz von Menschen in Not gesichert werde. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums betonte, auf der Basis des geltenden Rechts gebe es keinen Ermessensspielraum über die Fortschreibung der Regelsätze im kommenden Jahr. Dafür müsse man ein neues Gesetz erlassen. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums sagte, Christian Lindner habe die Bürgergelderhöhung als „geltendes Recht“ bezeichnet. „Das ist jetzt alles auch Gegenstand der allgemeinen Beratungen zum Haushalt“, fügte sie hinzu.
Zuvor hatten SPD und Grüne bereits Forderungen zurückgewiesen, die Bürgergelderhöhung auszusetzen. Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, nannte es „schäbig“, das Sozialstaatsversprechen „durch populistische Debatten infrage zu stellen“. Gegenüber der Tageszeitung WELT sprach sie von „konservativen Angriffen auf unseren Sozialstaat“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge hatte davon gesprochen, dass die Erhöhung der Grundsicherung die gestiegenen Lebenshaltungskosten abbilde.
Auch die Sozialvereine haben sich in Stellung gebracht, um Einsparungen beim Bürgergeld abzuwehren. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband sagte gegenüber der TAZ: „Die Bundesregierung hat bei den Regelsätzen überhaupt keinen Spielraum, wenn sie nicht riskieren will, wieder in Karlsruhe zu landen. Die Erhöhung um 12 Prozent ist verfassungsmäßig geboten.“ Auch Schneider argumentierte mit dem Inflationsausgleich.
Die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, verteidigte nicht nur das Bürgergeld, sondern kündigte auch mögliche Steuererhöhungen an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns darauf einlassen“, sagte sie im Bericht aus Berlin. „Weil wir eben auch nicht an den Ärmsten sparen, sondern dass wir jetzt schauen müssen, wie wir auch die starken Schultern stärker beteiligen können.“
Lindner blockiert Steuererhöhungen – noch
Finanzminister Christian Lindner kündigte indes an, dass der Verzicht auf Steuererhöhungen und die Schuldenbremse „Leitplanken der Regierungsbeteiligung“ seien. Der Schuldenstand im Land müsse sinken, so der FDP-Chef. Bei den „absoluten Grundüberzeugungen“ würde er nicht wackeln, so Lindner gegenüber dem Medienportal The Pioneer. Lindner bezog sich auf die Äußerung von SPD-Co-Chef Lars Klingbeil, der gesagt hatte, dass nach dem Haushaltsurteil die Koalitionsvereinbarungen zur Einhaltung der Schuldenbremse und zum Verzicht auf Steuererhöhungen erneut zur Debatte stünden. „Darauf kann ich nur die freundliche Antwort geben: Das kann 2025 im nächsten Bundestagswahlkampf diskutiert werden“, so Lindner.
Auch der haushaltspolitische Sprecher der FDP, Otto Fricke, lehnt Steuererhöhungen entschieden ab. Dies wäre vor dem Hintergrund, mehr Anreize für private Investitionen zu schaffen, ein falsches Signal, sagte er dem Sender Phoenix. Der FDP-Politiker fügte hinzu, dass „circa 84 Prozent der Investitionen in Deutschland von privater Seite kommen und nicht von staatlicher“. Fricke stellte neuerlich die Erhöhung des Bürgergeldes infrage. „Ist es die Aufgabe an der Stelle, jeden letztlich gleich mit finanziellen Mitteln zu versorgen oder müssen wir doch stark differenzieren?“, so der Bundestagsabgeordnete.
Doch nicht nur beim Bürgergeld sind sich Liberale und Sozialdemokraten uneins. Auch knapp drei Wochen nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts kann die Bundesregierung den Zeitplan für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2024 noch nicht genauer eingrenzen. Der Bundeskanzler habe gesagt, dass die Beratungen „mit der gebotenen Schnelligkeit, aber auch mit der nötigen Sorgfalt“ geführt würden, so Regierungssprecher Hebestreit. „Diese Gespräche laufen im jetzigen Zeitpunkt und da kann ich auch keinen genaueren Zeitrahmen von der jetzigen Stelle heute skizzieren.“
Dass aber zum Beispiel die geplante Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Weltklimakonferenz nicht stattfinde, zeige, „wie intensiv die Gespräche auch in dieser Woche geführt werden“, so Hebestreit. Eine komplette Beschlusslage des Haushaltes inklusive Bundesrat und zweiter, dritter Lesung im Bundestag würde voraussichtlich voraussetzen, dass in dieser Woche eine Einigung im Kabinett erzielt würde. Zuletzt fanden zur Lösung der Haushaltsfrage vor allem Dreiergespräche von Kanzler Olaf Scholz mit Finanzminister Christian Lindner sowie Habeck statt.
Bezeichnend: Olaf Scholz blieb am Freitag der Debatte über den Nachtragshaushalt im Bundestag fern. Stattdessen reiste er selbst nach Dubai. Offenbar erachtete er seine dortige Anwesenheit als wichtiger. Dass er seinem Wirtschaftsminister nun verbietet, dorthin zu fliegen, zeigt zweierlei. Einerseits, dass er wenigstens ein symbolisches Zeichen setzt, wer die Richtlinien bestimmt; andererseits führt er ein kleines Theaterspiel auf, um dem Bürger vorzugaukeln, die Ampel käme ihrer Verantwortung nach. Oder anders: Was dem Kanzler erlaubt ist, ist dem Minister mit seinen Kühen und Schweinen noch lange nicht erlaubt.
Vernichtendes Urteil des Rechnungshofs
Die Kritik des Rechnungshofs ist vernichtend. Entgegen dem Wortlaut von Artikel 115 Absatz 2, Satz 6 Grundgesetz sei die Kreditobergrenze nicht aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, sondern ohne einen Beschluss des Parlaments überschritten worden. Eine Prüfung der Erforderlichkeit der Kreditaufnahme durch das Parlament sei „von vorne herein ins Leere“ gelaufen.
Daher stehe die nachträgliche Legitimation bereits aufgenommener Kredite dem Verfassungswillen entgegen. Eine Legitimation bereits getroffener Entscheidungen könnte „mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen“. Erneut der Vorwurf der Trickserei: So würden die Kredite „für sämtliche der Schuldenregel unterfallenden Sondervermögen“ nicht in die Berechnung „des nach der Schuldenregel Zulässigen“ einbezogen.
Fazit: Die Regierung hat erneut getrickst, und der Bundestag ist drauf und dran, dem Kunstgriff wieder seinen Segen zu geben. Die Stellungnahme endet mit der Forderung an die Koalitionsregierung, „sicherzustellen, dass die Planung des Haushalts 2024 über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben sein sollte“.