Tichys Einblick
Ambivalent

Hartz-4: Sanktionen gegen Kinder

Schneller als man glaubt, ist man heutzutage im Hartz-4 Modus. Wer länger als ein Jahr plus X arbeitslos ist, landet hier automatisch. Ganz gleich ob er zuvor 35 Jahre oder zwei Jahre tätig war und eingezahlt hat.

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Wie Kommentare zu Berichten aus der Vergangenheit zeigten, stehen einige unserer Leser Kürzungen von Hartz-4-Leistungen durchaus ambivalent gegenüber. Das darf so sein. Wer regelmäßig arbeiten geht, der schaut skeptisch auf die, die zu Hause bleiben. Der vermutet schon mal Müßiggang und Unwillen. Der mag sich sogar darüber freuen, wenn das Jobcenter der Presse mitteilt, dass wieder mehr Empfängern das Existenzminimum gekürzt wurde.

Bevor die Zustimmung hier allerdings allzu sehr aufwallt, gilt es ein paar Fakten mit zu bedenken. So berichten beispielsweise Statistiken von über einer Million Vollzeitarbeitnehmern, Kollegen, die trotz Mindestlohn auf Hartz-4 Zuzahlungen angewiesen sind. Wenn nun diese Menschen in Vollzeittätigkeit als Aufstocker von Hartz-4-Kürzungen betroffen sein sollten, dann ist das ein Skandal, der eine Neiddebatte um Faulheit oder Unwillen nicht zulässt.

Aber wir könnten noch weiter gehen: Wer Hartz-4 bekommt, dessen Antrag positiv entschieden wurde, der hat zunächst einmal auch einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen. Und wer sich die elenden Fälle einmal im Detail anschaut, der relativiert schnell eine wie eingangs geschilderte Haltung. Nein, Hartz-4-Empfänger zu sein, ist zunächst einmal kein Freiticket ins Schlaraffenland.

Wer sich jene redlichen Menschen anschaut, die verzweifelt bemüht sind, eine irgendwie ausführbare Tätigkeit zu finden, um die Familie zu ernähren, der wird darüber eventuell stiller in seinem Protest. Schneller als man glaubt, ist man heutzutage im Hartz-4 Modus. Wer länger als ein Jahr plus X arbeitslos ist, landet hier automatisch. Ganz gleich ob er zuvor 35 Jahre oder zwei Jahre tätig war und eingezahlt hat.

Wer veranlasst nun also Kürzungen von Zuwendungen im Existenzminimum? Der Sachbearbeiter leitet es in die Wege. Und er bekommt Direktiven, wie – so über den Daumen – dabei vorzugehen ist.

„Im Schnitt waren 2016 monatlich 134.390 Menschen von Leistungskürzungen betroffen, berichtet die Funke Mediengruppe unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. 2015 waren es mit 131.520 noch rund 3000 Betroffene weniger.“

Eine steigende Anzahl von Menschen, die Mülleimer nach Pfandflaschen – oder schlimmer: Essbarem – durchsuchen oder Flaschencontainern mit langen Stäben zu Leibe rücken, auf der Suche nach der versehentlich weggeschmissenen Pfandflasche, darf als Antwort auf diese Kürzungsmaßnahmen verstanden werden. So genannte Flaschenspechte, die möglicherweise Kinder zu Hause haben, die auf die Resultate der elterlichen Flaschenpickerei warten.

„Zu diesen Betroffenen gehören häufig auch Kinder. In jedem dritten der mit Sanktionen belegten Haushalte – konkret im Monatsdurchschnitt 44.400 – lebten Kinder. Auch diese Zahl ist dem Bericht zufolge 2016 um 1700 gestiegen.“, weiß der Spiegel.

Jetzt kann man sich hartnäckig wie hartherzig weiter darüber aufregen, dass es schwarze Schafe gibt. Man kann aber zugunsten der redlichen Nachbarn die Haltung einnehmen, dass hier geltendes Recht gebrochen wird. Denn annährend 40 Prozent der Klagen – und nicht jeder klagt! – gegen die Kürzungen wird stattgegeben, ähnliches gilt für schriftlich eingereichten Widerspruch.

Und wem das nicht reicht: Das Bundesverfassungsgericht ist bereits auf den Plan gerufen worden. Möglicherweise verstoßen Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gegen das Grundgesetz. Das Sozialgericht Gotha hat einen entsprechenden Fall vorgelegt.

Fazit: Die Intention für solche Kürzungen mögen Sparmaßnahmen sein. Wer sie auf welche Weise politisch auf den Weg bringt, ist noch zu ermitteln. Interessanter wird es allerdings mit dem Blick in die nahe Zukunft, wenn sich bewahrheiten sollte, dass auch Millionen Asylbewerber oder anerkannte Asylanten nicht sofort in Lohn und Brot stehen und auf Hartz-4 oder Aufstockung angewiesen sein werden. Dann darf man die aktuellen Verschärfungen als „Investition in die Zukunft“ verstehen. Aber dann trifft es heute definitiv die Falschen.

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