Tichys Einblick
Immer wieder Lauterbach

Hart aber Fair: Bei Corona weder hart noch fair

Frank Plasberg empfängt die üblichen Verdächtigen in seiner Sendung: Karl Lauterbach, Peter Tschentscher, eine Virologin, für den Widerspruch Wolfgang Kubicki und eine Journalistenkollegin. Dazwischen ein Fernsehkoch, der fragt, warum Restaurants zu sind, aber im ÖPNV allmorgendlich eine Sardinenbüchse nachgestellt wird.

Screenprint: ARD/hart aber fair

Es war eine große Runde in Einigkeit und Abwiegelung. Einigkeit in allem, was Corona angeht, und Einigkeit in der Abwiegelung der Bedeutung des versprochenen Corona-Impfstoffs. Denn die Politik hat bisher immer versprochen: „Wenn der Impfstoff kommt, dann kommt auch das normale Leben zurück.“ Dass dies ein unhaltbares Versprechen war wie Altmaiers „in dieser Krise wird kein Arbeitsplatz verloren gehen“ im Frühjahr, war klar. Also wird nun immer weiter mit dem Lockdown gedroht, so als wären die Bürger ungezogne Kinder, die sich an der Keksdose vergriffen haben.

In dieser Runde saßen gleich zwei von der SPD: Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister Hamburgs, und Karl Lauterbach. Der eine hat Regierungsverantwortung, der andere wohnt sowieso im Plasberg-Studio. Beide Politiker sind sich einig: Die Bürger müssen verstehen, dass es egal ist, was sie wollen – der Lockdown wird verlängert, wenn sich die Lage nicht ändert. Verständnis für Steuerzahler, die sich wundern, wie sie denn Geld verdienen sollen, zeigen sie wenig. Ein Wort, das beiden gut gefällt ist „verhältnismäßig“. Es fällt immer wieder, denn alle Maßnahmen seien verhältnismäßig.

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Lauterbach wird von Moderator Frank Plasberg mit seiner Aussage konfrontiert, dass die Unverletzbarkeit der Wohnung nicht bedeuten darf, dass Kontaktbeschränkungen nicht durchgesetzt werden. Er versucht, sich raus zu reden: Also, die Unverletzbarkeit der Wohnung will er ja nicht angreifen, er will ja nicht, dass die Polizei „wie bei der Terrorfahndung“ vor der Tür steht und mit der Ramme stürmt. Immerhin. Aber bei nächtlicher Ruhestörung käme doch auch die Polizei und interveniert. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit in Zeiten der Pandemie sei doch mindestens schlimmer als eine nächtliche Ruhestörung. Merke: Lauterbach will die Unverletzbarkeit der Wohnung nicht angreifen, aber irgendwie will er doch in die Wohnung rein regieren.

SPD-Tschentscher nickt staatstragend und erzählt, man habe in der letzten Woche in Hamburg „mittelgroße Hochzeiten“ aufgelöst. Tschentscher hat die Familien als „Infektionsgemeinschaft“ fest im Blick, sie sind ja die Brutherde des zwischenmenschlichen Kontakts und der Ansteckung. Noch traut Lauterbach sich nicht, auch das Familienleben zu verbieten, bis das Virus dem Verbot folgt. Nun ist die Gastronomie geschlossen, da könne man doch nicht akzeptieren, dass die Leute stattdessen im privaten Raum feiern, so Tschentscher. Dass gerade davor die Gastronomen noch vor Beginn des „Wellenbrecher-Lockdown“ gewarnt hatten, wird geflissentlich ignoriert. Auch Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident von der FDP ist anwesend und versucht zu widersprechen. er ist der eingebaute Alibi-Widerspruch, der die Attribute „hart“ und „fair“ in einer Sendung rechtfertigen soll, die eigentlich heißen müsste „Ein einig Corona-Volk“. Mit ohne Volk natürlich. Dass Bürger dazu ermutigt werden, ihre Nachbarn zu denunzieren, findet er nicht gut – jedenfalls nicht, wenn sie es anonym tun. Bitte mit Klarnamen. Jemanden offen anzuzeigen, weil Personen aus mehr als einem anderen Haushalt bei ihm waren, findet er jedenfalls besser.

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Isabella Eckerle, Virologin und Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen in Genf, ist ein bisschen fehl am Platz. Mit Lauterbach gibt es doch schon einen Gelehrten, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit über das Virus schwadroniert, bis ihm niemand mehr zuhört, und Plasberg ihn nach dem zehnten Versuch endlich unterbrechen kann. Denn alles, was Lauterbach sagt, wurde in dieser Krise, in dieser Sendung und von diesem Lauterbach schon gesagt. Für Eckerle bleibt da nicht mehr viel zum Sagen übrig, auch wenn sie es vielleicht nicht in dem Tonfall eines Lauterbach vorgetragen hätte, dessen Reden im Zuhörer einen trotzigen Wunsch nach selbstzerstörerischem Regelbruch hervorbringen.

Etwas neues sagt nur Kristina Dunz, Leiterin des Parlamentsbüros der Rheinischen Post. Sie erzählt davon, wie es war, als sie selbst an Covid-19 erkrankte und fürchten musste, ihre Familie angesteckt zu haben. Ihre Schwester erkrankte ebenfalls und die beschriebenen Symptome – kurzzeitige kognitive Schwierigkeiten bei der einen und Atemnot sowie immer noch anhaltender Geruchsverlust bei der anderen – sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Dunz erzählt von der quälen empfundenen Verantwortung des Erkrankten für die Familie und Freunde; das ist der Moment, an dem man erstmals zuhört, mitfühlt und mehr versteht, als ein Lauterbach in hundert Sendungen absondert. Doch schnell geht Plasberg wieder zum gewohnten Lauterbach-Corona-Programm über, dem unvermeidlichen Weltuntergang, der weder auf Geschmackssinn noch Gedächtnis Rücksicht nehmen wird.

Überraschend ist in der Runde noch der Fernsehkoch Steffen Henssler – dem einen oder anderen ist er möglicherweise aus den Sendungen Hensslers Countdown – Kochen am Limit (RTL) oder Grill den Henssler (Vox) bekannt. Besagter Fehrnsehkoch ist jedenfalls willig, auch mal wenigstens ein bisschen Kontra zu geben. So beklagt er den Umstand, dass Restaurants schließen müssen, obwohl nur sehr wenige Fälle dem RKI bekannt sind, in denen die Infektion in einer „Speisegaststätte“ erfolgte. Außerdem, in den Bussen des Berliner Nahverkehrs scheint ein Nichteinhalten von Abstand und schlampiges Tragen der Maske ja kein Problem zu sein. Warum müssten also Restaurants, die sich an die Vorgaben halten bestraft werden? Vielleicht weil die Beschäftigten in Restaurants nicht dem öffentlichen Dienst angehörten.

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Tschentscher und Lauterbach rechtfertigen sich damit, dass sich viele Gastwirte eben nicht an die Regeln halten würden, was auch zum Corona-Geschehen in Berlin beigetragen hätte. Hier regt sich Kubicki auf, nennt die Vorgehensweise des Senats eine „Sauerei ohne Ende“, weil der Senat Berlins es nicht schafft, seine eigenen Regeln durchzusetzen. Und das wird die größte Kontroverse sein an einem Abend, an dem sich alle einig sind: Die versprochene Impfung wird keine Erlösung bringen von Corona.

Zum Schluss fragt Plasberg noch, wer sich denn impfen lassen würde, wenn der am Montag angekündigte Biontech-Impfstoff schon bereit wäre. Henssler der Koch zögert und sagt, er sei gegenüber einer Impfung zwar aufgeschlossen, müsse sich aber vorher erst einmal gründlicher darüber informieren. Das ist ehrlich – und das Vorgehen eines überlegenden Bürgers, wenn er mit einer Situation konfrontiert ist, die sein Wissen übersteigt. Wen wundert es, dass die Poltiker nicht eine Sekunde zögern, bei Hart aber fair ihre Impfwilligkeit zur Schau zu stellen? Die Halbwertzeit von Politiker-Aussagen soll beim Persönlichen noch kürzer sein als beim Politischen, sagen Kenner.

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