Die neue EU-Kommissionspräsidentin und vormalige Mehrfach-Bundesministerin Ursula von der Leyen (vdL, CDU) tritt gerne betont smart auf. Seit Jahren fallen Parteikollegen, auch Parteigänger anderer Parteien, nicht wenige Medienleute, ja sogar Frankreichs Staatspräsident darauf herein. Aber von der Leyen hat es faustdick hinter den Ohren. Wie sagt ein Sprichwort? Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und nun ist er am Brechen. Man könnte auch sagen: Das Maß ist voll. Vor allem als vormalige Bundesministerin der Verteidigung hat vdL manches auf dem Kerbholz. Ihre Vergangenheit holt sie ein, ja, muss sie einholen.
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Was das Vertrauen der Truppe gegenüber der (vormaligen) Verteidigungsministerin betrifft, so hat Frau von der Leyen kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen. Der Bundeswehr hat sie im Mai 2017 als deren oberste Dienstherrin aus dem hohlen Bauch heraus ein „Haltungsproblem“ attestiert, Kasernen wurden – wörtlich! – „Säuberungen“ unterzogen, denen unter anderem im vorauseilenden Gehorsam an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg ein Bild des jungen Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform zum Opfer fiel.
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Von Gerichten musste sich Ministerin vdL im Fall des vermeintlich terrorverdächtigen Oberleutnants Marco A. stoppen lassen. Anfang Juni 2018 erklärte das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt, dass gegen Marco A. kein hinreichender Tatverdacht bestehe.
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Unzutreffend war zu Beginn des Jahres 2017 von der Leyens öffentlich kundgetane Anschuldigung, in der Staufer-Kaserne Pfullendorf habe es sexuell-sadistische Initiationspraktiken gegeben. Die zuständige Staatsanwaltschaft Hechingen hatte die Äußerungen der Ministerin zum Anlass genommen, strafrechtlich zu ermitteln. Das Ergebnis des Staatsanwalts: „Tatbestände von Strafvorschriften gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder nach sonstigen Strafvorschriften wurden nicht verwirklicht.“ Im Juni 2017 wurden die Vorermittlungen eingestellt.
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Dass die meisten Fluggeräte, Schiffe, U-Boote und Panzer der Bundeswehr nicht einsatzfähig sind, ist nicht unmittelbare Folge der vdL-Politik, sondern zunächst Folge einer Merkel-Politik und Folge einer typisch deutschen, pazifistischen Haltung, mit der alles Militärische ignoriert wird. Dass sich aber zwischen dem Amtsantritt von der Leyens als Verteidigungsministerin im Dezember 2013 und ihrem Ausscheiden im Juni 2019 kaum etwas gebessert hat, geht zu nennenswerten Teilen zu Lasten von der Leyens. Wenigstens im Bereich der Ersatzteilbevorratung und der Alltagsausstattung hätte sich in diesen fast sechs vdL-Jahren etwas zum Besseren wenden lassen. Dennoch wurde im Februar 2018 bekannt, dass es der Bundeswehr sogar an Westen, Winterkleidung, Stiefeln, Skiern, Zelten und Schutzwesten mangle.
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Das Sturmgewehr G36 hat von der Leyen auf dem Gewissen. Im April 2012 gab es Berichte, nach denen das G36 nach mehreren hundert Schuss zu heiß werde und darunter die Treffsicherheit leide. Gegen diese Mängelberichte klagte der zwischenzeitlich angeschlagene Hersteller Heckler & Koch beim Landgericht Koblenz. Der Klage wurde im September 2016 stattgegeben. Von der Leyen hatte allerdings bereits zuvor selbstherrlich entschieden, alle 167.000 G36-Gewehre auszumustern. Eine vom damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Könighaus (2010 – 2015) und dem Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) geleitete Befragung unter rund 200 Soldaten wurde ignoriert, obwohl sie zu dem Ergebnis kam, dass Mängel im Einsatz beim G36 nie aufgetreten seien. Im Gegenteil: Die Waffe sei leicht, bedienungsfreundlich und sehr zuverlässig. Dennoch entschied vdL am 22. April 2015, dass das G36 in seiner derzeitigen Form ersetzt werden solle. Im April 2017 erfolgte die europaweite Ausschreibung für 120.000 neue Gewehre, deren Wert auf etwa netto 245 Millionen Euro geschätzt wurde. Bei ersten „vorvertraglichen Vergleichserprobungen“ konnte aber keines der Bewerbergewehre die Kriterien erfüllen. Alle bisherigen Ausschreibungsergebnisse belegen jedenfalls: Die „G36-Braut des Soldaten“ wurde künstlich schlecht geredet. Es gibt bis heute kein Produkt, die das G36 erheblich übertreffen würde. Eine endgültige Entscheidung über ein Nachfolgegewehr steht 2020 an.-
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Der Einsatz externer Fachleute hat unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dreistellige Millionendimensionen angenommen. Man geht von weit mehr als 200 Millionen Euro aus. Vor allem McKinsey und Co. verdienten sich eine goldene Nase. Für mehr als 200 Millionen Euro waren bereits im März 2016 statt eigener Experten externe Berater angeheuert worden. Von der Leyens damalige beamtete Staatssekretärin Katrin Suder (im BMVg von 2014 bis 2018; vormals bei McKinsey) bagatellisierte diese Summe mit der Rechnung, dass dies bei einem dreijährigen Rüstungsbudget von rund 100 Milliarden nur 0,2 Prozent seien. All diese Beraterverträge samt ihrem Externen-Unwesen waren zugleich eine Ohrfeige von der Leyens für ihr eigenes Haus, dem sie offenbar nichts zutraute. Zugleich hatte von der Leyen Mitte Dezember 2018 vor einer Sitzung des Verteidigungsausschusses, der sich dann zu einem Untersuchungsausschuss erklärte, auch noch die Chuzpe besessen, weitere 343 Millionen Euro für externe Berater zu fordern.
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Im Dezember 2019 wurde zudem bekannt, dass das Verteidigungsministerium in der Causa „Beraterverträge“ in einem Ordner (Ordner Nummer 17) brisante Passagen zunächst geschwärzt hat. Konkret ging es um die Beratung bei der inzwischen gestoppten Privatisierung der staatseigenen HIL GmbH, den Panzerwerkstätten der Bundeswehr (HIL GmbH = Heeresinstandsetzungslogistik GmbH). Die neue Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hatte diese Pläne im Oktober 2019 gestoppt und sich damit klar von ihrer Vorgängerin abgesetzt. Das Ministerium räumte ein, die Akten unvollständig übermittelt zu haben; es hat dem Bundestagsausschuss den Ordner mittlerweile vollständig und ohne Schwärzungen – mit Ausnahme von personenbezogenen Daten – vorgelegt.
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Noch nicht richtig in Brüssel, wurden im August 2019 die Daten auf von der Leyens Blackberry-Diensthandys angeblich durch die Unachtsamkeit eines Sachbearbeiters „sicherheitsgelöscht“. Dabei wäre dieses Gerät ein Beweismittel im Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre gewesen. Einige Mitglieder des Ausschusses dringen denn auch darauf, eventuell relevante Handydaten einsehen zu können. Dazu könnten etwa SMS gehören, die von der Leyen zu diesem Thema verschickt hatte. Wischiwaschi allüberall: Mal hieß es, man sei auf der Suche nach dem Gerät, dann hieß es, man müsse jetzt erst noch die Pin finden. Wenig später erfuhren die Ausschussmitglieder, dass sämtliche Handy-Daten bereits seit August 2019 weg sind. Laut einem ministeriellen Bericht habe ein Fahrer des Ministeriums das alte Diensthandy von der Leyens bei ihrer Privatwohnung abgeholt und es ins Ministerium gebracht. Dort soll niemand an die Berater-Affäre gedacht haben.
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Auch auf einem zweiten Mobilgerät von der Leyens, das zwischenzeitlich im Ministerium vorliegt, wurden Daten gelöscht. Techniker stellten soeben fest, dass sich auf dem zweiten Gerät „weder im Ordner Geschäftlicher Bereich noch im Ordner SMS-Nachrichten und Dateien befinden“, so der Bericht. Von der Leyen muss das Gerät selbst komplett von allen SMS-Nachrichten gereinigt haben.
Alternativlos: von der Leyen muss vor den Untersuchungsausschuss!
Unklar ist bislang, ob der Verteidigungs-/Untersuchungsausschuss die heutige EU-Kommissionschefin von der Leyen als Zeugin vorladen wird. Dort gehört sie aber hin. Sie muss dort auf dem heißen Stuhl Platz nehmen, auch wenn es – Immunität hin, Immunität her – ein Schleudersitz werden könnte. Den seit Anfang 2019 tagenden Mitgliedern des Verteidigungs-, respektive Untersuchungsausschusses, auch denen der GroKo, geht es hoffentlich um die Wahrheit und um nichts als die Wahrheit.
Eigentlich kann vdL den Untersuchungsausschuss politisch gar nicht überleben, wenn Maßstäbe angelegt werden, nach denen früher ein Bundesminister den Hut nahm, indem er – ohne sich selbst schuldig gemacht zu haben – die politische Verantwortung übernahm. Siehe Rudolf Seiters (CDU), der im Falle einer am 27. Juni 1993 missglückten Festnahme von zwei RAF-Terroristen in Bad Kleinen sieben Tage später zurücktrat. Mittlerweile weiß man, dass dabei ein Magazin, das sich gerne als „Sturmgeschütz der Demokratie“ feiern lässt, und ein umstrittener investigativer Journalist mit Lügenstorys eine unrühmliche Rolle spielten.