Tichys Einblick
Größtes Risiko: die Ampel

Handelskammern: „Deutsche Wirtschaft verliert den Anschluss“

Um die deutsche Wirtschaft steht es schlecht. Vor allem in der Industrie droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Die Industrie- und Handelskammern richten einen Appell an die Ampel. An Wachstum im nächsten Jahr glauben sie nicht.

IMAGO

Martin Wansleben ist ein eher ruhiger Vertreter der Wirtschaft. Gerne erzählt er die Anekdote von seinem Vater, der nach einem Blauen Brief meinte: Eine Fünf, Vieren und Dreien seien nicht schön, aber damit würde sein Sohn wenigstens versetzt. Das habe ihn ermutigt, weiter zu machen und als Schüler besser zu werden, sagt Wansleben. Nun steht der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer selbst kurz vor dem Ruhestand und er hält eine leidenschaftliche Rede. Aus der wird jedem klar: Mit den jetzigen Noten würde die Ampel sitzenbleiben. Vor allem in Wirtschaft kommt sie auf eine Fünf. Bestenfalls.

Martin Wansleben stellt die Herbstprognose der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) vor. Die Zahlen sind vernichtend. Nur noch 26 Prozent der 25.000 befragten Unternehmen bewerten ihre Lage als gut, 25 Prozent als schlecht. Der Saldo von plus eins ist der schlechteste seit der Pandemie, der Börsenkrise und dem Reformstau vor den Hartz-Gesetzen. Doch ein Faktor kommt hinzu, der diese Krise bedrohlicher wirken lässt.

Grün wirkt:
VW im Abstiegskampf
Diese Krise ist substanziell. Die Dienstleister lassen die Herbstprognose der DIHK noch halbwegs erträglich erscheinen. Die Industrie verabschiedet sich hingegen. Branchen, die Wohlstand erwirtschaften, drohen mit Stellenabbau: Autobau, Glas-, Holz- oder Metallbearbeitung und die Kunststoffindustrie. Stellenzuwachs gibt es nur in Branchen, die Wohlstand verbrauchen, in der Pflege etwa und dem Gesundheitsbereich allgemein. Vor allem die „Energieversorgung“ rechnet mit neuen Stellen. Wenigstens dort findet also das versprochene „grüne Wirtschaftswunder“ statt.

Der Rest der Wirtschaft geht derweil die Bachgasse runter. „Die Anzeichen einer Deindustrialisierung erhärten sich“, sagt Wansleben. Die „Bruttoanlageinvestitionen“ lägen noch immer deutlich unter dem Niveau aus der Zeit vor der Pandemie. Selbst wenn das von „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) versprochene Wachstum käme, bliebe die Quote der Investitionen in zwei Jahren immer noch unter diesem Niveau. Die deutsche Wirtschaft würde also über sechs Jahre stagnieren. Während die Weltwirtschaft boomt.

Im Jahr 2016 seien die großen Wirtschaften noch auf einem vergleichbaren Niveau gewachsen. Zusammen lagen sie bei einem von der DIHK errechneten Faktor von Werten zwischen 100 und 110 Punkten. Die chinesische Wirtschaft hat seitdem einen Faktor von 158 Punkten erreicht, die indische folgt knapp dahinter und der weltweite Schnitt liegt bei 127 Punkten. Deutschland steht bei 110 Punkten. Der Abstand wächst. „Deutschland verliert den Anschluss“, beschreibt die DIHK eine entsprechende Grafik.

Eine halbe Billion Euro neuer Schulden
Robert Habeck: „Wenn’s alle ist, dann überlegen wir, was wir daraus gelernt haben“
Im Frühjahr hatte die Ampel noch auf Optimismus gemacht. „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) sagte ein Wachstum für das laufende Jahr vorraus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) leugnete sogar jede Krise der Wirtschaft und kanzelte entsprechende Warnungen respektlos als Miesmacherei ab. Die DIHK warnte indes, es gäbe dieses Jahr bestenfalls eine Stagnation. Für nächstes Jahr rechnet Habeck nun mit 1,1 Prozent Wachstum, die Kammern mit einer roten Null. Für dieses Jahr hat sich der „Wirtschaftsminister“ jüngst korrigieren müssen.

Um die Probleme zu benennen bräuchte es eigentlich keine Wirtschaftsgipfel mehr. Weder im Kanzleramt, noch im Reichstag oder im Wirtschaftsministerium: Die Bürokratie hat längst jeden vernünftigen Rahmen gesprengt – woran Ursula von der Leyen (CDU) in Brüssel ihren Anteil hat. Die Energiepreise sind in Deutschland zu hoch, die Steuern und Abgaben auch. Über die Kranken- und Pflegeversicherung steht der deutschen Wirtschaft die nächste Kostenwelle bevor.

Es ist aber die Politik der Ampel, die all das noch verschlimmert. 57 Prozent der 25.000 befragten Unternehmen bezeichnen die „Wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen“ als ein Geschäftsrisiko. Mehr als die Hälfte. Vor zehn Jahren lag dieser Wert noch bei rund 40 Prozent. Der Fachkräftemangel und die Energiepreise haben als Risikofaktor zuletzt an Bedeutung verloren. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sehen die Unternehmer seit zwei Jahren von Umfrage zu Umfrage stärker als Problem an.

Lindners Albtraum
Das Bürgergeld pulverisiert den Entwurf für den Haushalt der Ampel
Wobei es nicht nur klassische wirtschaftspolitische Faktoren, die ein Problem bedeuten. Etwa die Höhe des Mindestlohns, des Bürgergelds oder eben der Unternehmenssteuern. Auch die arrogante Attitüde gegenüber ausländischen Märkten macht der deutschen Wirtschaft das Leben unnötig schwer, wie es Wansleben beschreibt: Die Welt begrüße Deutschland mit offenen Armen, doch Deutschland antworte mit einem erhobenen Zeigefinger. Deutschland möge zwar geglaubt haben, sagt Wansleben, dass die Welt ohne es nicht könne – doch die habe das Gegenteil bewiesen: „Wenn wir keine Freunde mehr haben und einsam sind, dann wird es für uns wirtschaftlich verdammt schwer.“

Mit Angriffen auf die Politik hält sich Wansleben zwar zurück. Doch auch höflich bleibt er deutlich: „Wichtig ist, dass die Regierung jetzt beweist, dass sie handlungsfähig ist.“ Statt große Visionen zu beschreiben, solle sie erste Schritte gehen. Habecks Idee, alle Investitionen in Deutschland mit zehn Prozent staatlich zu bezuschussen, nennt Wansleben einen Adler am Horizont – die Wirtschaft brauche indes den berühmten Spatz in der Hand.

Die Ideen seien da, sagt Wansleben. Jetzt gelte es für die Ampel, „das (zu) liefern, was als beschlossen gilt“. Das bedeute niedrige Unternehmenssteuern, eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages oder einen Abbau der Bürokratie, der in den Unternehmen wirklich spürbar werde. Die von der Ampel angekündigte „Wachstumsinitiative“ drohe indes genauso im Sand zu verlaufen wie das „Wachstumschancengesetz“.

Bisherige Entbürokratisierung beschränke sich nur auf bestimmte Bereiche. So sei es jetzt möglich, einen „Elektrolyseur“ zügiger aufzustellen. Also eine Vorrichtung, die elektrischen Strom in eine chemische Reaktion verwandelt. Alle anderen Verfahren – Straßenbau, Wasserversorgung, Bebauungsplan – dauerten so lange wie zuvor. Der Unternehmer könne also jetzt rasch einen Elektrolyseur in die Landschaft stellen, müsse dann aber warten, bis er die Fabrik darum aufbauen könne. Davon habe der Unternehmer nichts.

Einfach die bisherigen Noten zu halten, wird der Ampel nicht genügen: „Wir brauchen eine ganz andere Dimension an Handlung.“ Ob die Bundesregierung handlungsfähig sei, wie die DIHK das verlangt, will Wansleben nicht direkt beantworten. Zwei parallele Wirtschaftsgipfel an einem Tag gäben indes kein gutes Bild ab: „Das hätte man sicher besser vorbereiten können.“ Wansleben ermutigt die Ampel, statt über sie zu schimpfen. Doch mit deren Notenbild werden SPD, FDP und Grüne zwingend sitzenbleiben.

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