Hamburger Kalifats-Kundgebung: Faeser sieht rote Linien nicht überschritten
Matthias Nikolaidis
Seit Jahren ist bekannt, dass es sich bei der Gruppe „Muslim Interaktiv“ und zwei anderen um Tarnorganisationen der verbotenen Hizb ut-Tahrir handelt. Dennoch bleiben die Behörden untätig, beobachten die Gruppen lediglich. In anderen Fällen sind Inklusivverbote üblich. Warum nicht hier?
Und wieder gab es eine Art „Kalifats-Ritual“ am Hamburger Steindamm im Stadtteil St. Georg, so wie schon einmal 2021 und auch im letzten Oktober, aus sozusagen aktuellem Anlass. Gerade war der Gaza-Krieg auf den Terrorangriff der Hamas gegen israelische Bürger gefolgt. Grund genug für verschiedene islamische Gruppen, in Hamburg auf die Straße zu gehen. Im vergangenen Herbst hatte es laut NDR sogar eine Razzia bei Mitgliedern der Gruppe „Muslim Interaktiv“ (MI) gegeben, nachdem bei einer „pro-palästinensischen Kundgebung“ am Steindamm Flaschen und Steine auf die Polizei geworfen worden waren.
Nun also öffentliche Beschwerden, dass Deutschland eine „Wertediktatur“ sei, man Ideen aber nicht verbieten könne und überhaupt das „Kalifat … die Lösung“ sei, ein System nämlich, das „Andersdenkende respektiert“, wie der MI-Anführer Raheem Boateng in Hamburg behauptete. Dazu gab es jede Menge Allahu-akbar-Rufe, erhobene Zeigefinger und einen weiteren Redner, der die deutsche Gesellschaft vor dem Erwachen eines „schlafenden Riesen“ warnte – des radikalen Islams, vor dem sie sich schon heute rechtfertigen sollen.
Doch all das kann Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) noch nicht einmal zu einer Ankündigung von Taten bewegen. Dabei ließen die Teilnehmer keinen Zweifel an ihrer Gesinnung, die der Hamburger Verfassungsschutz als gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet einschätzt, weil in einem Kalifat keine Menschenrechte bestünden. Veranstalter war wiederum die Gruppe „Muslim Interaktiv“, eine nur allzu bekannte Tochter- und Tarnorganisation der schon 2003 noch von Innenminister Otto Schily (SPD) verbotenen Hizb ut-Tahrir (HuT).
Vom wachsenden Personenpotential der HuT wissen die Behörden seit Jahren, auch wenn nicht klar ist, wie man dasselbe eigentlich feststellt. Aus den Verfassungsschutzberichten 2021 und 2022 geht hervor, dass das Potential der Gruppe sich seit 2018 mehr als verdoppelt hat und von angeblichen 350 auf 750 Personen anwuchs – Zahlen, die offenbar viel zu niedrig gegriffen sind. Allein, wenn man die Hamburger „Demonstranten“ zählt, kommt man vermutlich auf eine höhere Zahl. Insider machen auf ein großes Dunkelfeld aufmerksam, das sich erst öffentlich bekennen wird, wenn die Gruppen bereits zu größerem Einfluss gekommen sind. Das sind Mutmaßungen, aber wissen Experten mehr?
Die Überschneidungen der Gruppen sind lange bekannt
Neben „Muslim Interaktiv“ sind den Behörden auch die Gruppierungen „Realität Islam“ und „Generation Islam“ wohlbekannt. Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wissen auch von der Nähe der drei Gruppen zur salafistischen Kalifatsbewegung Hizb ut-Tahrir. Im Verfassungsschutzbericht 2020 ist von einem Instagram-Post der Vereinigung „Generation Islam“ die Rede, die „der ‚Hizb ut-Tahrir‘ (HuT) nahesteht“.
Seit 2021 taucht auch „Muslim Interaktiv“ im Bericht auf. Die drei radikalen Islam-Gruppen seien „propagandistisch außerordentlich aktiv“ und weisen „eine ideologische Nähe zu der in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten Hizb ut-Tahrir (HuT)“ auf. Die Veröffentlichungen der Gruppierungen in sozialen Netzwerken kreisen demnach um „eine staatlich gesteuerte Islamfeindlichkeit“. Die Integrationspolitik der Bundesregierung sehen sie als „eine Art ‚Assimilationsterror‘“, so der Verfassungsschutzbericht 2021.
Weiter heißt es: „Eine Wahrung der islamischen Identität, so ihre im Internet verbreitete Schlussfolgerung, sei nur durch Abgrenzung von der westlichen Gesellschaft möglich.“ Es geht also ausdrücklich um die Begründung einer islamischen Parallelgesellschaft. „Seit einiger Zeit nutzen die Gruppierungen ihren Bekanntheitsgrad auch für Mobilisierungszwecke in der realen Welt“, heißt es außerdem. So gab es offenbar schon am 28. Mai 2021 „eine antiisraelische Demonstration“ der MI mit „martialischem Auftreten“ am Hamburger Steindamm. Die administrative Antwort auf solches Betragen muss irgendwie im Berliner Regierungswechsel verschlafen worden sein.
Dass sich die relativ junge Gruppe „Muslim Interaktiv“ „auch aus Mitgliedern der verbotenen Hizb ut-Tahrir zusammensetzt“, wusste die Hamburger Polizei allerdings schon damals, wie aus einer Notiz zu zwei „Aktuellen Stunden“ hervorgeht, die man im Mai und Juni 2021 an der eigenen Akademie mit dem Psychologen Ahmad Mansour durchführte.
Seit Jahren warnt auch Eren Güvercin, aktiv in FDP und der „liberal-muslimischen“ Alhambra-Gesellschaft, vor den Organisationen, die er als Ableger der und wesensgleich mit der Hizb ut-Tahrir ansieht. „Das Bundesinnenministerium hat es in all diesen Jahren versäumt diesen Plattformen einen Riegel vorzuschieben, trotz eines seit 2003 bestehenden Betätigungsverbots gegen die Hizbutahrir.“ Aber auch die muslimische Gemeinschaft in Deutschland habe es „versäumt, junge Muslime über diese islamistische Kalifatsbewegung aufzuklären und vor einer Indoktrination zu schützen“, so Güvercin.
Worauf wartet die Innenministerin?
Die innere Identität und Verbundenheit der Gruppen waren also bekannt. Warum wurde das BMI nicht mit einem Verbot aktiv? Warum handelte Faeser seit ihrem Amtsantritt nicht? Es ist ja eigentlich relativ klar und auch in der Praxis durchaus üblich, dass Unterorganisationen von Vereinen mit Betätigungsverbot ein ebensolches erhalten. So heißt es beispielsweise auf der Website des BMI, man habe seit 1964 „über 20 rechtsextremistische Organisationen inklusive ihrer eventuellen Teilorganisationen“ verboten. (Irgendetwas stimmt hier mit der Zählung nicht, denn darüber steht etwas von 19 verbotenen Organisationen aus dem „Phänomenbereich Rechtsextremismus“.) Daneben gibt es 14 Verbote „islamistischer“ Organisationen, die meist sehr viel jüngeren Datums sein dürften, und 93 Verbote im „Phänomenbereich Ausländerextremismus“.
Worauf wartet die Bundesinnenministerin also noch? Sie hatte sich ja auch nach einigem Antreiben, wenn auch viel zu spät und aus polizeilicher Sicht viel zu langsam zu einem Verbot der terroristischen Hamas und der mit ihr assoziierten linksextremen Organisation Samidoun breitschlagen lassen. Nun folgt offenbar der nächste Teil der Verzögerungstaktik. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Faeser: „Eine solche Islamisten-Demonstration auf unseren Straßen zu sehen, ist schwer erträglich. Es ist gut, dass die Hamburger Polizei mit einem Großaufgebot Straftaten entgegengewirkt hat.“ Es ist also schwer, aber Faeser erträgt es, sie duldet und toleriert solche Demonstrationen. Hauptsache, die auch von ihr unterfinanzierte Polizei steht Spalier und verhindert Schlimmeres.
Laut Faeser stehen verschiedene „Gruppierungen, die emotionalisieren, radikalisieren und neue Islamisten heranziehen wollen, im Fokus unserer Sicherheitsbehörden“. Das ist schön und scheint der behördlichen Abschätzung des Personenpotentials der HuT zu dienen. Aber mehr offenbar auch nicht.
SPD und CDU: Israel-Palästina-Reenactment endet sicher bald
Die roten Linien der Innenministerin werden von der neuen Kundgebung offenbar keineswegs überschritten. Faeser fordert an dieser Stelle lediglich ein Skelett von Grundwerten ein: „Keine Terrorpropaganda für die Hamas, keine Hassparolen gegen Jüdinnen und Juden, keine Gewalt.“ Faeser arbeitet sich vor allem an einem äußeren Konflikt ab, auch insofern er hier lebende Juden betrifft. Das mag richtig sein, aber um den Schutz des demokratischen Gemeinwesens vor einem undemokratischen Kalifatsstaat geht es dabei noch nicht.
Die Innenministerin und ihr Behördenchef Thomas Haldenwang (CDU) tun so, als ob es beim aktuellen Sichtbarwerden antisemitischer und radikal-islamischer Einstellungen nur um ein zeitweiliges „Reenactment“ des Palästina-Konflikts in Deutschland ginge. Die Bedrohung der FDGO durch den „schlafenden Riesen“ der radikalen Muslime hätte aber noch einmal ein deutlich anderes Kaliber, das Faeser und die Ihrigen aber systematisch auszublenden scheinen. Das wäre das wahre Reenactment, wenn Muslimbrüder mit deutschem Pass (wie Raheem Boateng ihn besitzt) zu Grundgesetzänderungen blasen, die auch jedes Demokratie-Verständnis der SPD hinter sich lassen dürften.