Tichys Einblick
"Offensichtlich für seinen Job ungeeignet"

Haldenwangs kurzes Gedächtnis beim muslimischen Antisemitismus

Verfassungsschutzpräsident Haldenwang versucht, den muslimischen Antisemitismus schönzureden: Dieser würde sich schon wieder beruhigen, wenn die Lage in Gaza abflaue. Islam-Experten widersprechen dieser Auffassung vehement und verweisen auf den tiefsitzenden Judenhass. Haldenwangs Behörde reagiert hilflos.

picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Große Dinge fangen harmlos an. Am Montag eröffnete Thomas Haldenwang (CDU) in Berlin das 20. Symposium des Bundesamts für Verfassungsschutz, das sich dieses Mal um das Thema „Auswirkungen internationaler Krisen und Ereignisse auf die Sicherheitslage in Deutschland“ drehte. Es ist einer dieser vielen Berliner Termine zur Selbstdarstellung von Behördenchefs. In seiner Rede sprach der Präsident des Amts laut Redemanuskript über die „Schattenseiten globaler Interdependenzen“ und die Auswirkungen externer Konflikte auf die Sicherheitslage in Deutschland. Dabei ging er auf den Krieg in der Ukraine sowie den Krieg der Hamas und des Iran gegen Israel ein.

Krisen-Seismograph Antisemitismus

Haldenwang erklärte, dass das Erstarken des Antisemitismus „ein zuverlässiger Krisen-Seismograph“ sei. Der Antisemitismus zeige sich „in allen Erscheinungsformen des Extremismus“: dem Islamismus, dem auslandsbezogenen Extremismus, dem Linksextremismus und dem Rechtsextremismus. So weit, so korrekt.

Glaubt man einem kurzen Bericht, der am Montag bei Table.Media erschien, ließ sich Haldenwang aber auch noch anders ein. Der Text gibt den Verfassungsschutzpräsidenten in indirekter Rede wie folgt wieder: „Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vermutet, dass sich der offene muslimische Antisemitismus wieder beruhigt, wenn auch der Konflikt in Gaza abflaut. Rechtsextremer Antisemitismus dagegen bleibe eine deutsche Konstante.“

Das wäre überraschend. Verschwindet der wütende Antisemitismus einfach wieder, der seit bald Jahrzehnten und in den letzten Jahren immer stärker und seit dem 7. Oktober explosionsartig Straßen, Demonstrationen und Unis beherrscht und dazu führt, dass sich in Berlin Juden wieder verstecken müssen, in der Uni Juden am Betreten gehindert und Wohnungen mit Judensternen markiert werden? So viel Optimismus bringen Betroffene nicht auf. Woher kommt er beim Verfassungsschutzpräsidenten?

In welcher Welt lebt Haldenwang?

Im offiziellen Redemanuskript findet sich diese Aussage nicht. Dort heißt es von Haldenwang nur, die Bedeutung des Nahostkonfliktes sei „in der rechtsextremistischen Agitation zurückgegangen“. Gleichwohl sei „Antisemitismus im Phänomenbereich des Rechtsextremismus ein erschreckend stabiles Phänomen, das ohnehin unabhängig von externen Entwicklungen besteht“. Zur erwarteten Beruhigung von muslimischem Antisemitismus findet sich nichts.

Möglicherweise äußerte Haldenwang dies jedoch in Abweichung vom Redemanuskript oder am Rande des Symposiums. Die Pressestelle des Verfassungsschutzes verwies am Dienstag auf Nachfrage lediglich auf das Manuskript: „Weitergehende Äußerungen wurden von uns leider nicht dokumentiert. Daher fürchte ich, dass wir Ihnen hier nicht weiterhelfen können“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. Auf nochmalige Nachfrage, ob sie die Aussage dementieren wolle oder ob sie die Einschatzung Haldenwangs korrekt wiedergebe, antwortete die Pressestelle bis Mittwochmittag nicht mehr. Die Behörde, die alles Geheime ermitteln will, ist also unfähig, die Aussagen ihres Chefs aufzuklären. Sie ist aber auch nicht in der Lage, die kolportierte Aussage klar zu dementieren. Immerhin wäre es ja möglich, dass Haldenwang falsch zitiert wurde. Aber von einem Dementi oder weiterer Erklärung keine Spur.

Damit steht der Verdacht im Raum, dass der Verfassungsschutzpräsident muslimischen Antisemitismus klar verharmlost hat. Die Aussage, wonach sich islamisch genährter Judenhass mit Abflauen des Gazakrieges wieder beruhigen würde, würde jedenfalls von einer kapitalen Fehleinschätzung der Wurzeln und Konstanz des muslimischen Antisemitismus zeugen. Das ließe nur den Schluss zu, dass Haldenwang die vielen antisemitischen Vorfälle mit muslimischem Hintergrund bereits vergessen hat, die es vor dem Hamas-Angriff in Deutschland und der westlichen Welt gab und die sich jetzt zu einem globalen Furor hochschaukeln.

Experten widersprechen Haldenwang

Eren Güvercin, Projektleiter der Alhambra-Gesellschaft, einer Vereinigung von Muslimen „für ein plurales Europa“, widersprach dem Verfassungsschutzpräsidenten via X: „Der Antisemitismus unter Muslimen existiert nicht erst seit dem 7. Oktober. Dieser Antisemitismus ist nach dem 7.10. nur sichtbarer geworden.“ Migrationsforscher Ruud Koopmans erklärte, Haldenwang sei „angesichts dieser faktenfreien, blauäugigen Aussage ganz offensichtlich für seinen Job völlig ungeeignet“. Der Publizist Hasnain Kazim ergänzte: „Ich möchte Herrn Haldenwang gerne mal mitnehmen nach Iran, Afghanistan, Pakistan und dann mal sehen, ob er immer noch dieser Auffassung ist.“

Offensichtlich hat Haldenwang ein kurzes Gedächtnis, was die lange Blutspur des muslimischen Judenhasses betrifft und angesichts der bedrückenden Ausbrüche und erschreckender Formen, die dieser jeden Tag aufs Neue zeigt, stellt sich die Frage, ob Haldenwang diese Entwicklung nicht dramatisch klein redet. Dass sie einfach verschwindet, ist eine leider völlig unbegründete Hoffnung. Ist Haldenwang auf diesem Auge blind? Übersieht er die größte Bedrohung, die derzeit für eine Minderheit in Deutschland besteht – absichtlich oder mangels Kompetenz? Auch das Schweigen seiner Behörde ist beredt.


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