Im „Bericht aus Berlin“ am Sonntag präsentierte der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck eine neue Idee zur Belastung speziell von Sparern: Ginge es nach ihm und seiner Partei, sollen Bürger in Zukunft auf Kapitalerträge nicht nur die bisherige Steuer von 25 Prozent zahlen, sondern zusätzlich noch Sozialabgaben, also Abführungen für die Rentenkasse, die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Würden seine Vorstellungen Wirklichkeit, bliebe von den ohnehin nicht üppigen Kapitalerträgen eines Durchschnittssparers kaum noch etwas übrig.
Habecks Vorstoß ist aus zwei Gründen interessant. Zum einen erlaubt er einen Blick auf die finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz des grünen Spitzenpolitikers: In seiner Begründung ist praktisch alles sachlich falsch und zumindest grob irreführend. Zum zweiten zeigt sich mit diesem Vorschlag das Gesellschaftsbild Robert Habecks. Der selbstbestimmte Bürger hat darin keinen Platz.
In dem ARD-Interview führt der Wirtschaftsminister aus, warum er meint, Kapitalerträge müssten in Zukunft höher belastet werden: „Wir zahlen ja alle Sozialversicherungsbeiträge“, behauptet Habeck, wobei er kurz dazwischenschiebt: „jedenfalls die, die in den gesetzlichen Versicherungssystemen sind, auf die Arbeitslöhne, aber Kapitalerträge sind davon freigestellt. Warum soll Arbeit höher belastet werden als Kapitalerträge? Das leuchtet mir nicht ein.“ In seiner relativ kurzen Ausführung schafft er es, gleich drei Falschbehauptungen beziehungsweise Verzerrungen unterzubringen.
Erstens zahlen überhaupt nicht „wir alle“ Sozialbeiträge (was ja trotz seines Relativierungsversuchs als Aussage stehenbleibt). Er beispielsweise führt als Minister von seinem Gehalt keine Beträge zur Rentenversicherung ab – denn seine Altersversorgung übernimmt bekanntlich der Steuerzahler. Der ARD-Mann im Studio zahlt ebenfalls nichts in die Rentenkasse – für ihn kommen im Alter die Rundfunkgebührenzahler auf. Auch Beamte, Selbständige und Unternehmer liefern von ihren Arbeitseinkommen nichts in die Renten- und Arbeitslosenversicherung ab. Denn sie erhalten ja aus diesen Kassen auch keine Leistungen. Deshalb ist auch die Aussage, Kapitalerträge seien von Sozialabgaben „freigestellt“, völlig unsinnig. Sie fallen dort schlicht aus systematischen Gründen nicht an.
Aber stimmt überhaupt Habecks Ausgangsbehauptung, Arbeitseinkommen würden in Deutschland höher belastet als Kapitalerträge? Nein. Die Kapitalertragssteuer, also die Steuer auf Zinserträge, Dividenden, Erträge bei Aktienverkäufen und von Fonds, beträgt in Deutschland 25 Prozent plus 5,5 Prozent Solidarzuschlag. Bei inländischen Anlagen führt die Bank beziehungsweise die Aktien- oder Fondsgesellschaft gleich ab, weshalb man von Abgeltungssteuer spricht, bei ausländischen Kapitalanlagen muss der Anleger sie gegenüber dem Finanzamt erklären.
Zu beachten ist hierbei, dass die Dividenden ebenso wie Fondsausschüttungen aus dem Unternehmensgewinn gezahlt werden, den das Unternehmen schon versteuert hat. Der Staat greift also schon dort zu – und dann noch einmal beim Empfänger der Ausschüttung. Die durchschnittliche Einkommenssteuerbelastung von Arbeitseinkommen wiederum betrug 2024 für jemand, der den Betrag erwirtschaftet, ab dem der Spitzensteuersatz greift, nämlich 66.761 Euro im Jahr, genau 26,8 Prozent plus Solidarzuschlag.
Die durchschnittliche Belastung errechnet sich durch den Abzug des Steuerfreibetrags von 11.604 Euro – und für den übrigen Betrag nach dem Stufentarif vom Eingangssteuersatz (14 Prozent) bis zum Spitzensteuersatz (42 Prozent), woraus sich die Gesamtbelastung des Gesamteinkommens vom ersten bis zum letzten Euro ergibt. Fazit: Der Fiskus belastet Kapitalerträge und ein Arbeitseinkommen in Höhe des Spitzensteuersatzes nahezu gleich, da mit einer Pauschalsteuer, dort mit einer durchschnittlichen Belastung, bezogen auf das Gesamteinkommen.
Ein Anleger kann für seine Kapitalerträge einen Freibetrag von 1000 Euro pro Jahr in Anspruch nehmen, ein Arbeitnehmer oder Selbständiger verschiedene steuerabzugsfähige Beträge; auch bei dieser Betrachtung unterscheidet sich die Steuerlast auf Kapitaleinkünfte und Arbeitseinkommen nicht wesentlich. Schon diese angebliche Ungerechtigkeit, die Habeck anführt, existiert also nicht.
Aber er würde gern eine tatsächliche Ungerechtigkeit einführen. Denn er ignoriert, dass anders als bei der Steuerzahlung, die per Definition nicht zweckgebunden ist, bei Sozialversicherungsabgaben der Zahlung ein Leistungsanspruch gegenüberstehen muss. Nach seinem Willen sollen also Selbständige und Unternehmer, die selbst vorsorgen müssen und aus der Renten- und Arbeitslosenversicherung nichts erhalten, trotzdem von dem, was sie mit ihren Rücklagen für Alter und Notfälle erwirtschaften, noch Sozialbeiträge zahlen. Sie sollen also abgeben, ohne für das etwas zu erhalten.
Schon jetzt besteht ja eine erhebliche Ungerechtigkeit darin, dass Selbständige mit ihren Steuern die Rentenkasse mitfinanzieren, in die jährlich über 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen, obwohl sie aus dieser Kasse später keinen Cent bekommen. Auf der anderen Seite hätten nach Habeck aber auch Arbeitnehmer auf ihre Guthabenzinsen, Fonds und den Ertrag ihres in der Regel bescheidenes Aktiendepots in Zukunft noch zusätzlich zur Kapitalertragssteuer Sozialabgaben zu zahlen – und das, obwohl sie diese Zahlungen an die Sozialkassen schon mit einem Teil ihres Bruttogehalts leisten. Die einen müssten also zahlen ohne Gegenleistung, die anderen zweimal, ohne dafür mehr Leistung zu bekommen.
Im Jahr 2025 dürften angesichts der Zinspolitik der EZB die Realzinsen von Guthaben bei Null oder sogar im Negativbereich liegen. Auch die Nettoerträge von Festgeld, Aktien und Fonds – also nach Abzug von Kapitalertragssteuer und Inflation – fallen für die meisten Sparer nicht gerade üppig aus. Greifen dann nach dem Habeck-Modell auch noch Sozialkassen zu, hätte dass einen simplen Effekt: Sparen lohnt sich dann faktisch nicht mehr. Ein Selbständiger, der sich seine Alterssicherung aufbauen muss, täte besser daran, Deutschland zu verlassen. Der Grünen-Politiker stört sich also nicht an einer herbeigeflunkerten Ungerechtigkeit – sondern daran, dass Sparer von ihren Erträgen auf das schon einmal versteuerte Kapital derzeit noch 75 Prozent behalten dürfen. Das erscheint ihm skandalös viel.
Die durchschnittliche Gesamtbelastung eines Arbeitnehmers – also durch Einkommenssteuer, Sozialabgaben, Mehrwertsteuer und zahlreiche weitere Steuern wie die Strom- oder die Kraftfahrzeugsteuer – betrug 2024 nach Angaben des Steuerzahlerbundes 52,6 Prozent. Sie zählt zu den höchsten der Industrieländer. Wirtschaftsminister Habeck kommt sie immer noch zu niedrig vor. Sein Ideal besteht offensichtlich nicht in Bürgern, die selbst für ihre Alter vorsorgen – ob nun in Gänze wie ein Selbständiger oder Unternehmer, oder zusätzlich, wie es viele Arbeiter und Angestellte angesichts ihrer Rentenerwartung tun.
Sein Menschenbild läuft auf Personen hinaus, die von ihrem Einkommen möglichst viel abliefern, keine private Vorsorge betreiben, weil sie sich nicht mehr lohnt – und dafür aber aus der Hand des Staates Geld erhalten, ob nun als Bürgergeld, Zuschüsse für eine Wärmepumpe oder später einmal in Form einer gesetzlichen Rente, die spätestens ab den 2030er Jahren nur noch für das Nötigste reichen dürfte. Mit anderen Worten: Habeck und die Grünen bevorzugen es, wenn Menschen möglichst vollständig vom Staat abhängen. In dieses Bild passen natürlich auch keine selbständigen Beschäftigten. Schon jetzt liegt der Anteil der Selbständigen in Deutschland niedriger als in vielen anderen Industrieländern. Und ihre Zahl sinkt: 2015 waren es noch 4,161 Millionen, die auf eigene Rechnung wirtschafteten, 2023 lag ihre Zahl nur noch bei 3,601 Millionen.
Nach Ansicht des grünen Wirtschaftsressortchefs und Kanzlerkandidaten gibt es aber offenbar immer noch zu viele davon.