Tichys Einblick
Zunächst soll es „nur“ Konzerne treffen

Habeck hält Enteignung für Mittel der Politik

Nur ein letztes Mittel, natürlich, und nur auf baureife Grundstücke begrenzt, und nur in ganz besonderen Fällen – dennoch: Grünen-Chef Habeck möchte in Berlin zu einem Mittel greifen, das letztmalig vor 30 Jahren im Ostteil der Stadt unter der SED geltende Praxis war: Enteignung der Besitzenden.

Sean Gallup/Getty Images

Grünen-Chef Robert Habeck hält ein „Grundrecht auf Wohnen“ für legitim. Und er hält dieses Grundrecht für vereinbar mit der Marktwirtschaft, und zwar „unbedingt“, so jedenfalls sagt er es der WELT am Sonntag. Denn, so Habeck weiter: „Der Markt soll dem Gemeinwohl dienen. Das tut der Wohnungsmarkt aber nicht mehr. Der Markt versagt. Die enormen Spekulationsgewinne der letzten Jahrzehnte finden keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr, und eine Politik, nicht nicht wirksam gegen die Wohnungsnot vorgeht, auch nicht. Die Politik muss eingreifen und die öffentliche Hand wieder stärker Wohnraum selbst besitzen, damit das Recht auf Wohnen eingelöst werden kann.“

Enteignen statt bauen
Enteignungen und der Wahn der Grünen, die Welt gehöre ihnen
Dass diese Sicht der Dinge eine Beugung, ja, ein Bruch des Grundgesetzes sein könnte, kommt dem als Hoffnungsträger der politischen Linken gehandelten Politiker nicht in den Sinn. Er verlegt sich stattdessen aufs Pragmatische: „Es wäre doch absurd, wenn wir das nur anwenden, um neue Autobahnen zu bauen, aber nicht, um gegen die grassierende Wohnungsnot vorzugehen.“ Angesichts des erbitterten Kampfes gegen das Automobil, den seine Partei derzeit ficht, könnte mit Blick auf die Adressaten seiner Botschaft auch gesagt werden: Habeck verlegt sich aufs Populistische.
Kritik sogar von den Getreuesten

Das haben sogar die klar auf Grün-Kurs fahrenden Journalisten der Süddeutschen Zeitung bemerkt. Es erstaunt sehr, ist aber tatsächlich so: Kurt Kister findet gegenüber dem bei seinem Blatt fast Heiligenstatus genießenden Habeck zu einer Spur von Ironie, wenn er schreibt: „Robert Habeck, aktueller Pandabär der deutschen Politik, weiß tatsächlich, wie man populär bleibt. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass man keine Verantwortung trägt, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man das, was man gerade vertritt, vielleicht auch gleichzeitig in der Regierung umsetzen muss. Eine andere wichtige Voraussetzung besteht darin, so zu reden, dass möglichst viele den Eindruck haben: Der Habeck sieht das so wie ich.“ Wohlgemerkt – Kister kommentiert hier Habecks aktuelle Enteignungsphantasien.

Mietenstopp bei 6-7 Euro?
Berlin: Neue Strategie zur Enteignung von Wohnungseigentümern
Für den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der sich ohnehin gerade für einen Wahlkampf warmläuft, war das eine gefundene Vorlage. Er sagte der Rheinischen Post, die Grünen würden nun „ihre bürgerliche Maske“ fallenlassen. Abgesehen davon, dass es schon auch erstaunt, wie lange Lindner auf die Camouflage der Grünen möglicherweise hereingefallen ist, kontert er den grünen Pandabär: „Gegen steigende Mieten helfen nur mehr Wohnungen und nicht DDR-Ideen. Oft haben gerade die Grünen Baukosten verteuert und neue Siedlungsflächen verhindert.“ Das Konzept erkennt er völlig korrekt als kontraproduktiv: „Das verschreckt alle privaten Investitionen in Wohnungen und beschädigt die Eigentumsgarantie der Verfassung.“ Fast wie ein ganz kleiner Franz Josef Strauß polterte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Münchner Merkur: „Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun!“ Und er fügt die Erkenntnis an, dass die Grünen „im Kern doch eine linke Partei“. Ja mei, der Markus, a Hund isser scho’! Mit einem hübschen und im Gegensatz dazu geistreichen Wortspiel krönt die AfD-Co-Fraktionsvoritzende im Bundestag, Alice Weidel, die Kritik, als sie sagte, die Grünen seien offenbar „auf dem Weg von der Verbotspartei in den Betonkommunismus“.
Grüner Sozialismus auf kleiner Flamme

Ohne jede Vernunft
Berlin: Volksbegehren zur Enteignung privater Vermieter
Doch Habeck könnte mit seinem Kurs in den Sozialismus auf kleiner Flamme durchaus Mitstreiter haben, wenn, ja wenn denn Rot-Rot-Grün nicht nur im Berliner Abgeordnetenhaus, sondern auch im Bundestag eine Mehrheit hätte. Zwar ist die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ostentativ gegen Enteignungen, obwohl ihre Büroleiterin Angela Marquardt – die Ex-SED-Nachwuchsfunkionärin mit den großen Antifa-Sympathien – das nicht gern sehen wird. Doch Ralf Stegner, auch als „das freundliche Gesicht Schleswig-Holsteins“ bekannt, findet Enteignungen ganz in Ordnung. Stegner schließt „Enteignungen als letztes Mittel“ ausdrücklich nicht aus: „Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird. In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen.“ Das sagte das linke Nordlicht der SPD übrigens den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Und regelmäßige Leser dieses Portals wissen ganz genau, warum das ganz und gar keine Überraschung ist.

Knapp 30 Jahre nach dem Sturz der SED-Regierung in einem Teil Deutschlands ist sie wieder da, die Debatte um eines der großen Themen des Kommunismus: die Enteignung der Bürger. Roger Willemsen zitierte in seiner posthum veröffentlichten „Zukunftsrede“, die er wenige Wochen vor Merkels Grenzöffnung hielt, im Juli 2015, den italienischen Philosophen Giambattista Vico wie folgt: „Zuerst fühlen die Menschen das Notwendige, dann achten sie auf das Nützliche, darauf bemerken sie das Bequeme, weiterhin erfreuen sie sich am Gefälligen, später verdirbt sie der Luxus, schließlich werden sie toll und zerstören ihr Erbe.“ Und Willemsen, der dies geistige Vermächtnis unter den Titel „Wer wir waren“ stellte, setzt hinzu: „Der Genuss einer Tollheit, der Genuss der Zerstörung, der Genuss einer Sprache, die so zerstört! Wir hören sie und fühlen in ihr die Wucht der gläubigen Barbaren, die mit dem Vorschlaghammer im Weltkulturerbe stehen, um es zu zertrümmern.“

Fast drängen sich die Bilder von den IS-Kämpfern im Irakischen Nationalmuseum auf, die mit dem Preßlufthammer die knapp 3.000 Jahre alte, überlebensgroße Marmoskulptur eines geflügelten Stiers zermörsert, doch es geht auch eine Nummer kleiner: Die bürgerliche Gesellschaft, die gewachsene, ausgewogene Beziehung zwischen Hauseigentümern und ihren Mietern, das funktionierende, mehrheitlich konservative Milieu einer städtischen Gesellschaft: hier lohnt es aus Sicht von Habeck wohl auch, den Vorschlaghammer der Enteignung anzusetzen.

Vielleicht machen die Bürger ja diesmal mit, nachdem es ab 1919, nach 1933 und sogar ab 1946 nicht so recht klappen wollte. Angesichts der aktuellen Massendemonstrationen wäre es aber interessant, herauszufinden, wie viele derjenigen, die sich hinter dem Banner mit der Enteignungsforderung versammelten, den Artikel 14 des Grundgesetzes im Wortlaut aufsagen können. Ach, man darf nicht zuviel verlangen: sinngemäß, wenigstens den ersten Satz, das würd’ schon helfen. Denn allzu viel darf man nicht mehr verlangen im Deutschland des Jahres 2019.

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