Jetzt kommen die Grünen. Für die 41 Jahre alte Partei gibt es bei der Frage der Migration nur eine Richtung: Aufnehmen und Verteilen sämtlicher Migranten, die in der EU einen Asylantrag stellen dürfen, auf möglichst viele Länder. Am Samstag drang an die Öffentlichkeit, dass Robert Habeck der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt habe, »wir« müssten der »polnischen Regierung jedenfalls beistehen«. Das wäre einmal etwas Neues im Umgang mit dem östlichen Nachbarn – ganz abgesehen von der Frage, wer »wir« in diesem Zusammenhang ist. Aber es geht natürlich um die grüne Methode des Beistands. Der Satz geht nämlich weiter: »… und die Flüchtlinge aus Belarus in Europa verteilen.«
Einen Missstand bekämpft man aus grüner Sicht, indem man ihn verteilt. Daneben ist auch Habeck, in Nachahmung des Noch-Außenministers von der SPD, für die Verschärfung oder Einführung von Sanktionen, nicht nur gegen die beteiligten Fluglinien, sondern auch gegen die weißrussische Kali-Industrie. Die Flüge nach Minsk brächten »Menschen in Not«. Dabei ließe sich langfristig sagen, dass sie Menschen in Brot bringen. Nicht sicher ist dagegen, dass diese Flüge die Menschen auch in Lohn bringen.
Langer Rede kurzer Sinn: Habeck will keinen Grenzschutz an der EU-Außengrenze, sondern die Errichtung eines weiteren EU-Hotspots auf polnischem Territorium, der die Verteilung irregulärer Migranten in andere Mitgliedsstaaten garantiert.
Die Bundesregierung im Optionalmodus
Und dabei wird es natürlich vor allem um Deutschland gehen. Das legen auch die ersten Gerüchte aus den Koalitionsgesprächen nahe. So wie SPD, Grüne und FDP für mehr staatliche Rettungsmissionen im Mittelmeer sind (dafür soll unter Umständen Frontex zuständig sein), so könnte sich in Polen ein weiteres dauerhaftes Eintrittstor in die EU und (letztlich meist) in das bundesdeutsche Asyl- und Wohlfahrtssystem bilden. Im selben FAS-Interview wurde öffentlich, dass Habeck für eine höhere Schuldenaufnahme eintritt. Noch 2017 hatte FDP-Chef Christian Lindner den Satz gesagt: »Es gibt kein Menschenrecht, sich seinen Standort auf der Welt selbst auszusuchen.« Auch stationäre Grenzkontrollen waren noch vor wenigen Jahren eine gängige FDP-Forderung.
Die Inflation der Migrantenzahlen über Minsk und Polen geht unterdessen weiter. Binnen weniger Tage kamen nun wiederum 600 illegale Einreisen hinzu. Im Oktober waren es bis zum Sonntag insgesamt 3.750 unerlaubte Grenzübertritte. Heiko Maas findet als Sozialdemokrat besonders schlimm, dass Fluglinien mit ihrem Anteil an der Schleusung auch noch Geld verdienen. Drohen nun also nach Sanktionen gegen Weißrussland auch Sanktionen gegen die beteiligten Fluglinien? Das scheint noch alles andere als spruchreif zu sein.
Grüne Amtsberg: Menschen aufnehmen und fair verteilen
Am Sonntagabend fühlte sich eine weitere Grüne berufen, der Öffentlichkeit das Konzept der Partei zur Situation an der weißrussisch-polnischen Grenze zu erläutern. Im ZDF-Magazin »Berlin direkt« gab sie nähere Auskünfte über grüne Vorstellungen zur irregulären Migration via Weißrussland und Polen. Die Kieler Bundestagsabgeordnete und grüne Sprecherin für Flüchtlingspolitik, Luise Amtsberg, möchte die Sekundärmigration innerhalb der EU auf ein neues Fundament stellen. »Eigene Versuche« der Mitgliedsländer, ihre Grenzen (und damit die Außengrenzen der EU) zu schützen, lehnt sie dabei rundheraus ab.
Man lasse sich von den Reden der jungen Abgeordneten über die verwerflichen »Erpressungsversuche« der Regierung Lukaschenka nicht durcheinander bringen. Luise Amtsberg möchte sich diesen Versuchen vollumfänglich ergeben, sie will der Erpressung sozusagen den Stachel nehmen, indem sie die Bedingungen des Erpressers erfüllt. Sie ist gegen den Aktionismus Seehofers, der acht Hundertschaften Bundespolizei an die deutsch-polnische Grenze geschickt haben will. Amtsberg befürwortet vielmehr die Aufnahme aller illegal Einreisenden ebenso an der polnisch-weißrussischen wie an der deutsch-polnischen Grenze. Das Phantasma der jungen Frau: Wenn wir die Migranten »fair« auf verschiedene Länder verteilen, dann endet die Erpressbarkeit der EU durch ausländische Potentaten. Die Wahrheit ist, dass die Erpressbarkeit an diesem Punkt wohl erst anfinge.
Und am Ende kommt allerdings der Clou ihrer Position. Denn dass dieser von ihr vorgeschlagene Weg nicht mit allen EU-Mitgliedern gelingen wird, das sieht Amtsberg immerhin voraus. Gerade erst haben zwölf Mitgliedsländer den Schutz der Außengrenzen durch physische Grenzanlagen gefordert. Für alle diese Länder dürfte die Aufnahme der irregulären Zuwanderer nicht in Frage kommen. Es wird also letztlich an den wohlhabenden EU-Ländern hängenbleiben, doch vor allem an Deutschland mit seinem großzügigen Asylsystem. Übrigens wollen die Ampel-Koalitionäre auch Einbürgerungen und den sogenannten »Spurwechsel« abgelehnter Asylbewerber hin zu einem alternativen Aufenthaltstitel künftig noch stärker erleichtern.
Europa hat Angst vor der irregulären Migration, so fasst es – gar nicht falsch – der Buchautor Beat Stauffer im ZDF zusammen. Doch dieses alle Europäer einende Gefühl führt nicht zu einer vernünftigen Reaktion. Die EU läuft vor dem Problem davon, statt zu handeln. Handeln könnte sie natürlich nur an und innerhalb der gemeinsamen Grenzen. Die EU braucht einen Grenzschutz, der den Namen verdient, an allen Grenzen. Andernfalls bleibt sie den Launen ihrer Nachbarn ausgeliefert. Erst recht aber wäre sie das, wenn sie hier und heute dem Problem nachgeben würde und die eingeschleusten Migranten widerspruchslos aufnimmt.