Nach einem grotesken Hin und Her zwischen einer informellen „Kenia“-Koalition (schwarz-rot-grün) wird es am 18. März im (alten) Bundestagsplenum und am 21. März im Bundesrat zur Abstimmung über eine weitreichende Änderung des Grundgesetzes kommen. In beiden Kammern ist dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Im Bundestag dürfte eine CDU/CSU/SPD-Koalition die Stimmen der Grünen für ihren Plan bekommen; schließlich hat man diese „grünen“ Stimmen mit einem 100-Milliarden-Klima-„Sondervermögen“ erkauft.
Die Grundgesetzänderung betrifft die Artikel 109 (3) und Art. 143h. Der Antragstext dazu liest sich reichlich kompliziert, er soll hier nicht explizit wiedergegeben werden; nachzulesen ist er hier.
- Sehr griffig freilich sind die Folgen: Der alte, ab 25. März nicht mehr im Amt befindliche Bundestag will es seinen Nachfolgeparlamenten möglich machen, binnen zwölf Jahren rund eine Billionen Euro Schulden zu machen:
Ein großer Teil der Verteidigungsausgaben soll in Zukunft von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Konkret geht es um alle Ausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinausgehen. Derzeit entspricht 1 BIP-Prozent 43 Milliarden. Bei Einhaltung des Nato-2-Prozent-BIP-Ziels wären das in zwölf Jahren 516 Milliarden. - Für die Infrastruktur soll es ein „Sondervermögen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro geben. Das Geld soll in Straßen, Schienen, Brücken sowie mit 100 Milliarden in den Klimaschutz fließen.
Verhältnisse im Bundesrat
Nun kommt der Bundesrat ins Spiel. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit ist dort alles andere als sicher, denn im Bundesrat tummeln sich Landesregierungen sehr unterschiedlicher Konstellation. Acht verschiedene Parteien sind hier in oft sehr unterschiedlicher Verbindung vertreten: die CDU achtmal, die CSU einmal, die SPD zwölfmal, die Grünen siebenmal, die FDP zweimal, ebenso die Linke und das BSW, die Freien Wähler einmal.
Insgesamt gibt es im Bundesrat 69 Sitze: je nach Größe haben die einzelnen Länder, die immer geschlossen abstimmen müssen, 3 bis 6 Sitze. Für eine Zwei-Drittelmehrheit sind 46 Stimmen nötig. Nach aktuellem Stand kommen die Landesregierungen mit CDU/SPD/Grün-Beteiligung aber nur auf 41 Stimmen. Da Brandenburg und Thüringen (jeweils Beteiligung des BSW), Bremen und Mecklenburg-Vorpommern (jeweils Beteiligung der Links-Partei) sowie Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt (jeweils Beteiligung der FDP) sich wohl der Stimme enthalten müssen, kommt es auf die 6 Stimmen aus Bayern an. Mit diesen 6 Stimmen wäre das Zwei-Drittel-Quorum (41+6=47) erreichbar.
Nun pokern die Freien Wähler (FW)
FW-Chef Hubert Aiwanger wäre nicht Aiwanger, wenn er die Situation nicht zu einem Kräftemessen mit CSU-Chef Söder machte. Aiwanger muss sich nach dem desaströsen Abschneiden seiner FW bei der Bundestagswahl vom 23. Februar schließlich wieder markant ins Gespräch bringen. Kurz: Aiwanger hat ein Nein der FW zur Grundgesetzänderung im Bundesrat angedroht. Wofür er als Gegner eines ausufernden Schuldenstaates durchaus sachliche Gründe hat. Folge aber: Bayern müsste sich im Bundesrat der Stimme enthalten. Die Zwei-Drittel-Mehrheit käme nicht zustande.
Nun steht am Montag, 17. März, in München eine Krisensitzung der CSU/FW-Koalitionäre an.
Droht der Koalitionsbruch? Kann es sich Söder, maßgeblicher Mitverhandler des Billionen-Pakets, erlauben, dass sein FW-Partner von der Fahne geht? Wie und mit welchen Milliarden kann Söder Aiwanger ködern? Lässt Söder die CSU/FW-Koalition platzen, um am 21. März im Bundesrat frei zu sein? Begründet Söder umgehend eine CSU/SPD-Koalition? Immerhin hat die Bayern-SPD Bereitschaft für einen solchen Regierungswechsel gezeigt. Allerdings würde eine CSU/SPD-Koalition mit 102 Mandaten nur über eine denkbar knappe Mehrheit von nur einer Stimme im Bayerischen Landtag mit seinen insgesamt 203 Sitzen verfügen.
FW-Chef Aiwanger laviert. Nach einer Sondersitzung der FW-Landtagsfraktion vom Mittwoch, 12. März, ließ er das FW-Verhalten offen: „So, wie derzeit dieses Papier der schwarz-roten künftigen Koalition vorliegt, können wir nicht zustimmen, weil wir damit mehr Gefahr als Chance für die Stabilität unseres Landes sehen.“ Aiwanger sagte aber auch, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Angeblich bekommt Aiwanger Gegenwind aus der eigenen Partei. Bayerns 71 Landräte – darunter 13 FW-Landräte – würden sich hinter die schwarz-roten Schuldenpläne stellen. Das meldete dpa. Fälschlicherweise!
Die FW haben mittlerweile klargestellt: Die FW-Landräte Tanja Schweiger (Regensburg), Indra Baier-Müller (Oberallgäu) und Peter Dreier (Landshut) distanzieren sich ausdrücklich von dieser dpa-Berichterstattung. Tanja Schweiger sagte: „Die dpa-Meldung macht mich fassungslos. Wie man aus einer einfachen Pressemitteilung und Statement des Präsidenten des bayerischen Landkreistags einen Skandal innerhalb der Freien Wähler heraufbeschwören kann, erfordert schon sehr viel Kreativität und vielleicht auch ganz andere Hintergedanken. Ich distanziere mich ausdrücklich von der Interpretation der dpa.“ Indra Baier-Müller (Landrätin Oberallgäu) sagte: „Ich wurde zu dieser Position weder befragt noch habe ich dieser zugestimmt. Ich bin weder Mitglied des heute stattgefundenen Ausschusses noch hat mich der Landkreistag oder die Presse jemals dazu kontaktiert.“ Peter Dreier sagte: „Mit großer Verwunderung habe ich die Pressemitteilung des Bayerischen Landkreistages und die in diesem Zusammenhang erfolgte mediale Interpretation in Bezug auf die Freien-Wähler-Landräte zum geplanten Sondervermögen vernommen.
Dieser Beurteilung kann ich mich nur anschließen und so ähnlich habe ich es heute und in den letzten Tagen bereits entsprechend kommuniziert. Aus diesem Grund verwehre ich mich gegen so eine Interpretation dieser Pressemitteilung und hoffe, dass in so wichtigen Entscheidungen parteiübergreifend wohlüberlegte Entscheidungen getroffen und dann entsprechend medial korrekt kommuniziert werden.“
Es bleibt spannend.
(Hinweis: TE war die Gegendarstellung der FW zunächst nicht bekannt. Der Text ist nun aktualisiert.)