Während Florian Schmidt immer noch ostentativ und natürlich ohne falsche Eile mit Bauklötzen spielt – er nennt sie »Kiezblock«, andere bevorzugen das ehrlichere »Diagonalsperren« –, beschäftigt sich das politische Berlin mit Fragen der politischen Moral, die den grünen Baustadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg nicht weniger betreffen. Die genaue Formulierung des Vorwurfs variiert dabei je nach politischem Standort: Für die SPD wurde Schmidt »beim Schummeln erwischt«, die FDP findet ihn »korrupt« und »eventuell kriminell«, für CDU und AfD ist klar, dass der grüne Stadtrat den Boden von Recht und Gesetz längst verlassen hat.
In der Tat würde der grüne Stadtrat gerne mit noch größeren Bausteinen experimentieren. Mittels der von ihm gegründeten Mietergenossenschaft »Diese eG« und des bezirklichen Vorkaufsrechts wollte Schmidt eine erkleckliche Zahl von Immobilien »dem Markt entziehen«, wie das kryptokommunistische Neusprech der Hauptstadt-Grünen lautet. Bei ihrer letzten Operation – dem Vorkauf eines Hauses in der Rigaer Straße – übernahm sich die Schmidt-Genossenschaft und schrammte knapp an der Insolvenz vorbei (TE berichtete). Da half nur noch ein Rücktritt vom Kaufvertrag, der allerdings für den Steuerzahler teuer wurde: Insgesamt 190.000 Euro Verlust sind ohne jeden Gewinn für das Gemeinwesen entstanden. Das Geld will Schmidt in seinem Bauetat finden.
Ein solcher Vorgang weckt erwartungsgemäß die Neugier der politischen Konkurrenten wie auch der Presse. Am 10. Januar erhielt die Friedrichshain-Kreuzberger SPD Einsicht in die Akten um den gescheiterten Vorkauf, wie die Bezirkschefs Sebastian Forck (Fraktionsvorsitzender) und Harald Georgii (Kreisvorsitzender) nun in einem offenen Brief mitteilten. »Bei der Durchsicht entstand der Eindruck, dass die Akten trotz durchgehender Paginierung […] nicht vollständig« waren. Es fehlten »Gesprächsvermerke« und »Bewertungen der zuständigen Ämter«, also das fachliche Fleisch an den politisch gewollten Knochen des Vorgangs: Wie bewerteten die Fachleute Schmidts Vorkaufsprojekte?
Die Berliner SPD wird offenbar langsam heldenmutig
All das fand in einer vertraulichen gemeinsamen Fraktionssitzung von SPD, Grünen und der Linken statt. Die vereinbarte Vertraulichkeit schlugen die beiden Sozialdemokraten allerdings bald in den Wind. Denn Schmidt habe versucht, die Mitglieder der SPD-Fraktion zu Komplizen »bei der Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollrechte« zu machen. Im folgenden stellen Forck und Georgii den Bezirksgrünen ein Ultimatum: Der Baurat müsse die fehlenden Akten allen Abgeordneten des Bezirksparlaments bis zum 27. Januar bekannt machen oder zurücktreten.
Die Berliner SPD wird offenbar langsam heldenmutig angesichts der von den Grünen angerichteten Flurschäden. Besonders tut sich dabei der SPD-Kreisvorsitzende hervor, der unter anderem twitterte: »Wer die Verhinderung der Aufklärung von möglichem eigenem Versagen mit dem öffentlichen Interesse verwechselt, ist für öffentliche Ämter ungeeignet.« Der Baustadtrat sei »beim Schummeln erwischt worden«, so Georgii in dankenswerter Klarheit.
»Ein grüner Filz überzieht die Stadt«
Natürlich stimmte auch die Berliner CDU bald ein. »Recht und Gesetz« seien den Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg vollkommen egal geworden, schrieb der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Christian Gräff: »Ein grüner Filz überzieht die Stadt und kostet den Steuerzahler zig Millionen.« Damit dürfte Gräff das Förderdarlehen von 22 Millionen Euro an die »Diese eG« nebst 1,4 Millionen Direktzuschuss meinen.
Besonders ansprechend erscheint bei der ganzen Sache Schmidts Befürchtung, ein Redakteur des Berliner »Tagesspiegels« – der Wirtschaftsjournalist Johannes C. Bockenheimer – könnte die fehlenden Akteninhalte »zur politischen Agitation« nutzen. Ein grüner Baustadtrat fürchtet sich vor der freien Presse, das ist schon eine besondere Volte der Öko-Parteigeschichte. Aus einer vermeintlich emanzipatorischen Kraft, die sich früher einmal gegen das »Establishment« positionierte, ist eine Staatsverwaltungs- und -verwesungskraft geworden, die sich gründlich in Parallelwelten eingerichtet hat und dieselben zum neuen Standard erheben will. Die ›Übergangsschmerzen‹ soll der Bürger zahlen, wobei Kritik und Widerrede natürlich zu vermeiden sind.
Die Mietergenossenschaft »Diese eG« soll sich nun erst einmal »konsolidieren«, so Schmidt. Zehn Häuser besitzt sie inzwischen, mit zusammen 12.600 Quadratmetern Wohnraum. Vielleicht ist die halböffentliche Dachorganisation ja doch nicht der Schlüssel gegen die vorgebliche Gentrifizierung Berlins.