Tichys Einblick
Widersprüche der Migrationspolitik

Grüne und EuGH wollen letzte Kontrollen an Österreichs Süd-Ost-Grenzen abschaffen

Die österreichischen Grenzkontrollen zu Ungarn und Slowenien sollen laut dem Europäischen Gerichtshof rechtswidrig sein. Innenministerin Nancy Faeser verlängert die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze. Grüne und Linke kritisieren Faeser dafür.

iMAGO / Roland Mühlanger

Deutschland ist derzeit ein Vasallenstaat – nein, nicht Vasall einer äußeren Macht, sondern in sich selbst feudal, ein Staat von Landesvasallen, für die nur eines zählt: die Treue zueinander. Und dafür gibt es dann Schutz. Anders kann man die jüngste Entscheidung von Innenministerin Faeser nicht mehr verstehen. Die Frau, die sich stets für offene Grenzen einsetzt, egal ob es nun um echte Ukraine-Flüchtlinge, um Migranten „mit Ukraine-Bezug“ oder solche mit Balkanroutenbezug ging. Für die Ministerin sind alle Ankommenden gleich. Und aus genau diesem Grund weigert sich Faeser auch standhaft, die deutsch-polnischen Grenzübergänge bei der EU zu notifizieren, um dort durchgehende Grenzkontrollen einzuführen, obwohl die Belastung dieser Grenzabschnitte seit der Weißrussland-Krise bekannt und nun durch den Ukraine-Krieg und den beschlossenen EU-Massenzustrom erneut gegeben ist.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
In dieser Lage hat es nicht wenige erstaunt, dass Faeser die Lage an der bayerisch-österreichischen Grenze offenbar ganz anders beurteilt. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat Faeser die festen Grenzkontrollen in diesem Bereich schon mit Schreiben vom 14. April um ein weiteres halbes Jahr verlängert. Ihr wird nun vorgeworfen, die Politik Seehofers fortzusetzen, zumal ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen Österreich stationäre Grenzkontrollen generell in Frage zu stellen scheint. Die festen Kontrollen, die Wien erstmals im September 2015 an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien aufgenommen und seither stets verlängert hat, seien nicht mit dem EU-Recht zu vereinbaren. „Im vorliegenden Fall scheint Österreich nicht nachgewiesen zu haben, dass eine neue Bedrohung vorliegt“, und das schon seit 2017, insistieren die Luxemburger Richter.
Die österreichische Balkanstrategie: nicht perfekt, nicht erfolglos

Doch Österreich spricht auch aktuell von erheblichen „sekundären“ Migrationsbewegungen an seinen südöstlichen Grenzen. Die festen Grenzkontrollen dort gelten als wichtiges Element der österreichischen Balkanstrategie, die vielleicht nicht perfekt ist, aber doch die Migrationsströme auf dieser Route zu Flüssen herabstufen konnte. Dass es sich noch um Flüsse handelt, die in Österreich ankommen, müsste eigentlich den Sinn der Grenzkontrollen belegen. Doch das gilt offenbar nicht für EU-Richter in Luxemburg, die allen Ernstes noch um Nachweise für eine „neue“ oder „ernsthafte Bedrohung“ bitten.

Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) will laut dem ORF auch weiter auf Grenzkontrollen setzen. Österreich sei „jenes Land in Europa, das am zweitmeisten pro Kopf“ von illegaler Migration betroffen ist. Und diese Belastung zeigt sich offenbar auch an den Grenzabschnitten zwischen Bayern und Österreich, wo sozusagen die dritte Kontrolle der Migranten im Schengenraum stattfindet, aber immer noch (!) illegale Einreisen bemerkt werden.

Fortschritt durch Umdeklaration
Wie aus illegalen Migranten „Geflüchtete“ wurden und der „Ukraine-Bezug“ die Beweislast umkehrt
Allein im letzten Jahr stellten die deutschen Bundespolizisten so fast 1.800 unerlaubte Einreisen fest, das waren 37 Prozent mehr als im Vorjahr. Daneben konnten 181 Schleusungsfälle aufgedeckt werden, was einem Plus von 47 Prozent entspricht, so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Hinzu kommen Waffen- und Sprengstoffdelikte, Urkundsdelikte (etwa Passfälschungen oder Missbrauch von Ausweispapieren), die ebenfalls durch die Schleierfahndung im Grenzbereich aufgedeckt werden und zum Teil stark anstiegen (Urkundsdelikte um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr).
Grüne und Linke greifen Faeser an

Das EuGH-Urteil macht es nun allerdings der Opposition in der Regierung leicht, die Entscheidung des Ministeriums anzugreifen. Ein Ende der Grenzkontrollen sei „rechtlich und politisch“ geboten, ist sich etwa der grüne Innenpolitiker Marcel Emmerich gegenüber t-online sicher: „Nach dem klaren Urteil von gestern ist das rechtlich nicht haltbar und würde die Politik Seehofers weiterführen.“ Dem Grünen sprang auch die fluchtpolitische Sprecherin der Linkspartei, Clara Bünger, bei: „Ich muss mich doch wundern: Warum deckt die sozialdemokratische Innenministerin Faeser eine rechtswidrige Kontrollpraxis, die von den Unionsministern de Maizière und Seehofer zu verantworten ist?“ Die links-grünen Kritiker könnten für Faeser schon bald zum Problem werden.

Der bayerische Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl klagt gar vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen die Grenzkontrollen, weil seine Mandantin im Jahr 2018 wiederholt bei Fahrten zwischen Deutschland und Österreich kontrolliert wurde. Sollten solche Klagen nicht im andauernden Zeitalter der Corona-Kontrollen der Vergangenheit angehören, liebe Grüne? Oder sollten wir uns lieber voll auf die Seite der Bewegungsfreiheit stellen und jegliche Kontrollen zwischen Schengen-Ländern abschaffen, auch die für die eigene Bevölkerung?

Begrüßt wurde die Kontrollen-Verlängerung tatsächlich von der CSU. So meinte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), es sei gut, dass Faeser die Politik Horst Seehofers fortsetze: „Solange der Schutz der EU-Außengrenzen nicht umfassend und zuverlässig gewährleistet ist, bleiben diese Grenzkontrollen erforderlich.“ Hier kündigt sich Streit auch zwischen den deutschen Unionsparteien und dem EuGH an. Denn die Richter halten die EU-Außengrenzen offenbar für ausreichend gesichert.

Zuletzt lässt sich eine weitere Spekulation nicht ganz unterdrücken: Hätte Nancy Faeser vielleicht auch deshalb so CSU-konform entschieden, weil sie ansonsten verschärften politischen Druck befürchtet? Die hessische CDU hat die SPD-Vorsitzende in Hessen nun dazu aufgerufen, sich endlich in der Causa Peter Feldmann zu äußern. Der Frankfurter Oberbürgermeister und Parteigenosse Faesers steht wegen seiner Verstrickung in die AWO-Affäre in der Kritik. Aber von der hessischen SPD gab es dazu bisher keinen Kommentar. Die Menschen erwarteten von Faeser, „endlich zu ihrem Parteifreund Stellung zu beziehen“, so der Generalsekretär der hessischen CDU, Manfred Pentz.

Faeser rechnet sich ihrerseits Chancen auf den Ministerpräsidentensessel in Wiesbaden aus. Da wäre eine halb durchgezogene Schonung durch die Landes-Union schon nützlich. Eventuell erklärt sich so also auch – ganz feudalistisch, im Sinne des verwobenen Staates – der Brocken, den sie nun der Unionsschwester im Süden hinwarf.

Offener Diskurs bei der Bundespolizei: Weg vom Schlagbaum oder doch nicht?

Interessant sind zuletzt die Wortmeldungen der eher links orientierten Gewerkschaft der Polizei (GdP), deren Bundespolizei-Arm „weg von Schlagbäumen“ kommen will und „intelligente Kontrollen im Grenzraum“ fordert. Die Schleuser hätten sich auf die Situation eingestellt und nutzten inzwischen neue Routen nach Deutschland. Ein merkwürdiger Verdacht ist das: Welche Routen könnten das nur sein? Aber GdP-Funktionär Andreas Roßkopf bleibt dabei: „Jahrelange EU-Binnengrenzkontrollen zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität und irregulärer Migration“ seien nicht sinnvoll. Stattdessen fordert Roßkopf lieber mehr Personal für die andernfalls nötigen ausgeweiteten Schleierfahndungen.

Heiko Teggatz im Interview Teil 2
Gewerkschaftschef der Bundespolizei: „Migrationsdruck hält seit zehn Jahren an“
Für seinen Gegenpart bei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Heiko Teggatz, ist dieser Vorschlag Roßkopfs schlicht rechtswidrig, denn wenn keine Grenzkontrollen angemeldet seien, dürften auch keine Ersatzkontrollen stattfinden. Teggatz begrüßt die Entscheidung des Innenministeriums ausdrücklich, auch wenn ihm der Staatssekretär Nancy Faesers inzwischen eine abschlägige Antwort zukommen ließ, was feste Grenzkontrollen an den östlichen Landesgrenzen angeht. Die allermeisten festgestellten Geflüchteten reisten dort ja legal ein, heißt das übliche Argument des Ministeriums, das sich nur auf die bestehenden, aufgrund mangelnder Kontrollen lückenhaften Zahlen berufen kann.

Im Sinn kann man einen Satz von Teggatz behalten: „Wenn ein Nationalstaat auf die Notifizierung von Grenzübergängen verzichtet, weil es aus politischen Gründen vielleicht nicht so opportun ist, und zur Verfolgung des gleichen Zwecks, Ersatzkontrollen durchführt in Form von Schleierfahndung, dann ist das rechtswidrig.“ Für Teggatz gibt es auch keine grundlegend neuen Routen. Dominierend seien da immer noch die Route über die Türkei und Griechenland bzw. den Balkan einerseits und die Nordafrika-Route über Italien zum anderen.

Noch immer „gigantische“ Aufgriffe an der bayerischen Grenze

Durch sekundäre Migrationsbewegungen führen diese Einfallsrouten dann bis an die österreichisch-bayerische Grenze, von der Teggatz immer noch hohe Aufgriffszahlen berichtet: „Die Aufgriffe, die wir nach wie vor an dieser Route haben, sind ja gigantisch, egal ob in Passau über die Balkanroute oder in Rosenheim über die zentrale Mittelmeerroute.“ Daneben fordert Teggatz auch weiterhin feste Grenzkontrollen an den östlichen Landesgrenzen nach Polen, weil auch dort noch immer Nicht-Ukrainer ankämen, was allerdings im Innenministerium, wie bekannt, schon aus Prinzip nicht interessieren kann: Es geht ja darum, den Flüchtlingsbegriff für die nähere Zukunft wirksam zu egalisieren und damit die Gleichwertigkeit von echten Ukraine-Flüchtlingen und anderen Migranten mit (meist fiktivem) „Ukraine-Bezug“ herzustellen.

Schließlich hält Teggatz auch das EuGH-Urteil zu Österreich nicht für eine Bedrohung der Grenzkontrollen in Bayern. Hier würden immer sehr genaue Begründungen für die Notwendigkeit der ständigen Kontrollen vorgelegt. Das kann man sich allerdings auch von den Österreichern nicht anders vorstellen. Insofern macht so ein Urteil eines bedeutenden EU-Gerichts schon stutzig, das so wenig aus der Geschichte der Migrationskrise seit 2015 gelernt zu haben scheint. Dasselbe Urteil wird – wie zu erwarten war – schon jetzt breit missbraucht, wie auch der obskure „Bayerische Flüchtlingsrat“ mit seinen voraussehbaren Forderungen an die Bundesinnenministerin zeigt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen