Annalena Baerbock auf Mitleidstour: Sie werde zu hart angefaßt, man möge doch darauf verzichten, schließlich ist sie eine Frau. So lauten im wesentlichen die Argumente ihrer Verteidiger. Und: Sie sollte totgeschrieben werden. Nun ist Wahlkampf das Assessmentcenter der Demokratie. Bei diesem Bewerbungsverfahren werden Schwächen gnadenlos aufgedeckt. Und das ist gut so. Eine Kanzlerin, die nur aus Mitleid gewählt wird – das würde nicht gutgehen. Denn niemand auf der politischen Bühne der Welt, weder Putin noch Macron, Biden oder XiPing wird ihr irgendetwas schenken nur weil sie das Mädel aus der Hannoveraner Provinz ist, das sich auf die große Bühne verirrt hat.
Als eines der ersten Medien berichtete TE über die neuesten Vorwürfe gegen Baerbock – diese haben mittlerweile die Runde gemacht. Bild, Welt, Focus und viele andere Medien griffen die Story auf, auf Twitter trendet der Hashtag #baerplag. Die Grünen reagieren heftig und dünnhäutig. Der grüne Wahlkampfsprecher Andreas Kappler twittert: „Das ist der Versuch von Rufmord“.
Stefan Weber, der die Vorwürfe gegen Baerbock auf seinem Blog öffentlich gemacht hatte, versuche „erneut, bösartig ihren Ruf zu schädigen“. Grünen-Politiker Jürgen Trittin sprach sogar von einer „Dreckskampagne“ gegen die Kanzlerkandidatin. Diese hat inzwischen den renommierten Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet. Der erklärt, fast im Chor mit dem Wahlkampfsprecher: „Ich kann keine Urheberrechtsverletzung erkennen“. Das versichert auch der Ullstein-Verlag, bei dem das Buch erschienen ist. Ob Baerbock eine Plagiatsklausel unterschrieben habe, konnte der Verlag auf Anfrage der NZZ nicht beantworten.
Diese Kernfrage will die Partei aber mit lauter Heulerei über „Kampagnen“ umschiffen. Das Grüne Wahlkampfteam versammelt sich im Panikraum und versucht verzweifelt, das zu leugnen, was nicht zu leugnen ist. Stefan Weber soll diskreditiert und politische Schlagseite attestiert werden – dass es derselbe Weber noch vor kurzem eine ÖVP-Ministerin mit Plagiatsvorwürfen zu Fall brachte, wird geflissentlich ignoriert. Stattdessen sei er nun Instrument von dunklen Mächten, die die Kanzlerkandidatin zu Fall bringen wollten: Bundesvorstandsmitglied Jamila Schäfer spricht von „mobilisierten Geldern“, andere werfen sogar den Verdacht ausländischer Einflussnahme in den Raum. Baerbock setzt jetzt auf einen Anwalt, der sonst fragwürdige Politik-Figuren wie Sawsan Chebli verteidigt. Und Baerbocks Fall ist eine Blamage auch für ihre Jubelpresse von SPIEGEL über STERN und ZEIT bis hin zur Süddeutschen, die in ihr eine Lichtgestalt sehen wollten und jetzt mit der Realität einer intellektuell dünnen Suppe konfrontiert sind. Bis zuletzt versuchen ARD und ZDF noch Baerbock zu verteidigen. Es ruiniert deren Ansehen nur noch weiter.
Den Hashtag #Baerplag erfand der Kommunikationsberater Hasso Mansfeld so nebenbei im Auto. Innerhalb weniger Stunden erreichte er über 150.000 retweets. Er wurde zum Selbstläufer, weil nach den bisher bekanntgewordenen größeren und kleineren Schwindeleien Baerbocks in ihrem Lebenslauf alles für möglich gehalten wird. Baerbocks Glaubwürdigkeit ist massiv erschüttert. Es brauchte nur noch eine Kleinigkeit und ein Etikett, um den Erdrutsch auszulösen. Das zeigt, dass die Rechnung der Grünen nicht aufzugehen scheint: Was von ihnen als „rechte Kampagne“ bezeichnet wird drückt nur aus, was die Wähler von Baerbock halten. Mittlerweile wird sie sich von Robert Habeck sogar beim Sommerinterview des ZDF vertreten lassen. Kommunikativ gesehen: Das war’s für Baerbock.
Oder wie es Wolfgang Schäuble, der größte lebende Zyniker auf der politischen Bühne für seine Wunschkoalitionspartnerin formuliert hätte: „Isch over“. Und plötzlich sieht es so aus, als ob Armin Laschet im Schlafwagen ins Kanzleramt rollen könnte.