Strom wird billiger, versprechen die Grünen und feiern den Atom-Ausstieg
Redaktion
Die meisten Deutschen fürchten die absehbaren Folgen des Kernkraft-Endes am 15. April. Grüne Politiker feiern den Tag schon einmal. Und verbreiten bizarre Falschbehauptungen gleich in Serie.
Die Grünen geben sich offenbar fest entschlossen, den 15. April 2023 zu ihrem Feiertag zu machen – den Tag, an dem die letzten drei deutschen Kernkraftwerke zwangsweise vom Netz gehen. Dem kommenden Samstag und vor allem der Zeit danach sehen viele Deutsche mit Bangen entgegen: In einer Civey-Umfrage zwischen dem 9. und dem 12. April sprachen sich beispielsweise 71 Prozent der Befragten dafür aus, die Atommeiler länger am Netz zu lassen, um die Stromversorgung zu sichern, und die Preise wenigstens nicht noch weiter steigen zu lassen. Die Abschaltung lehnen mittlerweile die Wähler fast aller Parteien mehrheitlich ab. Einzige Ausnahme: Anhänger der Grünen.
Mit der Abschaltung am 15. April fallen auf einen Schlag 4,2 Gigawatt gesicherte Leistung weg. Führende Politiker der Grünen sehen das als Grund zur großen Freude, allen voran die stellvertretende Parlamentspräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die in einem MDR-Interview sogar prophezeite, dadurch werde der Strompreis demnächst ganz sicher sinken. Auch sonst schaffte sie es, in dem Gespräch mit dem ARD-Sender eine bemerkenswerte Fülle alternativer Fakten unterzubringen.
In dem ARD-Sender erklärt die Spitzengrüne erstens, „alle demokratischen Parteien“ Deutschlands hätten den Ausstieg „wegen der Gefährlichkeit von Atomkraft“ beschlossen. In Wirklichkeit setzte die damalige Kanzlerin Angela Merkel 2011 den Kernkraftausstieg aus Panik durch, weil sie nach dem Unfall von Fukushima und der folgenden medialen Hysterie in Deutschland einen politischen Aufstieg der Grünen fürchtete. Der kam bekanntlich trotzdem. Die Kernschmelze in Fukushima selbst kostete 2011 keinen einzigen Menschen das Leben. Mehrere Jahre später gab es genau einen Strahlentoten, der dem Unfall zugerechnet wurde. Kernkraft zählt bis heute gemessen an der hergestellten Strommenge zu den sichersten Energie-Erzeugungsarten überhaupt.
Zweitens behauptete die Politikerin, Kernkraft sei eine „fossile Energie, weil wir das Uran aus dem Boden holen müssen“. Unter fossiler Energie versteht man allerdings organisches Material aus fossilen Vorzeiten, das Kohlenstoff enthält. Bei Uran handelt es sich um eine mineralische Substanz.
Über Wind- und Solarstrom behauptet sie: „Sie sind zuverlässig, sie sind da“. Und: „Die kriegen wir immer zum Nulltarif, da brauchen wir nur die Anlagen und die Netze.“ Das Problem von Wind und Solar besteht allerdings – wie außerhalb grüner Kreise allgemein bekannt – gerade darin, dass sie nicht „zuverlässig“ liefern, sondern nach Wetterlage, im Fall der Photovoltaik auch nach Tages- und Nachtwechsel und Jahreszeit. Gut 70 Prozent des Solarstroms wird zwischen Mai und September erzeugt. Und während der sogenannten Dunkelflaute, wie sie im Winter oft auftritt, decken Sonne und Wind an trübstillen Tagen noch nicht einmal 5 Prozent des Strombedarfs.
Zum „Nulltarif“ liefern sie selbstverständlich auch nicht. Wie auch, bei den enormen Kosten für die Anlagen selbst und die nötigen Flächen? Im Jahr 2020, als die EEG-Umlage noch vollständig von den Stromverbrauchern übernommen wurde, flossen über diese staatliche Abgabe insgesamt 30,9 Milliarden Euro an die Betreiber von Windkraftanlagen, Solarparks und Pflanzengas-Anlagen. Mittlerweile wird diese Umlage aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die Kosten existieren also immer noch – nur eben woanders. Dazu kommen noch die ständig steigenden Netzkosten.
Die durchschnittliche Zahl der Volllaststunden bei Windkraft liegt in Deutschland gerade bei 1800, bei Photovoltaik unter 1000 – sie liefern also nur an einem geringen Teil der 8760 Jahresstunden ihre installierte Leistung vollständig ab. Deshalb gehören zu einem Stromversorgungssystem, wie es Göring-Eckardt vorschwebt, eben nicht nur „Anlagen“ zur Erzeugung von Wind- und Solarstrom und „Netze“. Sondern auch regelbare Kraftwerke, die einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht strahlt. Oder Speicher auf Batterie- oder Wasserstoffbasis – leider auf absehbare Zeit noch teurer als ein Reserve-Gaskraftwerk.
Die Interviewerin des MDR stellt der Grünen nicht die naheliegende Frage, warum Deutschland, das ja schon 40 Prozent seines Stroms aus Sonne, Wind und Planzengas bezieht und nur noch drei der angeblich so teuren Kernkraftwerke betreibt, beim Strompreis weltweit an der Spitze liegt. Und weshalb der Preis für Elektroenergie in Deutschland seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 nur einen Weg kannte: nämlich nach oben. Wenn die grünen Energien den Strompreis laut Göring-Eckardt senken: Hätte dieser wundersame Effekt sich dann nicht schon längst einstellen müssen?
Schließlich kommt die Grüne auch auf Frankreich zu sprechen. Das Beispiel zeige, wie schlecht Atomkraft sei: Die Kernkraftwerke dort seien „alt, es lohnt sich nicht, neue zu bauen“. Außerdem müssten sie „im Sommer gekühlt werden“, und hätten deshalb stillstehen müssen, weil es „kaum noch Wasser in den Flüssen“ gegeben habe.
In Wirklichkeit baut Frankreich gerade einen neuen Reaktor in Flamanville. Im Jahr 2022 kündigte Präsident Emmanuel Macron außerdem den Bau von insgesamt sechs neuen Reaktoren an. Auch Polen plant den Bau von sechs Kernkraftwerken. Und tatsächlich stand im Jahr 2022 etwa die Hälfte des französischen Kernkraftwerkparks still – das aber aus einer ganzen Reihe von Gründen. Erstens gab es in etlichen Anlagen Korrosionsprobleme, in anderen standen turnusmäßige Wartungen an. Und vereinzelt gab es vorübergehend tatsächlich Kühlprobleme. Nur: Deutsche Anlagen mussten – bis auf die regelmäßige Wartung – keine dieser Unterbrechungen hinnehmen.
Schließlich wiederholte Göring-Eckardt noch einmal ihre ökonomische Expertise: „Die Erneuerbaren kosten nichts“. Und: „Teurer wird es nicht, wenn wir mehr erneuerbare Energie haben, sondern im Gegenteil, es wird günstiger.“
Der Politikerin zufolge müsste also sehr bald zum ersten Mal in der Geschichte der Effekt eintreten, dass ein Gut sich verbilligt, wenn sein Angebot verknappt und die Nachfrage gleichzeitig erhöht wird. Denn durch die geplante Elektrifizierung von Heizung und Verkehr soll der Stromverbrauch Deutschlands von derzeit 550 Terawattstunden auf 750 Terawattstunden im Jahr 2030 steigen.
In die Vorfreude auf den deutschen Atomausstieg stimmte auch die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion Britta Haßelmann ein: „Jetzt ist die Bahn frei für Technologien der Zukunft.“
Bei den deutschen Kernkraftwerken handelt es sich nach Ansicht der Grünen um wahre Wunderwerke: Einerseits sind sie völlig unbedeutend für die Stromversorgung, wie die Politiker immer wieder betonen. Andererseits schaffen sie es trotzdem, neuen Technologien im Weg zu stehen. Nach dem 15. April können sie immerhin nicht mehr daran schuld sein, dass Deutschland bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz, Gentechnik oder auch nur eines flächendeckend guten Mobilfunknetzes so schlecht dasteht.
Nach dem grünen Europaabgeordneten Michael Bloss werden die deutschen Stromnetze ab dem 16. April endlich „frei für Energie von Sonne und Wind“ – was sie ihm zufolge trotz Einspeisevorrangs aus nicht näher erläuterten Gründen nicht waren. Nach seiner Expertise ist Atomstrom „dreckiger als Braunkohle“ – Begründung: offenbar nicht nötig.
Es bleibt das Fazit: Keine Partei in Deutschland verbreitet so intensiv Falschbehauptungen wie die Grünen, und zwar vor allem auf den Gebieten Energie und Klima.
Nüchterne Experten berechnen dagegen schon einmal die Zukunft des Noch-Industrielandes. Der ehemalige Selbstversorger verwandelt sich demnach bald in den größten Stromimporteur Europas.
Dabei dürfte es sich überwiegend um Nuklear- und Kohlestrom aus Frankreich und Polen handeln. Darauf könnten die Grünen dann die Schuld schieben, wenn aus dem prophezeiten großen Stromkosten-Rückgang nichts wird.
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