Damit hatte Markus Söder wohl nicht gerechnet. Der bayerische Ministerpräsident mit dem besonderen Geruchssinn für Wechselstimmungen in der Nase – böse Zungen würden unken: der opportunistischste Politiker der Republik – spekulierte erneut darauf, vergangene Taten mit aktueller Rhetorik zu übertünchen. Früher als Umweltminister an vorderster Front bei der Abschaltung der Kernkraft, kurz vor Schluss leidenschaftlicher Langfristenverlängerungsjunkie. In den Corona-Jahren setzte sich Söder zuerst an die Spitze der striktesten Maßnahmenbefürworter und wechselte anschließend ins Lager derjenigen, die nicht früh genug lockern konnten. Es soll mittlerweile in Oberbayern bronzene Wetterhähne mit seinem Konterfei geben. Wir in der Redaktion halten das für ein bitterböses Gerücht, aber wenn es nicht erfunden ist, dann ist es dennoch gut getroffen.
Kurz gesagt: Sie kennen Söder. Und leider musste der gebürtige Franke diese Erfahrung auch beim Wahlvolk machen. Denn Söder versuchte bei der Erdinger Anti-Wärmepumpendemo („Stoppt die Heizungsideologie“) zu punkten, indem er sich dort als Redner eintragen ließ. Den Unmut im Land wollte der CSU-Chef instrumentalisieren, weil die Wut auf die Ampel so groß ist. Doch dem Ministerempfang schmetterte kein Applaus entgegen. Stattdessen gab es Pfiffe und Buh-Rufe. Personen im Publikum forderten ihn auf: „Hau ab!“
Der Ministerpräsident konterte unsouverän: „Haut selber ab!“ Nicht nur ein Cem Özdemir von den Grünen, sondern auch die Union scheint angesichts der in die Höhe schnellenden AfD-Umfrageergebnisse die Contenance zu verlieren. Nun büßt die Union zwar nicht in den Größenordnungen der Ampelparteien an Zustimmung ein. Aber sie kann von der aufgeheizten Stimmung im Land kaum profitieren. Zu sehr wird sie als Mithelferin der Energiewende wahrgenommen. Sie erscheint unglaubwürdig – und liebäugelt viel zu sehr mit der Regierungslinie, statt eigene Akzente als Oppositionspartei zu setzen. Söder ist ein Symbol für diesen Kurs. Er hat einmal zu oft den Hals gewendet – so scheint es zumindest an diesem Tag.
Die Mitorganisatorin Monika Gruber greift ein. „Wir leben in einer Demokratie, Freunde – lasst bitte jeden Redner ausreden“, ruft sie der Menge zu. Schließlich handele es sich immerhin um den bayerischen Ministerpräsidenten. Sie bittet um Respekt. Doch die Ablehnung gegen Söder bleibt greifbar. Ab und an kann er sich durchschlagen, wenn er auf die Grünen schlägt. Doch das Publikum weiß, dass derselbe Söder oft genug mit den Grünen geflirtet hat.
Derselbe Vorgang wiederholt sich beim Auftritt des bayerischen FDP-Vorsitzenden Martin Hagen. Die FDP ist in Bayern in der Opposition, doch sie kann nicht den Ruch der Ampel auf Bundesebene loswerden. Mitgehangen, mitgefangen. Die Buh-Rufe sind so laut, dass man Hagens Worte kaum verstehen kann. Die Union mag wegen ihrer Vergangenheit nicht profitieren können; die FDP wird wegen ihrer Gegenwart vor Ort abgestraft.
Ganz anders läuft der Auftritt des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger ab. Er hatte bereits in den letzten Wochen und Monaten deutlicher den rhetorischen Säbel in den sozialen Netzwerken gezückt. Er stilisierte sich dabei stets als bodenständiger „Normalo“ aus der Provinz, dem der grüne Städter des juste milieu entgegensteht. Diese Erfolgslinie fährt Aiwanger in Erding fort. Er kann auf Zuruf und Applaus zählen.
Das Heizungsgesetz, so Aiwanger, sei „Wahnsinn“, es müsse „in die Tonne“ getreten werden. Die Grünen wollten nicht das Klima retten, sondern den deutschen Wohlstand zerstören. Aiwanger schreckt auch nicht davor zurück, zu einem deftigen Vokabular zu greifen, doch trifft er damit die Stimmung auf der Demonstration wohl auf den Punkt: „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo die große schweigende Mehrheit sich die Demokratie zurückholen muss und denen in Berlin sagen: ‚Ihr habt ja wohl den Arsch offen da oben‘!“
So viel Gepolter ist für zartbesaitete grüne und rote Ohren zu viel. Man fordert „konstruktive“ Gespräche statt Populismus. Söder schüre – wieder einmal – Ängste. Und das, obwohl der Ministerpräsident alles dafür getan hatte, die Demonstration von der AfD abzuhalten. Er betonte, dass diese Veranstaltung nichts mit der AfD oder „Anti-Demokraten“ zu tun habe, sondern der bürgerlichen Mitte entspringe. Die Partei war von der Kundgebung ausgeladen worden.
Freilich reichte das nicht für jene Kräfte, die mit ihrer Politik die Erdinger Demonstration mit rund 13.000 Teilnehmern erst ermöglicht hatten. Der Vorwurf: Mit der Veranstaltung hätten die Parteien der rechten Mitte die Tore gegenüber Rechts geöffnet. Die Brandmauer, die einige so gerne aufziehen möchten, bricht Tage später bereits schon zusammen, so das Narrativ. Linke Twitteruser setzen die Teilnehmer mit Störern und Querdenkern gleich.
Der Ukraine-Prophet Carlo Masala mahnt, dass Aiwanger mit dem populistischen und extremistischen Feuer spiele. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke feuert sogar gegen die Schwesterpartei: Man sei mitschuldig, dass diese Demokratie von Populisten ausgehöhlt werde. Um es zusammenfassen: Linke und Grüne sympathisierten letzte Woche noch lautstark mit linksextremistischen Gewalttätern, aber die Rede vom Aiwanger-Hubert in der Heimat des Erdinger Weißbiers, die führt uns nun direkt in den demokratischen Abgrund, wenn nicht sogar tiefer.
Allerdings können auch solche Versuche, einen Protest gegen die grüne Klimapolitik neuerlich als Veranstaltung des rechten Mobs zu deklassieren, nicht darüber hinwegtäuschen, wer der eigentliche Star des Tages ist. Es ist die Kabarettistin Gruber, die als Nicht-Politikerin die Sympathien des Publikums für sich verbuchen konnte. Sie war es auch, die mit ihrer Prominenz der Demonstration erst Relevanz verlieh. Vor ihrer Ankündigung, an der Demo teilzunehmen, rechnete der Initiator Widmann gerade einmal mit 200 Teilnehmern.
„Was Habeck und die Grünen fordern, ist mutwillige Zerstörung. Ich habe in fünfzig Jahren noch nie eine so bürgerfeindliche, leistungsfeindliche und wirtschaftsfeindliche Regierung gesehen“, sagt sie auf der Kundgebung. Dass die Medien noch nicht darauf gekommen sind, sie als weiblichen Beppe Grillo zu beschimpfen, liegt nur an der mangelnden Originalität in den Redaktionsstuben. Oder der Befürchtung, dass die Losung wahr werden könnte. Hoffentlich dann aber mit einem besseren Ende als in Italien.