Tichys Einblick
EZB

Größter Zinssprung der Euro-Geschichte: zu klein und gleichzeitig zu groß

Die EZB erhöht den Zins um 0,75 Prozent, weniger, als zur Inflationsbekämpfung nötig wäre. Gleichzeitig drückt der Schritt die wirtschaftliche Stimmung weiter – und verschärft die Lage der Hochschulden-Staaten. Die Gemeinschaftswährung kommt nicht aus dem Krisen-Modus.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, 08.09.2022

IMAGO / Hannelore Förster

Im Vorfeld der EZB-Sitzung am Donnerstag gab es unter Bankern und Volkswirten nur noch ein Rätselraten, ob das Direktorium der Notenbank die Zinsen um 0,5 oder 0,75 Prozentpunkte anheben würde. Am Nachmittag gab die EZB dann die Erhöhung um 75 Basispunkte bekannt – den größten Zinsschritt in der Geschichte der Gemeinschaftswährung. 

Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen, steigt damit auf 1,25 Prozent. Angesichts einer Inflationsrate von gut 10 Prozent in Deutschland und Raten von über 20 Prozent in den baltischen Staaten schien dieser Schritt der EZB-Führung dann am Ende unvermeidlich – obwohl ihn Bankchefin Christine Lagarde und die Notenbankchefs der hoch verschuldeten Euro-Länder lange hinauszögerten und nur widerwillig akzeptierten. 

Die Euro-Manager mussten in den vergangenen Tagen zusehen, wie die Gemeinschaftswährung auf ihren tiefsten Stand seit 20 Jahren fiel, und die Parität zum Dollar deutlich unterschritt. Zu dem Misstrauen der Investoren führten mehrere Faktoren: erstens der große Zins-Unterschied zu den USA, der dort in der Bandbreite zwischen 2,25 und 2,50 Prozent liegt, was die Investition in Zinspapiere wieder attraktiv macht. Das wiederum führt zu einem massiven Kapitalabfluss aus Europa in die Vereinigten Staaten. Außerdem ziehen vieler Anleger auch wegen der Energiekrise und der beginnenden Rezession ihr Geld aus der Eurozone ab. Der schwache Euro macht Importe aus anderen Währungsräumen teurer, was vor allem angesichts der massiven Flüssiggaseinkäufe aus Übersee die Inflation im Euro-Raum zusätzlich antreibt. 

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Bei der aktuellen Währungsschwäche und einer EU-Inflationsrate von 9,8 Prozent  hätten die Verantwortlichen im Frankfurter Euro-Tower eigentlich eine Zinserhöhung um 100 Basispunkte vornehmen müssen, also um einen ganzen Prozentpunkt. Doch das, was geldpolitisch nötig wäre, um die Inflation tatsächlich einigermaßen wirkungsvoll zu bremsen und den Euro zu stabilisieren, findet aus politischen Gründen nicht statt. Denn hoch verschuldete Staaten wie Frankreich, Italien, Griechenland und Zypern müssen selbst nach der 0,75-Prozent-Zinsanhebung einen kräftigen Aufschlag auf ihre Staatsanleihen bieten, was bedeutet: sie haben deutlich mehr für den Schuldendienst aufzubringen als bisher. In Frankreich etwa macht der Schuldendienst schon jetzt den drittgrößten Posten im Staatshaushalt aus. 

Die Wirkung des Zinsschrittes ist deshalb paradox: Zum einen nicht groß genug, um die Geldentwertung zu stoppen. Zum anderen so groß, dass er wegen der ansteigenden Kreditzinsen das ohnehin schon schwache wirtschaftliche Wachstum in der Eurozone noch weiter drücken und die Staatsverschuldung noch stärker anfeuern dürfte. Die EZB deutete deshalb auch an, sie könnte demnächst wieder verstärkt Staatsanleihen bestimmter Staaten kaufen, um den so genannten Spread zu verkleinern – den Unterschied zwischen den Zinsen für deutsche Staatsanleihen und denen von Ländern mit geringerer Bonität. Das hieße nichts anderes als: Rückkehr zum eigentlich nie wirklich beendeten Krisenmodus.

Während die Eurozone aus Rücksicht auf Hochschuldenstaaten ihre Zinsen nicht sehr weit über die aktuellen 1,25 Prozent anheben kann, enteilen die US-Zinsen mit großen Schritten. Die meisten Marktteilnehmer erwarten von der Fed für September einen Schritt von ebenfalls 0,75 Prozent schon im September. Und weitere Zinsschritte sollen folgen. Fed-Direktoriumsmitglied Loretta Mester etwa hält eine Anhebung der Zinsen auf über 4 Prozent Anfang 2023 für nötig. Eine solches Zinsniveau im Euroraum würde Italien kollabieren lassen – beziehungsweise ein neues riesiges Stützungsprogramm nötig machen.

Die Währungshändler reagierten am Donnerstag jedenfalls kaum auf die Nachricht aus der EZB-Chefetage: Nachdem er sich kurz über die Parität gekämpft hatte, fiel der Euro am späteren Nachmittag wieder unter den Dollar. 


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