Bei den EU-Wahlen haben auch die dänischen Sozialdemokraten Verluste hinnehmen müssen. Sie fielen von 21,5 Prozent im Jahr 2019 auf jetzt 15,6 Prozent. Also eigentlich schon die Flughöhe der deutschen SPD. Bei den letzten nationalen Wahlen zum Folketing war Premierministerin Mette Frederiksen allerdings noch etwas erfolgreicher und errang 27,5 Prozent mit ihrer Partei. In Deutschland waren und sind die Dänen trotzdem eher bei anderen Parteigängern beliebt.
In der SPD rümpfte man bisher die Nase über den harten Migrationskurs in Kopenhagen, der sich über verschiedene Regierungen hinweg erhalten hat. Die Positionen ihrer liberalen und national- gesinnten Konkurrenten hat Frederiksen zuerst übernommen, dann rechts überholt. Für das Königreich im Norden forderte sie eine Asylzuwanderung von Null und kam auch ziemlich nahe daran heran. Im Januar wurden in Dänemark 230 Asylbewerber registriert. Im März waren es gar nur 160 Anträge. Das ergibt bei knapp sechs Millionen Dänen immer noch einen ziemlich guten Pro-Kopf-Wert.
Nun lässt sich der SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese mit dem Rat hören, man solle sich „den Kurs der nordischen Sozialdemokraten sehr genau anschauen“, und zwar speziell die Migrationspolitik. Damit hätten die Dänen nicht nur Wahlerfolge erzielt, sondern auch „radikale Parteien klein gehalten“, sagte Wiese dem Tagesspiegel. Das ist ja immer das Hauptziel der SPD, aber inzwischen hält sie so eher sich selbst klein.
Das dänische Modell will Wiese eigentlich gar nicht
Doch nun schaut es wirklich so aus, als ob ein Teil der SPD ein wenig mit dem rechten Auge blinzeln würde. Seit Gründung des BSW ist klar, dass man das Thema Migration nicht mehr allein mit dumpfem Trommeln „gegen rechts“ bekämpfen kann. Das Erscheinen Wagenknechts verstärkt den Punkt, den auch die AfD und andere keineswegs liegen ließen, dass es die Interessen der einfachen Leute sind, die vor allem von der ungehinderten Einwanderung über die grüne Grenze geschädigt werden.
Man müsse nun „ohne Scheuklappen“ über die Erfahrungen der Dänen sprechen, ist Wiese plötzlich klar geworden. Er will die „Sorgen der Menschen im Bereich Zuwanderung“ künftig ernster nehmen und klarer benennen. Damit ist noch niemandem geholfen, aber zumindest widerspricht Wiese damit dem Juso-Vorsitzenden Philipp Türmer, der weithin als Stimme der SPD wahrgenommen wird und nach der EU-Wahl schlicht so weiter machen will wie bisher, um nicht den „rechten Narrativen hinterherzulaufen“. Nur sind die eben nicht bloß rechts, sondern in Dänemark auch gut sozialdemokratisch.
Was sind nun aber die realen Probleme, die Wiese nicht mehr verschweigen will? Beachtlich ist, dass er damit zugibt, dass man genau das jahrelang getan hat: Probleme mit der illegalen Migration verschwiegen. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn Wieses Dänemark-Einleitung ist eigentlich nur ein hübscher Raumteiler mit Muster. Er schiebt gleich hinterher, dass „nicht alles dort eins zu eins in Deutschland umsetzbar oder wünschenswert“ sei. Natürlich will Wiese gar keine Null- Asylzuwanderung, er will auch kein Schmuckgesetz zur Finanzierung des teuren Asylsystems, keine Trennung von afghanischen Kinderehen usw. usf. All die harten Maßnahmen, die die Dänen in den letzten Jahren ergriffen haben, um den Zustrom zum Versiegen zu bringen, interessieren Wiese nicht.
Eigentlich will Wiese nur das machen und rechtfertigen, was Olaf Scholz in rhetorischer Manier kurz nach Mannheim vorschlug: „im großen Stil“ Straftäter nach Syrien und Afghanistan abschieben – ohne dass es dafür freilich eine direkte Realisierungschance in dieser rot-grün-gelben Koalition gäbe. Denn natürlich sind die Grünen dagegen.
Wieses Luftballons und die Baumwipfel um das Ebert-Haus
Gemäß der Faeser-Baerbock-Doktrin meint Wiese, die meisten Menschen seien für Zuwanderung (egal welche), wollten aber, dass der Rechtsstaat durchgesetzt werde. „Sie haben die berechtigte Erwartungshaltung, dass diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten oder keinen Asylgrund haben, das Land wieder verlassen müssen.“ Das ist nun aber wirklich etwas Neues! So haben sich die Bürger das also gedacht: ohne Asylgrund kein Asyl? Wer weiß, vielleicht war das sogar der Gedanke der Verfassungsväter und -mütter, als sie die erste Fassung des Artikels 16 schrieben. Diese Weisheit muss man allerdings führenden SPD-Mitgliedern von heute erst wieder beibringen.
Zugegeben: Mit der Forderung, auch abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, geht Wiese etwas über Scholzens Ankündigungspolitik hinaus. Aber das heißt wiederum nicht, dass es bald zu einer solchen Regelung kommen könnte. Es sind eigentlich klassische Luftballons, die der Fraktionsvize hier steigen lässt, um zu testen, ob Leute wie Saskia Esken und Philipp Türmer darauf reagieren. Und damit ist auch schon klar, wo diese Vorschläge enden werden: in einem der Baumwipfel rund ums Friedrich-Ebert-Haus, gestrandet und verloren.
Man erfährt von Wiese auch, dass „Kapitalverbrecher“ das Land jedenfalls verlassen müssten, so, wie es Olaf Scholz gesagt hat. Hier ist Weise wieder „his master’s voice“, nicht mehr und nicht weniger. Das Bundesinnenministerium arbeitet angeblich schon daran, dass man einige der psychisch Verwirrten nach Haftverbüßung wieder in syrische oder afghanische Gefilde entlassen kann. Die Juristin Faeser hat ja Übung mit sattelfesten Gesetzestexten, wie sie uns mit dem nie verwirklichten bundesweiten Messerverbot gezeigt hat. Und vielen anderen.
Der polizeiliche Nutzen der EM-Grenzkontrollen
Doch Wiese weiß plötzlich: „Unser Sicherheitsinteresse geht vor.“ Das ist etwas grundlegend Neues von dieser SPD, dass sie nationale Interessen gegen internationale Verträge abwägt. Um innere Sicherheit geht es auch bei der zweiten neu erblühten Liebesaffäre Dirk Wieses. Er will die Grenzkontrollen, die Nancy Faeser wie einen Kokon um das EM-Deutschland gesponnen hat, eventuell „für einen gewissen Zeitraum“ verlängern.
Eigentlich sollen die speziellen EM-Kontrollen ja am 19. Juli enden. Wegen der Olympischen Spiele in Frankreich, die noch bis zum 22. August dauern, lohne sich aber eine Verlängerung laut dem Fraktionsvize. Daneben meint Wiese, dass auch durch diese Kontrollen – wohl vor allem die zu Frankreich und den Benelux-Staaten – die „Flüchtlingszahlen“ oder illegalen Einreisen zurückgehen könnten.
Zieht man den Nutzen der im Herbst eingeführten Kontrollen im Osten und zur Schweiz heran, dann gab es dort eher einen bescheidenen Vorteil im Kampf gegen die illegale Zuwanderung. 2024 war bislang kein schwaches Migrationsjahr, und Sommer und Herbst liegen bekanntlich noch vor uns. Das Problem ist vor allem, dass die grüne Grenze noch immer nicht bewacht wird. Es gibt auch keinen Willen, Asylbewerber konsequent zurückzuweisen, nur einige schwere Fälle werden rausgefischt und können bald wiederkehren, bis sie es doch herüberschaffen. Aber Wiese findet die Kontrollen noch in anderer Hinsicht praktisch, wie er dem Tagesspiegel in einem zweiten Interview verriet. So sei auch eine Vielzahl von gesuchten Verbrechern mit deutschem Pass gefasst worden. Also eher ein polizeilicher Nutzen.
Verlängerte Grenzkontrollen – nur eine Nothilfe für Bremen?
Wiese spricht dann noch von der „abstrakt hohen Gefährdungslage“ bei der Europameisterschaft. Also hoch, aber nicht konkret. Der Iran, Russland oder China könnten laut Wiese versuchen, das Sicherheitsgefühl der Menschen während der EM zu beeinflussen. „Das sind Sachen, die uns tatsächlich Sorgen bereiten. Aber auch das haben die Behörden auf dem Schirm.“ Dann ist es ja gut. Eine Wiederholung von München 1972 scheint ausgeschlossen.
Für wahrscheinlich hält Wiese ohnehin vor allem Cyberangriffe., etwa „Attacken auf das Ticketsystem“ oder Fake-News auf Großbildleinwänden. Man könnte sich Schlimmeres vorstellen. Aber Wiese sagt uns damit auch: Wenn Deutschland in dieser EM oder auch sonst nicht funktioniert, dann liegt auch das nur an den Russen, Chinesen oder neuerdings an den Iranern. Warum schließt man dann aber nicht endlich die Teheran-Filiale in Hamburg, die Blaue Moschee mit angeschlossenem Islamzentrum? Die „Achse des Bösen“ lebt, aber im Ampel-Deutschland geht sie ein und aus.
Während die Dänemark-Wende der deutschen Sozialdemokratie noch ziemlich weit weg sein dürfte, ist die Möglichkeit verewigter Grenzkontrollen mit Nancy Faeser wohl eher gegeben. Ihr kontrollierendes Wesen kommt so zum Vorschein, das sie sonst hinter offenen Armen und Antifa- Gesinnung zu verbergen weiß. Nicht zuletzt hat sich Faeser ja ein ganz eigenes Modell geschaffen, in dem sie zwar Kontrollen einrichtet, aber damit noch nichts Wesentliches am Ausmaß der illegalen Zuwanderung ändert. Aber aus der Sicht der beabsichtigten Bürgerkontrolle wären die permanenten Grenzkontrollen zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden ein Gewinn für sie.
Es könnte allerdings noch eine andere Bewandtnis damit haben. In diesem Frühling warnte eine Bremer Sozialdemokrat vor der neuen Zuwanderung von Maghrebinern über Frankreich und Benelux, die in Bremen zu einer rasanten Zunahme der Straßenkriminalität geführt hat. Die Zuwanderung (über das EU-Ausland) hat hier einen direkten Zusammenhang mit der Bremer Kriminalstatistik. Insofern können Sozis Sozis helfen, wenn sie die Grenze erst mal unter Kontrolle halten. Vielleicht ist das die ganze Erklärung dieser scheinbaren SPD-Wende weg von Freizügigkeit hin zu permanenten Grenzkontrollen im Schengenraum. Noch ist diese Wende noch nicht vollzogen. Und vielleicht kommt sie auch gar nicht.