Darauf haben wir gerade noch gewartet: 1,9 µg/l. Das sind die was? – Tatsächlich die Werte für Glyphosat im Urin. Im Urin eines Europaabgeordneten. Erste Vermutung: Auf eine solche Idee kann nur ein grüner Abgeordneter kommen. Wahrhaftig: Der einschlägig bekannte grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold teilt hier mit, wie todsterbenskrank er ist. Also 1,9 milliardstel Gramm Glyphosat pro Milliliter in seinem Urin.
Und Glyphosat wiederum ist einer der gefährlichsten Stoffe – im Augenblick jedenfalls, wenn man dem grünen Gesinnungsterror glaubt.
Diese Twitter-Mitteilung hat schon etwas. Giegold könnte der Analysetechnik allerhöchsten Respekt zollen, die mittlerweile in der Lage ist, viel geringere Mengen eines Stoffes als jenen historischen „Zuckerwürfel im Bodensee“ nachzuweisen. Er könnte dann einen Biologen fragen, was solch außerordentlich niedrigen Mengen überhaupt noch ausrichten können, und sich ein wenig davon erschrecken lassen, welche heiklen Spuren an Stoffen der Analytiker sonst noch mit seinen Gaschromatographen, Massenspektrometern und Atomabsorptionsspektrometern in seinem Urin finden könnte; nein, das tut er nicht.
Er gerät in Panik und verbreitet sie.
BUND-Studie mit 10 Probanden
Im Kopfe schwirrte dem Abgeordneten wohl noch jene ominöse Untersuchung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) herum. Der hatte auf der Suche nach neuen Spendengeldern vor ein paar Jahren das Skandalfass aufgemacht, dass bei „70 Prozent aller deutschen Großstädter das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im Urin nachgewiesen werden“ konnte.
Zehn Personen wurden dazu in Deutschland untersucht, ein ziemlich verwegener Ansatz, von diesen zehn Probanden auf die gesamte Großstadtbevölkerung zu schließen.
Noch mehr würde Giegold in Panik geraten, wenn ihm jemand erzählte, dass mehr als 95 Prozent aller Pestizide nicht von den bösen Chemiefabriken, sondern von den Pflanzen selbst stammen. Giegold müsste die Natur verbieten oder selektieren und zensieren.
Die Pflanzen wehren sich damit gegen Fraßfeinde. Fast alle dieser Stoffe finden chemische Analytiker heute mit ihren bemerkenswerten Messmethoden. Doch ob und wie gefährlich diese Stoffe sind, geht aus der Mengenbestimmung nicht hervor.
Das, was der Mensch an Umweltgiften erzeugt, verblasst gegenüber dem, was unsere gute „Mutter Natur“ an Killerkampfchemikalien produziert.
Der Bauer will nicht „Unkraut“ – also Pflanzen, die er nicht gesät hat – von seinem Acker ernten, sondern Gerste, Roggen und Weizen. Deshalb muss er mit chemischen Stoffen Unkräuter (und Pilze) bekämpfen, will er nicht wie Hardcore-Bio-Glaubensbrüder seine kostbaren Nutzpflanzen mit der Hacke Furche um Furche freimachen.
Er benutzt dazu gern Glyphosat, eines der weltweit am meisten verkauften Unkrautvernichtungsmittel. Seine Nutzpflanzen sind so gezüchtet, dass sie gegen Glyphosat resistent sind.
Der amerikanische Saatgut- und Herbizidkonzern Monsanto (Bayer soll Interesse am Kauf haben) brachte 1974 das Mittel unter dem Namen Roundup auf den Markt. Die Pflanzen nehmen es über ihre grünen Blätter auf; es blockiert ein wichtiges von Pflanzen und Mikroorganismen produziertes Enzym. Das wiederum ist Vorläufer von Pflanzenhormonen, Aminosäuren und anderen essentiellen Pflanzen-Stoffwechsel-Produkten. Die unerwünschten Pflanzen „verhungern“ also und gehen ein. Säugetiere haben dieses Enzym nicht, das Mittel kann ihnen also nicht gefährlich werden.
Glyphosat hilft unabsichtlich gegen Malaria
Einen interessanten Effekt des Glyphosats übrigens haben Forscher erstaunlicherweise bei anderen Lebewesen beobachtet: Manche Plasmodien, einzellige Lebewesen, darunter die Erreger der Malaria, haben dieses Enzym ebenfalls und produzieren damit für sie wichtige Aminosäuren. Glyphosat wiederum blockiert das Enzym auch im Erreger. Das schwächt den Erreger so stark, dass das Immunsystem des Menschen ihn dann unschädlich machen und sich auf diesem Weg gegen die gefährliche Malaria wehren kann.
2002 erhielt Glyphosat eine Zulassung in der EU für zehn Jahre. Eine Verlängerung wurde auf 2015 verschoben. Jetzt muss das Mittel neu bewertet werden, ob es weiter verkauft werden darf.
Eine Entscheidung über die richtige Ideologie: grün und bio – natürlich gegen das Mittel aus der bösen „Chemie“, die anderen, die mehr die zuverlässige und gesunde Ernährung im Sinne haben, dafür.
Jetzt muss Bundeskanzlerin Merkel entscheiden, wie Deutschland in der EU stimmt. Argrarminister Christian Schmidt (CSU) und die Union wollen das Mittel erlauben. Die SPD weiß nicht, ob sie sich in Richtung grün verbeugen soll oder eher nicht. Für sie sind bei einem der meist angewandten Unkrautvernichtungsmittel angeblich Gesundheitsrisiken noch nicht aufgeklärt. Die EU selbst will Glyphosat weiter zulassen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO, sonst ziemlich grün gekapert, stellt ausdrücklich fest: Rückstände von Glyphosat sind wahrscheinlich kein Krebsrisiko für Menschen. Vor einem Jahr klang das noch genau andersherum: „Wahrscheinlich krebserregend!“
Heute in Brüssel kam es zu keiner Entscheidung. Wie es weiter geht, ist noch unklar. Kundige gehen von einem Katz- und Mausspiel aus, an dessen Ende Glyphosat weiter verwendet werden darf.
Wissenschaftlicher Fortschritt bei einem ziemlich alten und häufig benutzten Unkrautvernichtungsmittel oder eher Zeichen für heftige Kämpfe verschiedener Abteilungen hinter den Kulissen?
Der Landwirt jedenfalls spritzt es vor der Aussaat auf den Acker. Er will schließlich, dass Gerste, Weizen oder Mais wachsen statt dass Unkraut seinen Acker in Windeseile überwuchert und dem Boden wichtige Nährstoffe entzieht, die eigentlich den Nutzpflanzen zukommen sollen.
Dann fährt er manchmal vor der Ernte mit dem Glyphosat-Spritzwagen über den Acker, um etwa bei Kartoffeln und Soja die grünen Blätter abwelken zu lassen.
Die Bahn versprüht es über die Gleise, damit das Wurzelwerk der Pflanzen keine Schäden an Schotter und Schienen anrichtet.
Und schließlich rückt der Hobbygärtner seinem Unkraut mit Glyphosat zu Leibe – vermutlich in deutlich höheren Mengen als die Landwirte, die kostenbewusst arbeiten müssen, also nur so viel Pflanzenschutzmittel verwenden wie unbedingt notwendig.
Die Lebensmittelüberwachungsämter stellen praktisch kaum erhöhte Glyphosat-Werte in Getreideproben fest.
Öko darf nur Kupferverbindungen nutzen – sicher giftig
Die Zeitschrift Ökotest dagegen schlug 2012 Alarm: „Gift im Korn“ will sie in 14 von 20 Proben gefunden haben. Allerdings immer noch – dies zur Beruhigung – im Spurenbereich tausendfach unter den zulässigen Grenzwerten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hingegen sah keinen Grund für Beanstandungen.
Empfehlung der Zeitschrift Ökotest an die Verbraucher: Im „ökologischen“ Anbau dürfe so etwas nicht gemacht werden, daher sei der Griff zu „ökologischen“ Produkten zu bevorzugen.
Dumm nur, dass auch Ökobauern mehr Nutzpflanzen als Unkräuter ernten wollen. Sie müssen also auch etwas gegen die wild wuchernden Pflanzen auf ihrem Acker tun. Ohne Pflanzenschutzmittel kommt der „biologische“ Landbau ebenfalls nicht aus, will der Biobauer überhaupt noch etwas von seiner Ernte heimbringen und soll sie ihm etwas einbringen.
Erlaubt ist ihm allerdings nur eine Kupferverbindung als Pflanzenschutzmittel. Doch die ist um Klassen kritischer als Glyphosat. Wirkstoff ist das Schwermetall Kupfer. Das ist im Gegensatz zum Glyphosat nicht biologisch abbaubar. Es wirkt längst nicht so gut wie das Mittel aus dem Chemiereaktor, muss daher häufiger und höher dosiert ausgebracht werden. Kritisch können auch die Wirkungen beim Menschen sein.
Mittlerweile hat sich in Sachen Glyphosat die Tonlage verschärft. Es wird für immer mehr Krankheiten verantwortlich gemacht: klar Krebs sowieso, Herzinfarkt, Alzheimer und was das grüne Schreckensszenario alles hergibt. Glyphosat solle ein Enzym in der Leber blockieren. Das stimmt übrigens nicht, das tut Grapefruitsaft.
So viel scheint sicher: An der Industrie liegt’s nicht. Das Patent ist ausgelaufen. Mit Glyphosat ist kein Geld mehr zu verdienen. Jetzt müssen Nachfolgeprodukte auf den Markt gebracht werden. Und wenn der noch politisch verstopft ist … Aber nein, Verschwörungstheorien geben wir keinen Raum.