Es gibt Themen, über die zu schreiben, man – außerhalb von sexuellen Nischenpublikationen – wohl nicht so schnell erwartet hätte. Aber genau solch ein Fall ist nun eingetreten, nachdem ein Antrag beim Studentischen Konvent der Universität Augsburg zur Einführung von Gloryholes im Hörsaalzentrum einging. Der Antrag erfolgte auf Basis einer Abstimmung beim vorangegangenen Modularfestival, bei dem sich offensichtlich 10 Stimmen für die Einführung der Gloryholes ausgesprochen hatten.
Erbaut werden sollen die drei beantragten Gloryholes von der Abteilung Raum und Bau der Uni Augsburg und für die Reinigung derselben soll dann zukünftig das Gebäudemanagement herangezogen werden. Eine Stellungnahme des Gebäudemanagements zu dieser Perspektive lag zum Zeitpunkt dieser Meldung noch nicht vor. Die Antragsteller dachten an alle Eventualitäten, denn die Gloryholes sollten möglichst barrierearm und daher höhenverstellbar werden. Die Universität soll ebenso kostenfrei Kondome, Lecktücher, Gleitmittel, Desinfektionsmittel und Mülleimer zur Verfügung stellen.
Inhaltlich wurde der Antrag mit der Diversifizierung des Campus begründet, da „Kink“ (ungewöhnliche sexuelle Vorliebe, Quelle: dict.cc) als „nicht-heteronormative Praxis zu verstehen ist“. Die Gloryholes würden somit eine „verbesserte Teilhabe am Universitätsalltag von queeren Studierenden entfesseln“ [sic!] und damit auch das „Sicherheitsgefühl und das Wohlbefinden“ erhöhen, da die dadurch ermöglichte „Verbindung […] verschiedener Körper(lichkeiten) auch empowernd wirken“ würden und der „eigene Körper nicht nur als Grenz- sondern auch als Möglichkeitenraum erlebt werden kann“.
Hä, worum geht’s?
Da TE-Leser so rein im Geiste wie im Lebenswandel sind, sei an dieser Stelle erklärt, dass es sich bei Gloryholes um „Löcher in der Wand zwecks anonymer Sexualkontakte“ (Wikipedia) handelt. Historisch betrachtet lassen sich erste Gloryholes anfangs des 18. Jahrhunderts nachweisen, das erste ausgeschnittene Loch in einer Trennwand wurde bereits im Jahr 1700 im Londoner Savoy dokumentiert. In den 1960er Jahren gewann die Gloryhole-Bewegung neuen Auftrieb und tauchte seit 1966 vermehrt auch verschriftlicht unter dem positiv besetzten Begriff Gloryhole (im Gegensatz zum leicht abschätzigen „Loch in der Wand“) in homosexuellen Kreisen auf.
Trotz tiefschürfender Analysen zu der Thematik des Soziologen Laud Humphreys, sowie dem Klassiker aus 1977, „Die Freuden der Schwulen“ von Charles Silverstein, erhielten Gloryholes in den 1980er Jahren im Zuge der Aids-Hysterie einen schlechten Ruf als hygienisches Desaster. Dennoch blieb das Gloryhole als fundamentaler Bestandteil der Schwulenkultur erhalten und konnte nicht vollständig verdrängt werden.
Typisch Patriarchat: Erst mit der Übernahme von Gloryholes in die heterosexuelle Swingerszene erhielten die Löcher in der Wand neue Breitenwirksamkeit, die in den letzten Jahren durch kritische Studien des Magazins Buzzfeed, das 2020 einen Artikel veröffentlichte, in dem hetero-, homo- und bisexuelle Personen von ihren Erfahrungen bei Swingerparties mit Gloryholes berichteten, verstärkt wurde.
Die Covid-Pandemie führte letztendlich zu einer Enttabuisierung des Gloryholes, da dieses nunmehr gesundheitliche Vorteile mit sich brächte. Das New Yorker Gesundheitsministerium plädierte bereits im Juni 2020 für sexuelle Kontakte durch „physische Barrieren, wie Wände“, erwähnte Gloryholes aber noch nicht explizit. Einen Monat später legte das British Columbia Centre for Disease Control (CDC) nach und empfahl Gloryholes als probates Mittel, um Kontakt „von Angesicht zu Angesicht“ und damit eine potenzielle Ansteckung mit Covid zu vermeiden. Gloryholes retten Leben – welch glorreicher Fortschritt gegenüber dem Aids-bedingten Rufmord der 1980er Jahre!
Realität oder Satire? Egal, Hauptsache einführen!
Dass Studenten einer Universität nun eine solche Petition einreichen, ist daher nur folgerichtig. Dabei ist es völlig irrelevant, ob es sich bei diesem Antrag um einen Scherz oder um einen ernstgemeinten Vorschlag handelte. Queer.de meint zu wissen, dass die Antragsteller teilweise im Queer-Referat tätig sind, und die BILD zitiert einen Mitarbeiter der Universität mit den drohend anmutenden Worten: „Die Anstragsteller sind so woke, die meinen das nicht als Scherz.“ Dem widersprach zumindest vorläufig die Unileitung, denn die Pressesprecherin der Universität Augsburg ließ ausrichten, man ginge davon aus, dass dieser Tagesordnungspunkt satirisch zu verstehen sei.
Aber wo es unironisch ein Queer-Referat gibt, sind auch solche Anträge in letzter Instanz nur konsequent. Die Tatsache alleine, dass dieser Antrag es – neben der Errichtung einer Statue für die kürzlich verstorbene Campuskatze – auf die Tagesordnung der Sitzung des Studentenkonvents geschafft hat, bestätigt die befreiende Vermutung, dass der Punkt, an dem der Unterschied zwischen Satire und Ernst nicht mehr nachvollziehbar ist, endgültig erreicht wurde.
In bester Absicht, aber leider ohne jeglichen Humor und den Mut, den Karren Vollgas an die Wand zu fahren, reagierte unter anderem der „Ring Christlich-Demokratischer-Studenten Augsburg e.V.“, der den Antrag aufs Schärfste verurteilte und als „skandalös und inakzeptabel“ bezeichnete. Wortreich ging dabei die „Fraktion der Freiheitlich-Demokratischen Liste“ darauf ein, wie unangebracht diese Einführung wäre und verwies darauf, dass damit dem Ansehen der Hochschule geschadet würde. Das mag zwar alles richtig sein, doch wer glaubt, das Ruder in den bestehenden Universitäten nach dem langen Marsch durch die Institutionen™ noch herumreißen zu können und zu irgendeiner Form der Normalität zurückzukehren, der glaubt auch, dass eine Rückkehr zur guten alten BRD-Zeit unter Helmut Kohl machbar wäre, wenn Friedrich Merz sich dazu durchringen könnte, mit der AfD zu koalieren.
Man kann also nur hoffen, dass dieser Antrag angenommen oder zumindest ernsthaft diskutiert wird, denn es wäre ein weiterer wichtiger Mosaikstein selbstzerstörerischer Demaskierung in einer pervertierten Dekonstruktionsspirale, die unweigerlich in vollkommener Dekadenz enden muss. Möge der Moment, an dem Studenten während der Vorlesung schnell mal ein Gloryhole aufsuchen können, um mit der „damit verbundenen Stressreduktion“ für eine „positivere Arbeitsatmosphäre am Campus“ zu sorgen, möglichst bald kommen, auf dass alle erkennen mögen, dass der Kaiser nicht nur nackt ist, sondern auch noch in einem Gloryhole feststeckt.
Nachtrag: In der Sitzung des Studentenkonvents wurde am Mittwochabend laut Berichten der Presse Augsburg eine Stunde lang intensivst über diesen Vorschlag debattiert. Trotz mehrerer Stimmen, die sich für die Umsetzung des Vorschlags einsetzten, beschloss das Studentenkonvent letzten Endes mehrheitlich, den Antrag als satirischen Antrag einzustufen und nicht umzusetzen. Ein schwarzer Tag für die Diversität in Augsburg.