Damals im bürgerlichen Zeitalter, das auch das Zeitalter der Ehe und der Ehre war, hat der Verlust der letzteren bei dem einen Ehepartner ganz unvermeidlich auch den anderen hinabgezogen. Ein Fall wie der des Ehepaares Giffey wäre damals allerdings ohnehin undenkbar gewesen. Sie Bundesministerin, er „nur“ Referent als Experte für Tierimpfstoffe und Lebensmittelsicherheit im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales.
Karsten Giffey hat bei seinen Arbeitszeiten offenbar betrogen und Dienstreisen abgerechnet, die es nicht gab. Das Berliner Verwaltungsgericht hat entschieden, dass er aus dem Beamtenverhältnis zu entlassen sei. Giffey hat offensichtlich seinen Diensteid gebrochen und den sprichwörtlichen silbernen Löffel gestohlen. Früher, in jenem vergangenen bürgerlichen Zeitalter, blieb einem „Ehrenmann“ in so einem Fall fast nichts anderes übrig, als auszuwandern oder sich umzubringen. Die gesamte Familie war dann „entehrt“.
Dass es Sippenhaftung in freiheitlichen Rechtsstaaten und modernen Gesellschaften nicht mehr gibt, ist uneingeschränkt gut. Das moralische Urteil der Öffentlichkeit sollte ebenso wie ein etwaiges juristisches nur nach persönlichen Verantwortlichkeiten fragen, nicht nach Bluts- oder Wahlverwandschaften. Für den Betrug Karsten Giffeys ist nur er selbst verantwortlich. Man mag sich allenfalls unwillkürlich fragen: Hätte seine Frau ihn nicht, falls sie von dessen Betrug wusste, davon abhalten können? Aber die Antwort darauf kennen vermutlich nur die beiden Ehepartner und sie geht auch niemanden etwas an.
Andererseits: Bei Politikern ist die Trennlinie zwischen öffentlich und privat eben nicht immer so eindeutig und unmissverständlich zu ziehen. Personalpolitische Fragen sind immer auch Fragen nach der nicht nur fachlichen, sondern auch charakterlichen Eignung der Kandidaten. Von der potentiellen Erpressbarkeit durch Vergehen, die sich eben auch auf Familienangehörige beziehen kann, zu schweigen. Noch vor einigen Jahren waren die Öffentlichkeit und vor allem der politische Betrieb selbst da sehr viel sensibler. 1993 etwa trat nicht nur Jürgen Möllemann als Bundeswirtschaftsminister zurück, nachdem er auf offiziellem Briefpapier für eine Geschäftsidee eines Vetters seiner Ehefrau geworben hatte. Im selben Jahr trat auch Verkehrsminister Günther Krause zurück: Seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau hatte eine Putzhilfe mit staatlichen Geldern für Dauerarbeitslose bezahlt. Krause, der in der Wendezeit einer Pressesprecherin namens Angela Merkel zu einem Wahlkreis verholfen hatte, wird demnächst im RTL-Dschungel-Camp dabei sein. Da wird man vielleicht mehr erfahren aus jenen lang vergangenen Zeiten, da Ehepartner noch für die Vergehen ihrer Gatten in Mithaftung genommen wurden.
Neben den veränderten Sitten wird möglicherweise aber im Falle Giffey (und vielleicht auch Feldmann) ein banalerer Grund mit ausschlaggebend sein dafür, dass sie wohl Ministerin bleiben kann: Der SPD (und anderen Parteien) fehlt schlicht das Personal, um Skandalverluste zu ersetzen. Und letztlich stürzen Spitzenpolitiker immer erst dann, wenn ihnen in der eigenen Partei der Rückhalt verloren gegangen ist. Giffey gilt aber offenbar als unersetzliche Zukunftshoffnung der verschlissenen Sozialdemokraten. Sie wird auch als Nachfolgerin für den Berliner Regierenden Bürgermeister Müller gehandelt. Das wird ihr vermutlich auch geholfen haben, zu schaffen, was den früheren Bundesministern zu Guttenberg und Schavan nicht gelang: Sie saß die Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorarbeit einfach aus. Offenbar geht mittlerweile ohnehin niemand mehr davon aus, dass der Doktortitel eines Spitzenpolitikers irgendeine Kompetenz bezeugt.