Tichys Einblick
Kassenarztchef beklagt zunehmende Gewalt

„Bedrohungen bis hin zu Tätlichkeiten sind ein wachsendes Problem in Arztpraxen“

Kassenarztchef Andreas Gassen macht einen ungewöhnlichen Vorstoß: er prangert die steigende Gewalt in Praxen und Kliniken an. Ein Patient sei krank, sechs Personen kämen in die Notaufnahme mit und machten Radau. Ein Patient habe ihm sogar die Türe eingetreten.

picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Andreas Gassen war bereits in der Corona-Zeit gegen den Strich gebürstet. Mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach unterhält er bekanntlich eine gut gepflegte Feindschaft. Nun macht sich der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV weitere Gegner: Er prangert die Zustände in Arztpraxen an. Dort drohe die Gewalt zu eskalieren.

„Nicht nur in Notaufnahmen, auch bei den Niedergelassenen eskaliert die Lage immer öfter“, sagt er gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Offene Aggression und ein extrem forderndes Verhalten hätten deutlich zugenommen. „Es geht um verbale, es geht um physische Gewalt. Ich hatte selbst schon einen Patienten, der eine Tür kaputt getreten hat“, so Gassen.

Bislang habe „so ein asoziales Verhalten null Konsequenzen“, so der KBV-Chef. „Deshalb muss das Gesetz von Justizminister Marco Buschmann zum besseren Schutz von Einsatzkräften auf die Arztpraxen ausgeweitet werden.“ Es sei überfällig, das Strafgesetz an der Stelle zu verschärfen, denn „auch Praxen müssen sich nicht alles bieten lassen“.

Es gebe eine „kleine, leider aber größer werdende Klientel, die wirklich schwer erträglich ist. Die meint, jedem drohen zu können, sich so benehmen zu können, wie es dort, wo man herkommt, vielleicht üblich ist. Und am härtesten trifft es oft die Arzthelferinnen.“

Dass sich Patienten nicht benehmen könnten und eine „schräge Einschätzung der eigenen Behandlungsdringlichkeit“ hätten, sei „ein Nationen-übergreifendes Phänomen“, sagte Gassen weiter. „Was sich allerdings auch häuft: Da ist einer krank, und sechs Leute kommen als Begleitung mit in die Praxis oder die Notaufnahme und machen Radau. Das ist bemerkenswert und extrem unangenehm.“ Gassen nannte Personen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge und Deutsche als Übeltäter.

Die Politik habe das Problem noch nicht ausreichend auf dem Schirm, beklagte der Kassenärztechef. „Aber es ist genauso unerträglich, wenn Feuerwehrleute mit Flaschen beworfen werden, wie wenn Krankenhaus- oder Praxismitarbeiter bedroht oder körperlich angegangen werden, weil irgendein Vollidiot meint, sein Schnupfen müsste jetzt sofort behandelt werden und er sei nicht freundlich genug behandelt worden.“ Es brauche in solchen Fällen deutliche und schnelle Strafen, sonst komme die Botschaft bei einigen Leuten nicht an.

Gassen nahm mit der Aussage direkten Bezug auf die Angriffe auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte bei den Neujahrsfeiern. Aufmerksamkeit erregte ein Fall, bei dem drei Männer auf das Personal einschlugen, weil sie zu lange warten mussten. Pfleger, die zu helfen versuchten, wurden verprügelt, einer bewusstlos geschlagen. Viele erlitten Kopfverletzungen. Wie bei den Silvesterkrawallen schaut die Politik bisher auch in bei den steigenden Gewaltszenen in den Arztpraxen weg.

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