Tichys Einblick
Inflation

Getreide um 20,4 Prozent, Gemüse um 13,5 Prozent: Agrarrohstoffe verteuern sich rasant

Die Preise für landwirtschaftliche Produkte ziehen in Deutschland und weltweit enorm an. Nicht nur die Preise im Supermarkt dürften steigen, sondern auch der globale Hunger zunehmen.

IMAGO / Political-Moments

Die Inflation schlägt mittlerweile auch bei Verbrauchsgütern zu – etwa den Agrarrohstoffen. Pflanzliche Erzeugnisse verteuerten sich im April um 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, teilte das Statistische Bundesamt am Montag mit. Besonders stiegen die Preise für Tomaten (42,6 Prozent), Handelsgewächse wie Raps und Zuckerrüben (30,7 Prozent), Pflanzen und Blumen (20,3 Prozent), Getreide (20,4 Prozent) und Gemüse (13,5 Prozent). Billiger wurden Speisekartoffeln (-54,5 Prozent) und Schlachtschweine (-18,8 Prozent). Insgesamt stiegen die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise um 2,6 Prozent im Vergleich zum April 2020.

Kartoffeln und Schweine verbilligten sich laut den Statistikern, weil die Nachfrage aus Absatzkanälen wie der Gastronomie, Massenveranstaltungen oder Großküchen zurückging. Beim Getreide habe die Nachfrage aus dem Ausland zugenommen, was den Preis nach oben getrieben haben dürfte. Bei Pflanzen und Blumen sei ein knappes Angebot und die hohe Nachfrage durch Corona schuld. Auf TE-Nachfrage erklärte eine Mitarbeiterin des Statistischen Bundesamts, dass die Preise nicht eins zu eins auf den Supermarkt übertragbar seien. Die Erhebung berücksichtige nur die inländische Erzeugung – Weltmarktpreise könnten tiefer ausfallen.

Gleichwohl ziehen die Preise auch global an. Laut der UN-Ernährungsorganisation FAO verteuerten sich Agrarrohstoffe im Mai um knapp 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Allein seit April stiegen die Preise um 4,8 Prozent. Das sei der größte monatliche Zuwachs seit über zehn Jahren. Insgesamt seien die Preise so hoch wie seit September 2011 nicht. Besonders verteuerten sich pflanzliche Agrarprodukte: Vergleicht man die ersten fünf Monate des Jahres 2021 mit dem Vorjahreszeitraum, dann stieg Getreide um 26 Prozent im Preis, Weizen um 20,5 Prozent und grobes Korn um 53,3 Prozent.

Der FAO-Chefvolkswirt Abdolreza Abbasian sagte in einer Videokonferenz gegenüber internationalen Medien, das weltweite Hungerproblem habe den schlimmsten Stand seit vielen Jahren erreicht, wie das Fachmedium agrarheute berichtet. Der Grund: Die Corona-Krise habe Nahrungsungleichheiten und Versorgungsprobleme erheblich verschärft. Betroffen wären vor allem die ärmsten, importabhängigen Länder mit begrenzter Kaufkraft und fehlenden sozialen Sicherheitsnetzen. Für weitere Angebotsschocks oder Nachfragesteigerungen gäbe es derzeit nur sehr begrenzte Spielräume. “All diese Probleme und Verwerfungen können die Preise noch weiter in die Höhe treiben. Höher als sie jetzt schon sind, und dann müssen wir uns wirklich ernste Sorgen machen”, sagte Abbasian.
Ursache für die Preisanstiege sei eine hohe Nachfrage aus China nach Getreide und Mais. Dazu komme eine Dürre in Brasilien und der wachsende Verbrauch weltweit, besonders bei Pflanzenölen, Zucker und Getreide. “Diese starke Nachfrage, würde ich sagen, hat alle überrascht”, sagte der FAO-Ökonom.

Gleichwohl dürften auch die Corona-Maßnahmen – zum Beispiel Test- und Quarantänepflichten für Logistikpersonal – Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft streuen. Etwa erreichten die Preise in der Container-Schifffahrt ein historisches Hoch, wie ein Branchenexperte gegenüber TE berichtete. Auch in anderen Branchen wie dem Bauwesen fehlt Material. Basisstoffe wie Stahl und Kunststoffe sind knapp, was zu Produktionsschwierigkeiten in nachgelagerten Branchen führt.

Außerdem dürfte die massive Geldschöpfung der Zentralbanken die Preise nach oben treiben. Weil sich viele Vermögensgüter – etwa Aktien oder Immobilien – durch das neugeschöpfte Geld bereits verteuert haben, suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten. In der vergangenen Finanzkrise investierten sie etwa massiv in Lebensmittel, was die Preise erhöhte und den Hunger in der Dritten Welt verschärfte. Derzeit schöpfen die Zentralbanken weiter viel Geld aus dem Nichts: Die US-Notenbank Fed erhöhte die Geldmenge M3 um rund 19 Prozent im vergangenen Jahr. Bei der EZB betrug die Jahreswachstumsrate von M3 9,2 Prozent im April und war davor über ein halbes Jahr zweistellig gewesen.

Die FAO rechnet in diesem Jahr mit einem Anstieg der Preise für Lebensmittelimporte auf ein Rekordniveau, wie Reuters berichtete. Demnach sollen die Einfuhren auf 1,715 Billion US-Dollar ansteigen. Das wäre ein Plus von 12 Prozent zum Vorjahr. Laut den Angaben steigen vor allem die Importkosten für Länder mit niedrigen Einkommen und schlechter Lebensmittelversorgung. Dort sollen sich die Einfuhren in diesem Jahr um 20 Prozent verteuern.

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