Frankfurt/Berlin. Katrin Göring-Eckardt steht für vieles, aber als Frohnatur würde sie sicher niemand bezeichnen. Die grüne Vizepräsidentin des Bundestages hat sich ihr Image als moralinsaure Politikerin im Pastoralstil, die stets das Richtige und Gute will, hart erarbeitet. Göring-Eckardt-Sätze wie „Nächstenliebe kennt keine Obergrenze“ oder „Zukunft wird aus Mut gemacht“ klingen nicht nach Politik, sondern nach Sonntagspredigt – Relikte eines abgebrochenen Theologiestudiums.
Aber es gibt noch eine andere, bislang unbekannte Seite der Katrin Göring-Eckardt: Ihr Verhältnis zu Humor, Satire und Ironie. Ja, auch wenn Sie, liebe Leser, es kaum glauben können, Göring-Eckardt und Witz passen in einen Satz. TE hat exklusiv Erfahrungen und Belege gesammelt, die zeigen, was KGE lustig findet und was nicht. Und die offenbaren, dass es ein großer Unterschied ist, ob sie selbst Scherze macht oder zur Zielscheibe wird. Wie immer im Comedy-Geschäft hängt auch bei KGE der Erfolg davon ab, ob die Zielgruppe den Witz versteht. Und last but not least gibt es auch bei ihr absichtlichen und unabsichtlichen Humor.
KGE bringt Lachen in den Bundestag
Ihren Einstieg ins humoristische Fach machte sie am 9. September 2015 im Bundestag. In der Haushaltsdebatte brachte sie einen Klassiker aus dem Handbuch für Stand-up-Comedy, den nachgeschobenen lustigen Schlenker: „30 Prozent der Kinder und Jugendlichen heute haben bereits einen Migrationshintergrund. Und dabei habe ich die Ossis noch nicht mitgerechnet.“ Was das Publikum von Harald Schmidt zum Johlen gebracht hätte, nämlich Unzusammengehörendes zu einer überraschenden Pointe zusammenzurühren und einer schon hämegeprüften Gruppe nochmal eins überzubraten, das führte bei KGE zu peinlichem Schweigen (ab min 6.30). KGE lernte daraus: Ironie, auch Selbstironie – denn sie ist ja selber Ossi – funktioniert nur vor dem richtigen Publikum. Gelangweilte Abgeordnete, dienstverpflichtete Regierungsmitglieder, beflissene Bundestagsbesucher – kurz Polit-Junkies aller Art sind es offenbar nicht. Und bei den Menschen draußen im Land, in Ostdeutschland vor allem, kam der Gag auch schlecht an – im Netz ging ein Shitstorm über Göring-Eckardt nieder. Witzischkeit kennt doch Grenzen.
Gut einen Monat später startete Göring-Eckardt den nächsten Versuch. Diesmal ein Volltreffer, im Morgenmagazin von ARD und ZDF: „Und Dresden, das ist vor allem die Frauenkirche. Die ist wieder aufgebaut worden, nachdem die Nazis sie zerstört haben.“ Schallendes Gelächter landauf, landab. Dem oft gescholtenen dumpfen Massenpublikum, von denen viele im Geschichtsunterricht in der Schule auch nur mit einem Ohr zugehört hatten, war die Pointe sofort klar: Grün kennt nur Nazis als Schuldige, Fakten spielen keine Rolle. Dass es britische und amerikanische Bomber im Zweiten Weltkrieg waren, die Dresden bombardierten, geschenkt. Der Witz war nach allen Regeln perfekt: Beschreibe vertraute Situation (Frauenkirche), bringe dann überraschendes „Reframing“ (die Nazis waren’s), Witz komm raus!
Rauschen und Brummen im Blätterwald
Manchmal gehen Scherze daneben, Göring-Eckardt ist eben nicht „Marvelous Mrs. Maisel“: Auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2017 in Berlin wollte sie auch mal reden, wie es der erfolgreiche Parteifreund und gelernte Kinderbuchautor Robert Habeck so toll kann: „Wir wollen, dass in den nächsten vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen!“ (ab min 12.30). Es ward ein Tosen und ein Brummen und ein Rauschen draußen im Wald und in den Auen, als Biene Maja, Rudi Rotmilan, Freddy Fledermaus und Millionen Artgenossen voller Begeisterung ihre Flügel zusammenschlugen, ehe sie weiter in die Windräder flogen. Gut, dass Federvieh kein Wahlrecht hat, dachten sich wohl die Delegierten, bei denen KGEs Motivierungsüberschwang nur so mittelgut ankam. Knapp vorbei ist auch daneben.
So ist das eben mit dem dumpfen Publikum, oft begreift es nicht, dass es Satire ist, die hinter Göring-Eckardts genialen Formulierungen steckt. So war es auch mit ihren Stand-up-Comedy-Gags aus ihrem Migrations-Programm von 2015: „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“ oder ein anderer Brüller: „Die Einwanderer bezahlen die Rente derjenigen, die in Dresden auf die Straße gehen und gegen Asylbewerber und Einwanderer demonstrieren.“ Göring-Eckardt verwendete hier das klassische Stilmittel der Satire von Übertreibung und Verzeichnung. Aber leider implodierte der Gag, denn bis auf die dumpfen Durchschnittsgrünen erkannte das allgemeine Publikum zu leicht, dass hier Satirebild und Realität zu weit auseinanderliegen. Hätte KGE beide Äußerungen klar mit „Achtung Satire!“ gekennzeichnet, wäre alles klar gewesen.
Wenn es um sie selbst geht, dann versteht die bedeutende grüne Vizepräsidentin des Bundestages keinen Spaß, auch keine Satire. Dann ruft sie die Justiz um Hilfe. Eine Glosse von TE mit dem Titel „Achtung Satire: Grüne fordern staatliche Gutscheine für Putzhilfen“ erregte Göring-Eckardts Zorn.
Es geht in einem klar erkennbar fiktiven Interview darum, was alles hinter dem real existierenden Positionspapier der Grünen mit dem Titel „Agenda für Gleichstellung und ein selbstbestimmtes Familienleben“ stecken könnte. (Außer der tatsächlich erhobenen Forderung für Familien nach „vom Staat geförderten Gutscheinen, die bei geprüften Dienstleistungsagenturen eingelöst werden können“.) Aber das übertriebene Gendern und die nannyhaften Belehrungen, die der Autor ihr in den Mund legte, waren Göring-Eckardt offenbar zu nah an der Realität. Deshalb sah sie die Gefahr, dass die große TE-Leserschaft die vielfachen Hinweise auf „Satire“, „Glosse“ und „Almost True News“ übersehen könnte. Und deshalb klagte sie vor Gericht. Die Glosse dürfe nicht mehr veröffentlicht oder sonstwie verbreitet werden, ansonsten drohe Ordnungsgeld oder Ordnungshaft. Bei sich selbst kennt KGE keinen Spaß.
Satire darf sich ihrer annehmen
Nun hat das Landgericht Hamburg entschieden: Die Klage wurde in Bausch und Bogen abgewiesen. Die Glosse verletzte nicht das Persönlichkeitsrecht der Klägerin, insbesondere nicht das Recht am eigenen Wort. Das unvoreingenommene und verständige Publikum erkenne, “dass es sich um einen satirischen Beitrag handelt und dass es sich bei den angeblichen Äußerungen der Klägerin um eine Übertreibung und eine Fiktion handelt und die Äußerungen erdacht sind“.
Weiter schreibt das Landgericht in seiner Urteilsbegründung: “Satire ist dabei in besonderer Weise zu beurteilen, weil sie bewusst ein Zerrbild der Wirklichkeit vermittelt. Eine Übertreibung oder Verfälschung ist wesenseigen für die Satire, weswegen sie nicht vordergründig aufgefasst werden darf.“ Deswegen müsse bei der rechtlichen Würdigung zwischen dem Aussagekern und seiner „Einkleidung in die satirische Form“ unterschieden werden. Im Fall der eindeutig als Satire gekennzeichneten Glosse übe der Autor des Artikels Kritik an den Positionen und Forderungen der Klägerin, indem er ihr Worte in den Mund lege, die die Position der Klägerin in grotesker Weise überzeichneten. Dadurch ziele der Artikel darauf ab, KGEs Forderungen der Lächerlichkeit preiszugeben. Das Landgericht stellt fest: “Die Leser des Artikels durchschauen dieses Gestaltungsmittel und erkennen, dass es sich bei dem Interview um Satire handelt. Auch aus dem Inhalt der Äußerungen, die der Klägerin in dem angeblichen Interview in den Mund gelegt werden, erkennt das unvoreingenommene und verständige Publikum, dass es sich nicht um Äußerungen handelt, die die Klägerin tatsächlich getätigt hat.“
Natürlich freuen wir uns, dass TE mit der anwaltlichen Hilfe von Joachim Steinhöfel gegen Göring-Eckardts Klage vollständig obsiegt hat. Noch mehr freut uns allerdings zweierlei: Mit seinem Urteil stellt das Landgericht klar, dass TE-Leser ein „unvoreingenommenes und verständiges Publikum“ sind, die erkennen können, „wo Satire draufsteht, ist auch Satire drin“. Das hatte nämlich Göring-Eckardts Anwalt vor Gericht bestritten. Er vertrat die Ansicht, nur Akademiker würden das Interview als Satire erkennen, nicht aber – so wörtlich – „das dumpfe Durchschnittspublikum“. Das meint wohl die TE-Leser, denn ansonsten hätte er nicht in Göring-Eckardts Namen die Veröffentlichung verbieten wollen. Es ist bezeichnend, dass in Göring-Eckardts Namen die Rechtsfigur des „verständigen Publikums“ in „dumpfes Durchschnittspublikum“ abgewandelt wurde – eine spezielle Sicht auf die Bevölkerung, über dem die Bundestagsvizepräsidentin thront.
Und zum Zweiten stellt das Landgericht Hamburg dar: Über Katrin Göring-Eckardt darf gelacht werden. Das gilt für Witze über sie. Und wir sagen, auch für wahre Sätze von ihr.
Claudia Pritt