Tichys Einblick
“Buchen Sie Ihren Impftermin”

Gerichtspräsident drängt Mitarbeiter, sich impfen zu lassen

Der Präsident des Amtsgerichts Leipzig übt Druck aus, damit sich Mitarbeiter impfen lassen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht und ein Ethikprofessor kritisieren das.

IMAGO / MiS

Der Präsident des Amtsgerichts Leipzig macht in einem internen Rundbrief Druck. Es solle niemand darauf vertrauen, “dass ein schlichtes ‚lieber nicht, ich warte auf die Langzeituntersuchung der Impffolgen‘ dauerhaft Akzeptanz finden wird”, erklärt er in dem Schreiben, das TE vorliegt. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht sieht darin eine “versteckte Androhung”, die rechtswidrig sei.

Im Folgenden fasse er sich ganz deutlich, um vor der “Illusion” zu bewahren, eine Entscheidung gegen die Impfung werde “ganz unproblematisch hingenommen” werden, schreibt der Richter an knapp 500 Mitarbeiter. Bereits in wenigen Wochen werde die Mehrheit der Deutschen geimpft sein. Man laufe auf absehbare Zeit auf eine “Zweiklassen-Gesellschaft” zu, bei der eine Gruppe alle Freiheiten per Impfpass genießen könne, während die andere sich mühevoll und zeitraubend für einen negativen Schnelltest anstellen müsse. “Für jeden Einkauf, jedes Training im Fitnessstudio, jeden Biergartenbesuch im Sommer und jede Liftfahrt im Winter einen Schnelltest zu machen, wird teuer werden und Zeit kosten”, warnt der Richter.

Doch damit werde es nicht enden, schreibt er und fährt fort: “Ich sage es ganz offen: nicht Geimpfte werden auch bei uns zunächst keine Vorteile und dann vielleicht sogar Nachteile haben. Zwei oder mehr von ihnen werden dauerhaft nicht ohne Schutzmaske in einem Büro sitzen dürfen.” Man werde es organisatorisch möglicherweise nicht einrichten können, Ungeimpfte so einzusetzen, dass diese Dritte nicht gefährden könnten.

Bei Richtern und Beamten werde man “zunächst” sehen müssen, wie weit man mit der Geschäftsverteilung komme. “Aber Tarifbeschäftigte sollten nicht darauf vertrauen, dass wir ganz viel Energie darauf verwenden können, sie dauerhaft vor einer (vermeidbaren) Infektion zu schützen und Gerichtsbesucher vor ihnen”, schreibt der Mann. Man werde das Risiko einer Infektion, die leicht vermeidbar gewesen wäre, nicht eingehen dürfen.

All das werde gesellschaftlich und gerichtsintern weniger diejenigen betreffen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten. “Aber es sollte bitte niemand darauf vertrauen, dass ein schlichtes ‚lieber nicht, ich warte auf die Langzeituntersuchung der Impffolgen‘ dauerhaft Akzeptanz finden wird”, erklärt der Richter und schließt mit der Aufforderung: “Buchen Sie Ihren Impftermin deshalb bitte jetzt – ich danke Ihnen!”

Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht ist entrüstet. “Das Schreiben enthält eine versteckte Androhung von Nachteilen für nicht-impfwillige Mitarbeiter und stellt daher einen rechtswidrigen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot dar”, sagt Elmar Becker und erklärt: “Mitarbeiter dürfen nicht benachteiligt werden, wenn sie ihre Rechte – wie etwa das grundgesetzlich garantierte Recht auf körperliche Unversehrtheit – ausüben.” Becker arbeitet seit 30 Jahren im Bereich Arbeitsrecht, ist Mitglied des Vereins “Anwälte für Aufklärung” und bei Querdenken als Redner aufgetreten.

Auch der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge äußert sich kritisch, nachdem er den Rundbrief gelesen hat. “Niemand sollte faktisch gezwungen werden, sich impfen zu lassen – schon gar nicht durch handfeste Nachteile. Das Rundschreiben des Richters halte ich jedenfalls für unverhältnismäßig, da klar der Eindruck eines faktischen Impfzwangs für Arbeitnehmer entsteht”, sagt der Professor an der Technischen Universität München. Er selbst sei kein Gegner der Corona-Impfung, aber bei unter-70-Jährigen müsse eine Impfung individuell abgewogen werden, angesichts der Zahlen zur Sterblichkeit in der Gruppe.

Mit der Einschätzung des Anwalts konfrontiert, sagt der Gerichtspräsident, es sei die Aufgabe von Arbeitsrechtlern, dies so zu sehen. “Ich versuche, dieses Haus weiter gut durch die Krise zu führen und die hier tätigen Menschen, aber auch das, was sie durch Rechtsprechung und Rechtspflege gewährleisten, möglichst sicher in die Zeit danach zu geleiten. In diesem Sinne: Zahlreiche tradierte Sichtweisen aus den präpandemischen Lehrbüchern werden in der Pandemie zwangsläufig auf den Prüfstand gestellt. Das geschieht bereits in großem Umfang – und das betrifft in unterschiedlich schneller Reaktion auch alle juristischen Professionen”, sagt er.

Von einer Impfpflicht sei im Übrigen nie die Rede gewesen. “Die Entscheidung für oder gegen die Impfung wird immer aus freien Stücken erfolgen. Es wird aber jedem klar sein müssen, dass ‚Freiwilligkeit‘ nicht gleich ‚Folgenlosigkeit‘ ist”, erklärt der Mann. Denn Folgen werde eine unterlassene Impfung gewiss haben, das scheine ihm gesellschaftlich klar erkennbar zu sein und deute sich in der Normsetzung bereits an.

Zu dem am Anfang erwähnten Zitat sagt er, dieses sei auf eine Gruppe von Mitarbeitern bezogen, die mehrere risikoerhöhende Faktoren vereine – nämlich die enge Zusammenarbeit im Team, viel und nicht vermeidbarer Kundenkontakt sowie Kita- oder Schulkinder zuhause, die nicht geimpft seien. “Diese Bediensteten treffen im Gericht nun wiederum viel mit Verfahrensbeteiligten zusammen, die unterdurchschnittlich impfwillig sind”, erklärt der Gerichtspräsident.

Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge ist davon nicht überzeugt. “Das Argument, es komme zu häufigem Menschenkontakt, könnte man bei so ziemlich jedem Betrieb vorbringen”, sagt der Professor. “Als Folgenethiker bin ich davon überzeugt, dass wir die Risiken der Nichtimpfung den Folgen einer Impfung gegenüberstellen müssen – und das ist eine individuelle Entscheidung, bei der Staat oder Unternehmen keinen Druck ausüben sollten”, erklärt er.

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