Die B.Z. bat um eine Reaktion des Bezirksamtes sowie auch von Schmidt persönlich. Doch der wollte sich nicht äußern, sondern ließ seinen Anwalt, Johannes Eisenberg, antworten. Eisenberg beschied die B.Z., dass es überhaupt keinen Anlass für Ermittlungen gebe. Er gehe davon aus, dass Schmidt sich keine »strafbaren Handlungen« zuschulden kommen ließ. Gott sei Dank, dann wissen wir das schon einmal. Derlei Gedanken könnten sonst sehr beunruhigend werden. Die Zeitung fühlte sich von dem Star-Anwalt bedroht.
Sieben Mal hatte Baustadtrat Florian Schmidt bis Ende 2019 das Vorkaufsrecht ausgeübt, unter anderem um Mietshäuser der von ihm gegründeten Genossenschaft »Diese eG« zuzuschanzen. In der Regel übt ein Bezirk, eine Stadt oder Gemeinde das Vorkaufsrecht stellvertretend für einen Dritten aus. Diese Dritten können in Berlin praktisch nur die städtischen Genossenschaften sein.
Die bereits bestehenden Genossenschaften weigerten sich allerdings, bei den von Schmidt offerierten Immobilienhappen zuzubeißen. Ein hoher Kaufpreis, der »unterdurchschnittliche Objektzustand« und geringe Mieten erlaubten keinen wirtschaftlichen Betrieb der Häuser. Es blieb also nur die (maskierte) Verstaatlichung unter dem Deckmantel der neugegründeten »Diese eG«, die durch Zuschüsse, Fördermittel und städtische Kredite am Leben erhalten werden sollte.
Als die »Diese eG« im Dezember 2019 tatsächlich zahlungsunfähig wurde, sprang auf einmal eine andere Genossenschaft ein und kaufte eines der Objekte, das ihr vorher wohl zu teuer gewesen war. Dieser Vorgang riecht förmlich nach Beeinflussung und Korruption. Trotzdem entstand dem Bezirk ein Schaden von 190.000 Euro allein durch dieses Objekt. Insgesamt ergaben sich Verpflichtungen von insgesamt 50 Millionen Euro durch Florian Schmidts Vorkäufe für die »Diese eG«. Eben die ist aber genauso arm wie die Stadt Berlin überhaupt und verfügt nicht über die Mittel, den Forderungen nachzukommen. Die Schulden werden also vermutlich am Bezirk, zuletzt wohl am Land oder anderen Beteiligten hängen bleiben.
Der para-juristische Wünsch-dir-was-Raum des typischen Grünen
Hinzu kommen zahllose Verfahrensfehler Schmidts: Die Genossenschaft war zum ersten noch gar nicht zu Ende gegründet, als Schmidt in ihrem Namen bereits das Vorkaufsrecht ausübte. »Es konnte kein Vorkauf zugunsten einer Genossenschaft ausgeübt werden, die ihre Rechtsfähigkeit noch gar nicht erlangt hatte«, sagt die Rechtsanwältin Sandra von Münster der Berliner Morgenpost.
Und diese juristische Nicht-Person konnte natürlich weder Geldmittel besitzen, noch hatte der Senat ihr bis dahin Zuschüsse zugesagt oder Darlehen verschafft. All das wurde erst später dazugeschustert. Das gesamte Verwaltungshandeln bewegt sich hier in einem para-juristischen Wünsch-dir-was-Raum, wie er wohl typisch für grüne Politiker (und solche, die es sein wollen) ist.
Man kann nur hoffen, dass die beteiligten Personen nie an wichtigerer Stelle Verantwortung übernehmen.
Im Januar waren Politikern der Bezirks-SPD Lücken in einem Bericht des Baustadtrats aufgefallen. Schmidt hatte wohl schon geahnt, dass es da Sprengstoff geben könnte, denn er versuchte, die ihm gewogenen Fraktionen des Bezirksparlament – es regieren die Grünen mit den beiden Juniorpartnern Linke und SPD – in einer gemeinsamen Sitzung auf Verschwiegenheit festzunageln. Sonst hätte laut Schmidt eine »Instrumentalisierung« und »Agitation« durch einen findigen Journalisten oder die Opposition gedroht.
Nur der SPD-Kreisvorsitzende Harald Georgii spielte nicht mit und machte stattdessen seine Zweifel öffentlich. Eine Prüfung durch die Bezirksaufsicht der Senatsinnenverwaltung unter Andreas Geisel (SPD) wurde eingeleitet. Dass die SED-Geisel Andreas hier unabhängig prüft ist freilich nicht anzunehmen. Daneben begann auch der Landesrechnungshof mit einer Prüfung der Akten.
Die Grünen mauern sich in ihrem Turm ein
Eins ist bei all dem gewiss: Florian Schmidt muss sicher nicht für die von ihm eingegangenen Finanzrisiken geradestehen. Aber die Mieter und Teilhaber der »Diese eG« könnten sehr wohl noch von den Schulden ihrer Genossenschaft getroffen werden. Denn sie haften persönlich.
Im Juli teilte der Landesrechnungshof mit, dass er in den Akten zu den Diese-eG-Vorkäufen schwere Fehler und Mängel entdeckt habe. Genaueres soll erst im Oktober aus dem Jahresbericht des Rechnungshofes hervorgehen. Dem Rechnungshof schrieb nicht nur die grüne Bezirksbürgermeisterin, Monika Herrmann, einen Brief unbekannten Inhalts, sondern wiederum auch der Anwalt Johannes Eisenberg.
Man möchte – rein hypothetisch – fragen: Kommt denn dieser Schmidt überhaupt nicht mehr aus dem Tricksen heraus? Den Medien lässt er anwaltlich mitteilen, es gäb an seinem Skandal nichts zu berichten. Was hat er nun dem Landesrechnungshof durch seinen Anwalt schreiben lassen? Und wer bezahlt diesen Anwalt überhaupt. Das Bezirksamt jedenfalls will es nicht gewesen sein. Es müssen wohl die Grünen sein oder doch Schmidt selbst?
Bürgermeisterin Herrmann glänzt jedenfalls einmal mehr mit Kompetenz durch Abwesenheit. Seit dem Frühjahr war von ihr keine sinnvolle Äußerung in der Sache zu vernehmen. Und auch jetzt, da Polen offen ist, gibt es weder zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch zum Statement des Landesrechnungshofes eine offizielle Äußerung aus dem Bezirksamt. Das nennt sich wohl Mauern im Turm. Doch daraus kann schnell Hängen im Schacht werden.
CDU-Generalsekretär: »Nur die Spitze eines Eisbergs«
Die Landes-CDU setzt nun auf den rot-rot-grünen Senat des Stadtstaates an. Denn auch der stiehlt sich laut Landeschef Kai Wegner bei der Affäre Schmidt bislang »aus der Verantwortung«. Generalsekretär Stefan Evers sprach am Freitag von einer »Reihe von Mittätern im Senat«, die Florian Schmidt assistiert hätten. Die Senatsakten läsen sich teilweise »wie ein Wirtschaftskrimi«. Bei dem Untreue-Vorwurf handele es sich »nur um die Spitze eines Eisbergs«, der weit »in die Tiefen des Senats« reiche. Erst im August war die berlinweite Bauverhinderungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) zurückgetreten – formal wegen nicht an die Landeskasse weitergereichter und auch nicht versteuerter Aufsichtsratsbezüge.
Die CDU will nun alle parlamentarischen Mittel zur Aufklärung des Skandals um Florian Schmidt und seine Wohnungsgenossenschaft einsetzen. Ein Untersuchungsausschuss im Landesparlament winkt schon um die Ecke. Für die FDP fordert Michael Heihsel gegenüber der B.Z. schon mal präventiv den Schmidt-Rücktritt. Ab einem gewissen Punkt könne es kein Weiter-so geben; die Leitung eines öffentlichen Amtes gehe mit einer hohen Verantwortung einher. »Ich bezweifle sehr, dass er dieser Verantwortung gewachsen ist.«
Selbstverteidigung als Besinnungsaufsatz
Aus dem Schreiben seines Anwalts kann man letztlich auch die Selbstverteidigung von Schmidt herauslesen. Aber die Entgegnung auf seine scharfen Kritiker ähnelt eher einem Besinnungsaufsatz. Der Untreue-Vorwurf soll natürlich unberechtigt sein. Warum? Weil sich der Stadtrat juristisch einwandfrei verhalten hat? Nein, das ist nicht das Niveau von Florian Schmidt. Er zückt eine andere Waffe: die Moral. Hätte er »die Vorkaufsrechte […] nicht ausgeübt«, dann wären die Häuser nämlich »in die Hände privater Investoren gelangt«! Dieser Grund gilt in Schmidts Milieu offenbar als Gottes Wort, während private Investitionen als eine geradezu teuflische Versuchung erscheinen.
Herrlich ist das Staubericht-Deutsch von Schmidts Verteidigung via Anwalt Eisenberg: »Soweit es bei der Abwicklung des – neuen und bis dahin nicht erprobten – Instruments der Ausübung von Vorkaufsrechten zu Gunsten von Bewohnergenossenschaften zu Störungen gekommen ist, waren die Schwierigkeiten angesichts der mir bekannten Erklärungen der zu beteiligenden und beteiligten Senatsverwaltungen nicht zu erwarten.«
Dabei ging es Schmidt vor allem um eines: »die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen«, und das natürlich »gemäß dem geltenden Milieuschutzrecht«. Dem war offenbar alles andere unterzuordnen: eine gesunde Finanzstruktur, das Recht, schließlich und zuallererst die freie Marktwirtschaft. Ob der Milieuschutz am Ende so anzuwenden ist, wie Schmidt es tat, wird sich noch erweisen. Tragfähig erscheint er jedenfalls nicht. Genossenschaften können kaum jedes beliebige Objekt zu marktüblichen Preisen kaufen. Dann dürfte eine nach der anderen bankrott gehen. Aber das war nicht der Plan von Florian Schmidt. Der war noch sinistrer.