Tichys Einblick
Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie

Die Gleichgültigkeit der Abgeordneten

Ab 1. Januar wird wieder die volle Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie fällig. Aus der Branche kommt massiver Protest, zehntausende Arbeitsplätze sind schon jetzt gefährdet. In einer schwächelnden Wirtschaft sind steigende Preise für die Gastronomie kaum zu ertragen. Im Bundestag zeigt man sich gleichgültig.

IMAGO / Christian Ohde

Während der Corona-Krise wurde der Mehrwertsteuersatz auf Speisen in der Gastronomie, die vor Ort konsumiert werden, auf 7 Prozent gesenkt. Zum 1. Januar läuft diese Neuregelung aus: Die Preise in der Gastronomie müssen steigen, denn die vollen 19 Prozent Steuern werden wieder fällig. Die Gastwirte schlagen Alarm: Die Branche ist nach den Jahren der Dauerkrise geschwächt. Pandemie, Energiekrise, Inflation und die wirtschaftliche Lage führen dazu, dass auch 2023 der Umsatz in der Branche mehr als 10 Prozent niedriger ist als vor der Pandemie: Ein Durchschnitt, der wie immer verschleiert, dass es manchen sehr gut und anderen sehr, sehr schlecht geht. 36.000 Betriebe schlossen in den Corona-Jahren, meldet der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA. 12.000 sollen akut gefährdet sein.

Unter vielen anderen setzt sich die „Initiative Pro Gastronomie“ dafür ein, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz beibehalten wird. Um im Bundestag für mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu sorgen, verschickte sie eine E-Mail an die 736 Abgeordneten mit der Bitte um Hilfe. Das Ergebnis war beschämend: Kaum 6 Prozent der Büros machten sich überhaupt die Mühe, die E-Mail zu öffnen, geschweige denn zu lesen oder zu antworten. Erst eine zweite E-Mail, die schon im Betreff eine „Einladung“ versprach, konnte das Interesse von 10 Prozent der Büros für sich gewinnen. Die Büros der Abgeordneten werden tätig, wenn ein medienwirksamer Vorteil winkt.

Nur ein Bruchteil der Abgeordneten hielt es für nötig zu antworten – die vielen Büromitarbeiter, für die der Steuerzahler im Monat eine Kostenpauschale von 23.205 Euro pro Abgeordneten entrichtet, sind zu beschäftigt, um sich mit den Bürgern zu befassen.

Einige wenige antworten aber doch. Die Grünen zum Beispiel stellen klar: Für sie ist Christian Lindner schuld. Das „Team Künast“ schreibt zum Beispiel (der Text liegt Tichys Einblick vor):

„Christian Lindner ist als Finanzminister für den Haushalt, steuerliche Entlastungen und die Mehrwertsteuer zuständig. In den aus seinem Bundesfinanzministerium vorgelegten Entwürfen für den Haushalt 2024 und die kürzlich beschlossenen Steuergesetze war eine weitergehende Verlängerung oder gar Entfristung der reduzierten Mehrwertsteuer für die Speisegastronomie über 2023 hinaus nicht vorgesehen. Wir Grüne haben es durchaus für möglich gehalten weitere Spielräume im Haushalt zu schaffen, zum Beispiel über den Abbau umweltschädlicher Subventionen. Leider konnten wir uns in der Koalition nicht auf ein solches Vorgehen einigen.“

Über die höhere Mehrwertsteuer werden Mehreinnahmen von 3,4 Milliarden Euro erwartet – Summen, die die Regierung gerne einfach so verteilt. Erst kürzlich sagte Olaf Scholz zu, die EU-Afrika-Initiative für „grüne Energie“ mit 4 Milliarden Euro zu unterstützen.

Aber: Christian Lindner und die „umweltschädlichen Subventionen“ sind schuld.

Auch Michael Kellner (Grüne, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium) verwies auf Lindner und lobt die „Entlastungen“, die die Ampel auf den Weg gebracht haben will:

„Mit Blick auf das Gastgewerbe gilt es jetzt, unsere Aufmerksamkeit den drängendsten Herausforderungen zu widmen, damit die Branche ihre wichtige gesellschaftliche und touristische Stellung auch in Zukunft behält. Dazu gehören an allererster Stelle die Sicherung von Arbeits- und Fachkräften sowie der Bürokratieabbau. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem Weiterbildungsgesetz haben wir wichtige Weichen auf dem Weg zur Bekämpfung des Fachkräftemangels gestellt. Mit neuen Praxis-Checks, dem Bürokratieentlastungsgesetz und wichtigen Verbesserungen bei der Planungsbeschleunigung vereinfachen wir die Regelungen für Unternehmen.“

Das „Team Toni“ von Anton Hofreiter (Grüne) schreibt sogar:

„Natürlich gibt es – wie Sie es ja auch schreiben – auch für eine dauerhafte Reduzierung viele Gründe. Wir wollen vielfältige Restaurants überall in Deutschland und bezahlbares Restaurantessen für möglichst viele Bevölkerungsteile. Gleichwohl kann auch der Staat jeden Euro nur einmal ausgeben und wir müssen als Abgeordnete abwägen, in welche Reihung wir Mindereinnahmen bzw. Ausgaben priorisieren.“

Ein Blick auf den Haushalt verrät aber: Ausgaben werden nicht priorisiert, sondern einfach weiterhin getätigt. Die Ampel wird auch 2024 alles eingenommene Geld ausgeben und dank der Inflation sogar mehr einnehmen als 2023. Es wird wieder ein Rekordsteuerjahr – schon vor Berücksichtigung der steigenden CO2-Abgabe, der steigenden LKW-Maut und der Besteuerung von Agrardiesel und Landmaschinen sowie anderen Maßnahmen, die dem Bürger noch mehr Geld abnehmen. Gespart wird nur insofern, als dass weniger Schuldengeld ausgegeben wird als im Vorjahr.

Insgesamt antworteten die Abgeordneten auf die Hilfegesuche der „Initiative Pro Gastronomie“ so:

AfD: 17 Antworten – fordern Beibehaltung der 7 Prozent Mehrwertsteuer

CDU/CSU: 12 Antworten – fordern Beibehaltung der 7 Prozent Mehrwertsteuer

Grüne: 8 Antworten – lehnten mit Verweis auf die Haushaltslage ab

SPD: 8 Antworten – lehnten mit Verweis auf die Haushaltslage ab

Linke: 7 Antworten – fordern Beibehaltung der 7 Prozent Mehrwertsteuer

FDP: 2 Antworten – uneins, keine klare Position

Franktionslos: 1 Antwort – forderte Beibehaltung der 7 Prozent Mehrwertsteuer

Damit antworteten 53 der 736 (7 Prozent) Abgeordneten auf eine von den Bürgern vorgetragene Sorge. Sicher erhalten Abgeordnete viele Zuschriften von Bürgern, gerade die direkt gewählten: Aber deswegen unterhalten sie auch einen Stab von tausenden Mitarbeitern.

Die FDP versucht ihr Wahlversprechen, dass die Steuern nicht steigen würden, mit der Realität zu vereinbaren. Dabei entlarvt sich dasselbe Missverständnis, das im politischen Berlin fast alle Politiker ergriffen hat: dass der Staat ein unbegrenztes Zugriffsrecht auf das Geld der Bürger habe. Dass niedrige Steuern einer Subvention gleichkommen.

So schreibt Carina Konrad, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion:

„Auch haben wir bereits im vergangenen Jahr den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent auf Speisen in der Gastronomie, anders als zuerst vorgesehen, verlängern können. Es ist eine Rückkehr zum Regelsteuersatz von 19 Prozent auf Speisen in der Gastronomie, der vor der Coronapandemie Bestand hatte. Dass eine Subventionierung mittels fortlaufender Steuerermäßigung angesichts einer Vielzahl an geleisteten Entlastungen nicht dauerhaft möglich ist, war absehbar. Damit war auch von Anfang an klar, dass diese Regelung auslaufen würde.“

Und weiter schreibt sie:

„Langfristige Steuersenkungen für die Branche sind leider aufgrund der Haushaltslage nicht möglich. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass in den aktuellen Haushaltsverhandlungen schwierige Entscheidungen getroffen und Prioritäten gesetzt werden müssen. Denn es gibt einen erheblichen Konsolidierungsbedarf. Vor diesem Hintergrund wäre nicht vertretbar, andere Wirtschaftszweige zu belasten, um die Gastronomie zulasten anderer Branchen weiterhin zu entlasten.“

Dabei ist der gesenkte Mehrwertsteuersatz auch nur eine Vereinfachung für die Unternehmen: Auf Nahrungsmittel, genauso wie für Fertiggerichte im Supermarkt gilt ein Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Ebenso werden auf Speisen, die außer Haus gegessen werden, 7 Prozent fällig. Erst, wenn der Gast sich im Restaurant, beim Bäcker oder im Imbiss hinsetzt, werden 19 Prozent fällig.

Susanne Ferschl (LINKE) bringt es auf den Punkt:

„Dazu brauchen wir dringend eine gesetzliche Neuregelung durch den Bundestag. Ansonsten droht eine Pleitewelle für die mehr als 15000 insolvenzgefährdeten Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés – samt ihrer Belegschaften. Außerdem wird der Restaurantbesuch so für viele Menschen unbezahlbar. Die Teuerung betrifft zudem auch die Kita- und Schulverpflegung, sowie das Essen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Das ist nicht hinzunehmen!“

Stefan Zierke (SPD) untermauert mit seiner Antwort die Zerrissenheit der SPD:

„Gerne können Sie die Initiative Brandenburgs im Bundesrat verfolgen. Hier setzen wir uns für eine zweijährige Verlängerung ein. Allerdings war auch hier eine Mehrheit nicht gegeben, weil viele CDU-Minister dagegen sind, obwohl sie sich medial anders äußern. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie (wirtschaftlich) gut durch diese Zeit kommen.“

Seine Partei will die Steuersenkung (befristet) behalten und schafft sie doch ab. Der Wähler fragt sich: Soll ich die SPD wählen wollen, aber dann doch nicht? Kann ich meine Steuern zahlen wollen, aber dann doch einbehalten?

Verblüffend ist vor allem die Gleichgültigkeit der Abgeordneten. Die repräsentative Demokratie erfordert, dass die Bürger aus ihrer Mitte einen der ihren entsenden, der die Interessen seiner Wähler vertreten soll. Wie geht das, wenn man nicht einmal die E-Mail des Bürgers liest?

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