Bereits die Eltern von Heinz Bruns waren Gastwirte im Haus Kemnade – einer Wasserburg aus dem 15. Jahrhundert, die direkt an der Ruhr in der Nähe von Bochum steht. „Wir sind regelmäßig von Hochwasser betroffen, aber diese Flut war die schlimmste der letzten 60 Jahre“, berichtet Bruns. Das Wasser sei im Erdgeschoss 1,80 Meter hoch gestanden. Möbel, Spülmaschinen, die Küche, Fenster – all das hätten die Fluten vernichtet. Der Schaden könnte in die Millionen gehen, schätzt der Wirt. Zum Glück sei er bloß der Pächter und die Wasserburg sei gut versichert. Trotzdem: „Mit dem Gedanken aufzuhören, habe ich auch schon gespielt.“
Laut einer Umfrage des Dehoga Nordrhein-Westfalen stornieren die Gäste derzeit massenhaft ihre Buchungen – selbst wenn ein Gastronom oder eine Ortschaft gar nicht von der Flut betroffen ist. Von den befragten Betrieben berichteten 54,4 Prozent von Hochwasser-bedingten Stornierungen – 9 von 10 hätten aber die vereinbarte Leistung erbringen können. Selbst im verschonten Münsterland gebe es Stornierungen. „Es gibt fast überall im Land keinen objektiven Grund, eine Reise abzusagen. Selbst in weite Teile der Eifel kann man bedenkenlos reisen“, sagt Haakon Herbst, Regionalpräsident im Dehoga Nordrhein-Westfalen.
Fast jeder zweite Gastronom sieht seine Existenz durch die Stornierungen „akut gefährdet“. 14,3 Prozent schätzten die Stornierungen als existenzbedrohend ein. Auch Mohammad Nazzal, Präsidiumsmitglied des Dehoga Nordrhein, berichtet, dass manche Mitglieder aufgrund der Flut aufgeben wollen. „Die Langzeitschäden sind groß – etwa durch zerstörte Tourismus-Infrastruktur – und die Gäste denken fälschlicherweise, man könnte gar kein Urlaub mehr machen. Die Stornoraten sind sehr hoch“, sagt er.
Heinz Bruns ist zwar nicht von Stornierungen betroffen, weil er keine Übernachtungen anbietet und Buchungen für etwa Hochzeiten abgesagt hat. Aber die Corona-Politik hat auch ihm massiv zugesetzt: Er berichtet von 70 Prozent Umsatzeinbruch im vergangenen Jahr und Betriebsschließungen während 9 der 16 Monaten seit Anfang der Corona-Politik-Krise. Sorgen bereitet ihm vor allem der Personalmangel. Vor Corona zählte die Gastwirtschaft 27 Mitarbeiter – derzeit sind es noch 10. Auch Mohammad Nazzal berichtet, dass Personal „an jeder Ecke fehlt“. Manche Wirte müssten die Öffnungszeiten verkürzen. „Ich kenne keinen Gastronomen, der nicht sucht“, sagt der Jurist, der selbst eine Bar in Köln betreibt. Dazu komme Nachwuchsmangel, weil im Lockdown weniger Jugendliche eine Ausbildung begonnen hätten.
Laut Dehoga-Bundesverband sank die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Februar um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Vor der Krise arbeiteten demnach knapp 130.000 Angestellte mehr im Gaststättengewerbe. In den Vorjahren war die Beschäftigung stetig gewachsen. Einzelhändler hatten während des Lockdowns gezielt Personal aus der Gastronomie abgeworben, berichtet die Tagesschau. Etwa habe Lidl mit dem Slogan „Bar war gestern“ in den sozialen Netzwerken geworben. „Vor Corona galt unsere Branche als krisenfest und als Jobmotor. Hotels und Gaststätten waren zuverlässige Arbeitgeber“, sagte demnach Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges.
Bei den Gastronomen läuft das Geschäft denn auch weiter schlecht. Laut einer Dehoga-Umfrage verzeichneten gastgewerbliche Betriebe im Mai rund zwei Drittel weniger Umsatz als im Mai 2019. Wegen Corona-Auflagen wie der Testpflicht und Abstandsgeboten sahen sich 60 Prozent nur schwer in der Lage, rentabel zu wirtschaften. Die Zahl der Betriebe, die um ihre Existenz bangten, sank zwar deutlich, lag aber noch immer bei rund 45 Prozent.
Auch Mohammad Nazzal meint, der Juli sei in diesem Jahr schlechter verlaufen als im Vorjahr. Er kenne Betriebe, die seit der Corona-Krise gar nicht mehr geöffnet oder keine Hilfsgelder erhalten hätten. Laut Dehoga-Bundesverband warteten im Mai 8 Prozent noch immer auf die Dezemberhilfe und 73 Prozent auf die Überbrückungshilfe III. „Wenn wir einen weiteren gastronomischen Lockdown haben, dann sterben die Betriebe wie die Fliegen“, sagt Nazzal. Die Angst vor einem dritten Lockdown sei groß in der Branche.
Im Gastgewerbe dürfte wie in anderen Branchen ein massiver Insolvenzstau vorliegen. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts war die Zahl der beantragten Insolvenzen im vergangenen Jahr um 17,7 Prozent geringer als im Vorjahr. Auch im ersten Quartal dieses Jahres gab es knapp ein Fünftel weniger Pleiten. Gleichzeitig steigen die Betriebskosten deutlich, sagt Nazzal – etwa die Preise von Lebensmitteln oder Energie.
Indes möchte Heinz Bruns keinesfalls aufgeben. Er habe das Restaurant im Haus Kemnade mit seinen Eltern aufgebaut. Wenn er gehe, komme womöglich keiner nach. Mitte August will er mit dem Catering starten und in vier bis sechs Monaten soll wieder alles aufgebaut sein. „Man muss nach vorne schauen“, sagt er.